Fäden 1
... Rote Sterne ...
Und dort steht sie. Still und erbarmungslos hält ihr enger Blick mich
in der Gewalt. Die Farbe ihrer Augen, wie geschmolzenes Gold,
elfenhaft, in sich gefangen. Ihre Augen und das tosende, weiße Meer.
Meine Iris erstarrt. Mein Atem stockt. Ihr langes Haar, aus gelben
Fäden gesponnen. Fließende Bäche aus Schimmer und Licht, eingehüllt in
die Dunkelheit.
Glas gefriert. Ihr Umhang schwenkt im Wind, kalt und unnachgiebig dringt er in sie ein, zirkuliert in ihrem Blut.
Das Lächeln auf ihren Lippen, der süßeste Kuss, aus weißer Schokolade.
Als würde es Stück für Stück, von ihren Lippen abblättern. Wie Risse im
Schnee.
Eine Melodie kommt mir in den Sinn. Eine Melodie, harmonisch,
ausgeglichen. Immer derselbe Rhythmus. Drehen. Schreien. Im Kreis.
Sie steht nur da und sieht in meine matten, toten Augen. Sieht die
zerbrochene Maske am Boden, zählt die Splitter, die Keramik fetzen im
Wirbel der Nacht. Sieht das weinrote, lange Abendkleid und den
sternlosen, all umfassenden, Himmel.
Sie, deren Gesicht
alle tragen. Das, vergessen, in mir verschlossen und verloren wurde.
Alle tragen sie dasselbe Gesicht, dieselben Masken, im Schatten des
Lichts.
Verloren krabbelt sie mir entgegen. Die Hände zu Klauen verbogen drängt
sie durch die Erde. Ihr goldenes Haar im braunen Schlamm.
Die Melodie bricht ab, es wird still, um mich herum.
Ihre dünnen Finger greifen nach meinen, fließen ineinander, während ihr
Griff fester wird. Das Kratzen, das Geräusch vieler kleiner Füße auf
meiner Haut. Ihre Nägel aus Stahl. Der süße Geruch von Blut, bitter
nach Metall und Salz.
Das weiße Meer aus Kristallfäden.
Sie stößt es in mich hinein. Stück für Stück. Sie reflektiert das
Licht. Jedes einzelne. Wie ein Meer aus kleinen Sternen, fallen sie in
den roten Bach.
Der Geruch von Minze liegt in der Luft, die wunderbare Luft, die ihr
Haar umspült, während sie mich küsst. Der Kuss aus Schokolade.
Fast durchsichtig schimmert ihre Haut. Die Ränder der Sonne brennen
sich in ihr fest, nur um zu verschwinden. Denn sie ist mein Fluch.
Sie sitzt nur da, wie nur sie sein kann. Jeden Atemzug, jede Bewegung
hätte ich erkannt. Selbst unter tausenden hätte ich sie gefunden, wäre
sie ein Staubkorn gewesen.
Denn zu töten, ist die einzige Art zu lieben, die wir kennen.
Fäden 2
... Gelbe Wellen ...
Dieses Mal ist es ein schriller Ton, der aus ihrer Kehle klingt. Ein
herzzerreißender Schrei. Die braunen Augen auf den Sand fixiert, blickt
sie mir entgegen. Sieht mich und sieht durch mich hindurch. Gelbe
Wellen schlagen gegen die Steine, die schwarz und kalt aus dem Wasser
ragen. Erbarmungslos.
Es ist wie ein Strick um die Kehle, eine Venusfliegenfalle. Sie ist so
schön, bevor sie in Stücke zerbricht und dich schneidet. Du lässt dich
blenden, läufst ihr entgegen, gibst ihr alles, was sie verlangt und sie
verschlingt dich, frisst dich auf, bis nichts mehr übrig ist.
Ihr Schrei hallt nach, dringt durch jede einzelne Faser meines Körpers.
Die leeren, braunen Augen die mich fixiert halten, in meinem Käfig aus
Glas.
Alles an ihr, habe ich geliebt.
Und nun liegt sie in meinen Händen. Liegt dort, in Stücke geteilt und regt sich nicht. Was bin ich ohne sie?
Hier an diesem stillen Ort, wo nur Sand und Wasser meine Zeugen sind?
Erinnerungsfetzten, mühsam zusammen gesucht. Im Familienalbum begraben.
Der Film und immer wieder ihre Augen, bis ihr weißer Schleier mich
nicht mehr berührt.
Fäden 3
... Weiße Schläge ...
Gelbe Wellen schlagen an die Brandung.
"Hörst du mich?....
Mit welchem Recht stehst du hier, atmest du? Fuß für Fuß, du gehst
jeden Schritt nach dem nächsten. Einer nach dem anderen. Du denkst
nichts. Du gehst, es ist ein Reflex. Das haben sie dir beigebracht,
weiter zu gehen...
Und wenn du stehen willst? Nicht mehr gehen willst?
An dem Ort, an den ich mich erinnere war es kalt. Stücke brachen aus
dem Eis. Massen von Materie. Sie brachen heraus und erschlugen sie.
Du bist Teil dieser Welt. Dein Selbstbild ist nur der Spiegel und der
Spiegel sind die anderen. Dadurch grenzt du dich ab. Es ist wichtig,
wie sie dich sehen. Für dich. Dir ist dein Spiegelbild wichtiger als du
selbst.
Du willst gut und wertvoll sein.
Für andere. Nicht für dich.
Du bist nicht sie. Dein Ego entsteht nur durch Reaktion auf andere.
Wenn nichts mehr um dich ist, gibt es keine Reaktion. Ohne die anderen
kannst du nicht existieren.
Und das ist doch der Grund warum du weiter gehst?"
"Es ist der Rhythmus, der Atem der Welt. Schlag für Schlag, läuft mir die Zeit davon.
Wer bin ich? Was macht mich aus?
Ist mein Schatten mein wahres Ich? Wie definiere ich mein wahres Ich. Wo endet mein Ego."
Sie
tanzen, tanzen, fallen und sterben. Der graue Himmel, die endlose
Verzweiflung. Und was bleibt sind gelbe Wellen am Grund des Sees.
"Einsamkeit. Wenn niemand bei dir ist. Das nennt man Einsamkeit.
Aber existiere ich neben dem Kollektiv? Bevor ich mich verliere?... Ein
Märtyrer in der Liebe, im Leben, im Tod. Du existierst für andere. Du
glaubst bist zum ende. Die Hoffnung.
Du willst gut für sie sein. Gemocht werden. Geliebt werden."
"Ich brauche niemanden."
"Doch. Sie sind dir wichtig. Wichtigerer als du dir selbst. Die
Gemeinschaft, meine Gemeinschaft... und wenn sie anders ist? Wie viele
Möglichkeiten hätte es gegeben, wenn ich nur einen weiteren Schritt
getan hätte? Nichts gesagt hätte?
Existiert diese Wirklichkeit für mich weiter?"
"Die anderen sind die Grenzen, die dir Individualität verleihen."
"Du existierst nicht ohne sie..."
"... und sie nicht ohne mich."
Fäden 4
... Schwarzes Licht ...
Die prickelnde Haut unter meinen Fingern. Meine Hände zucken. Krämpfe. In Fötushaltung mit ihrem starren Blick. Ihre
leeren, weißen Augen die mich kontinuierlich anstarren, die nichts wahrnehmen, außer den Hass, den sie gegen mich hegt.
Die leeren Pillenschachteln liegen am Boden zerstreut.
Ihre Hände legen sich um meinen Hals, fahren über meine Haut. Ich atme ein.
Ich spüre das ziehen, den Ruck, der meinen Kopf gegen die Wand schlagen
lässt. Spüre, wie ihre Finger durch mein Haar gleiten, über meine
Schädeldecke.
Schwarze Sterne fallen zu Boden, glänzen, reflektieren das Licht.
Sie fährt mit den langen, stumpfen Fingernägeln über die Wand. Das
Geräusch fährt durch mich hindurch, hinterlässt eine klebrige Substanz,
die sich an mich bindet.
Alles an mir, ist an sie gebunden.
Und wieder sitzt sie da, dünn und blas, starrt mich an mit diesen
Augen, die ich vergöttere und hasse. Langsam, mechanisch, krieche ich
auf sie zu.
Ihre Umarmung ist kalt und hart, als würde ich Metall umarmen. Die
Hitze brennt durch mich hindurch. Es ist ein diffuses, unnatürlich
gutes Gefühl zu schmelzen.
Die Sonne scheint, weil Sommer ist. Blätter tanzen über den Boden. Das Lachen eines Kindes, Eis, das in der Sonne schmilzt.
Und sie ist all das, ist Fluch und Segen.
Sie umklammert mich, hält mich fest.
Schließlich ist sie durch mich und ich bin durch sie.
Fäden 5
... Grüner Wind ...
Der Wind weht. Meine Haare tanzen. Ich schmecke Blut auf meinen Lippen. Es
ist die Sonne, aus tausend Diamanten, die bricht und auf mich fällt,
mich an den Boden drückt und mir die Freiheit gibt, Dinge im Licht zu
sehen. Ich lege den Arm auf meine Augen. Glas. Licht.
Das Kailodoskop meiner Seele. Die Funken, die um mich herum sprühen.
Ich drehe mich zur Seite, das heiße Gras unter meiner Haut. Das Blau
des Himmels, das flimmert, sich zentriert und zerbricht.
Die Häuser, die Steine... die Leinwänder sind. Der Regenbogen der einem
vor die Augen fällt. Die Strahlen, die rotieren. Und es tut kaum mehr
weh.
Und dann spüre ich sie. Spüre, wie sie näher kommt, sich an mich heran
frisst, bis sie mich umklammert. Ich kenne die dünnen Arme, ich kenne
ihr krankes Weinen. Die bekannten Klauen, die sich in meinen Rücken
bohren.
Aber den Feind, den ich kenne, ziehe ich
den anderen vor und schließlich ist auch sie ein Teil von mir, ein
destruktiver Menschenfresser.
Die Farben verblassen. Das Grau überdeckt all die Farben.
Die Kälte steigt auf, wie zäher Nebel.
Allumfassend schlecht.