Ich möchte gerne mal ein neues Thema in diesem Forum anstoßen und meine Gedanken zur ersten Visual Novel äußern, die ich gelesen habe. Da ich hier keine weiteren Threads zu dem Thema gefunden habe, hab ich’s mal in dieses Forum einsortiert, hoffe es passt. Viel Spaß beim Lesen! :)
Empfohlene Hintergrundmusik direkt aus dem Soundtrack
Es geht um Rewrite (Wikipedia). Nun, Ich habe Clannad gesehen (alles), Kanon 2006 gesehen, Air und Angel Beats. Little Busters fehlt noch. Mein Interesse daran ist allerdings äußert gering, aufgrund von diversen Meinungen, die zu den letzten Paar Episoden geäußert wurden. Alle haben eins gemeinsam: Sie basieren auf Visual Novels vom Studio Visual Arts Key. Dann habe ich mich bei besagtem Studio umgesehen und bin auf Rewrite gestoßen. Erste Informationen zu dem Supernatural-lastigen Plot klangen sehr interessant. Und da mir alle Anime-Adaptionen von Key sehr gut gefallen haben (und die VNs noch besser sein sollen), dachte ich mir, Rewrite sei bestimmt ein guter Einstieg in die Welt der VNs. Also eben im Internet danach gesucht, und auf einschlägigen Seiten einen Patch gefunden, der das komplette Spiel nach Englisch übersetzt. Die VN-Szene ist bei weitem nicht so aktiv wie die Anime-Szene (so mein Eindruck) und das Übersetzen kostet den Übersetzern durchaus mehrere Monate Zeit, aufgrund der Masse des Textes. Rewrite ist vergleichbar mit dem Herrn der Ringe, Englisch, alle sechs Bücher. Man könnte also sagen, dass ich Glück hatte, eine Übersetzung zu finden. Alle Achtung dem Übersetzer Ixrec… Dann gings los.
Rewrite spielt in einer Fantasy-Welt, in und um die Stadt Kazamatsuri herum. Die Stadt ist von üppigen Wäldern und Feldern umgeben, Naturschutz wird hier ganz groß geschrieben. Unser Protagonist Tennouji Kotarou wohnt in dieser Stadt, ebenso wie die 5 „zur Auswahl“ stehenden weiblichen Charaktere, Kotori, Chihaya, Lucia, Shizuru und Akane. Kotarou ist eher so ein Einzelgänger. Mit dem Start der VN ist er bereits im zweiten Oberschuljahr, ohne auf irgendwelche besonderen Errungenschaften zurückblicken zu können. Er ist nicht alleine, hat aber das Gefühl, nichts erreicht zu haben. Möglicherweise ein Grund – wenn nicht der Grund – für seine Entscheidung, einen Okkult-Club an seiner Schule zu starten und diversen Gerüchten über supernatürliche Phänomene in der Stadt nachzugehen. Seine Kindheitsfreundin Kotori unterstützt ihn dabei. Im Laufe daraus resultierender Ereignisse lernt er die Austauschschülerin Chihaya, die Ordnungshüterin Lucia, den Kampfmaschinen-Loli, ähem die ruhige Shizuru und die mysteriöse Akane kennen. Es dauert etwas, aber nach und nach stößt er tatsächlich auf höchst unnatürliche Gerüchte und wird selbst alleiniger Zeuge übernatürlicher Ereignisse. Hier möchte ich gar nicht so viel vorwegnehmen. Vielleicht lässt sich ja doch jemand auf die VN ein und fängt selbst an zu lesen ;) Neben diesen Hauptcharakteren gibt es auch eine ganze Reihe an gar nicht mal so unwichtiger Nebencharakter. Der Ladenbesitzer Esaka, die Journalistin Inoue und die nie die Augen öffnende Lehrerin Touka. Okay, das war eine Lüge. Sie öffnet irgendwann die Augen, mit einschlagender Wirkung… wie auch immer. Alle vertonten Nebencharaktere spielen im späteren Verlauf der Geschichte eine wichtige Rolle.
Die Geschichte selbst – und das ist einer meiner wenigen leichten Kritikpunkte – entwickelt sich wirklich langsam – und unregelmäßig. Die gesamte Common-Route (also der Teil, der sich nicht auf ein bestimmtes Mädchen konzentriert) spielt in der Schule, der Stadt und im angrenzenden Wald. Hier werden die Charaktere vorgestellt und der Leser bekommt einen Eindruck von deren Persönlichkeiten. Sehr viel epische Story bekommt man hier nicht. Das soll allerdings nicht heißen, dass die Common-Route nicht interessant wäre. Es gibt eine Unmenge an aberwitzigen und teilweise völlig beknackten Szenen, bei denen ich nicht nur einmal lachen musste. Wie es für VNs üblich ist, bekommt man hier ab und zu Entscheidungsmöglichkeiten. Diese haben das Format „Mit Kotori im Klassenzimmer essen“ / „In die Cafeteria gehen“. Die Entscheidungen haben Auswirkungen auf die unmittelbar danach folgenden Ereignisse – aber auch darauf, welche der 5 Charakterrouten nach der Common-Route startet. Kurz vor den Charakterrouten macht der Plot einen gewaltigen Satz. Also keinen Zeitsprung, sondern einige große Offenbarungen in recht kurzer Zeit.
Und noch ein schönes Stück aus dem Soundtrack
Die auf die Common-Route folgenden Charakterrouten sind dann alles andere als lustig – hier wird es traurig, action-lastig, einfühlsam, romantisch und erdrückend. Unser Hauptcharakter wird in politische Verflechtungen hineingezogen und Teil eines seit schon lange andauernden Kampfes. In den Charakterrouten spielt Rewrite seine wahre Stärke aus. Ich kann hier gar nicht so viel schreiben wie ich gerne möchte, ohne zu spoilern. Ich kann allerdings sagen, dass 4 der 5 Routen mich sehr beeindruckt und dieses Gefühl hinterlassen haben, dass man nach dem Abschluss eines epischen Spiels oder eines wunderschönen Romans hat. Dieses Gefühl, gerade etwas Großartiges erlebt zu haben, und gleichzeitig nie wieder in der Lage zu sein, es noch einmal ungetrübt zu erleben.
Auf die 5 Charakterrouten, von denen Anfangs nur Kotori, Chihaya und Lucia zur Verfügung stehen, folgen noch zwei weitere Routen, die das wahre Ende darstellen. Die haben mir den Kopf verdreht. Wer sich das ausgedacht hat, muss auf einem Höllentrip gewesen sein. Alle Erzählungen machen aber im Kontext der VN Sinn und lassen sich mit den Gesetzen der Fantasiewelt von Rewrite erklären. Das gilt übrigens nicht nur für diese beiden letzten Routen, sondern für die gesamte VN. Großer Pluspunkt, Hut ab Key.
Der Soundtrack ist absolut gelungen und hat für jede Szene das passende Stück parat. Die Palette reicht von entspannt, zurückgelehnt, aufgedreht, energiegeladen über traurig, einsam, erdrückend bis hin zu episch und Endzeit-Stimmung. Wenn ihr meiner Empfehlung gefolgt seid, habt ihr bereits einen Eindruck vom Soundtrack bekommen :)
Die Visuals überzeugen durchaus. Sehr detailliert gezeichnet – sowohl die Backgrounds als auch die Charaktere. Natürlich im von uns so geliebten Anime-Stil! Die Charaktergraphiken haben für jede Gemütsstimmung ein entsprechendes Sprite zur Verfügung (traurig, verärgert, nachdenklich, verdutzt, etc…). Die Backgrounds sind vielseitig, trotzdem sieht der Flur in der Schule immer gleich aus und ist immer gleich lang, egal in welchem Teil der Schule. Der Wald sieht auch an jedem Fleck gleich aus. Meckern auf hohem Niveau, und eigentlich kommt es ja bei der Umgebungsbeschreibung auch auf den Text an.
Zu dem kann ich nicht viel sagen. Immerhin handelt es sich um eine Fanübersetzung. Da der Übersetzer Ixrec allerdings schon 7 Vorgängerprojekte hatte, denke ich, dass die Übersetzung durchaus akkurat ist. Der Lesefluss stimmt auf jeden Fall, Tippfehler sind mir auch keine aufgefallen. Ansonsten sind die Beschreibungen sehr umfangreich gehalten und passen immer zur Stimmung.
Die VN ist als All-Ages gekennzeichnet, verzichtet also komplett auf Hentai-Szenen. Es gibt zwar ein oder zwei zweideutige Szenen und einige Andeutungen (und ein verstecktes Oppai-Ending, welches ich noch nicht gelesen habe), ansonsten bleibt die VN durchweg Fan-Service frei. Sehr schön! Darauf hatte ich bei der VN-Auswahl geachtet, Key hat auch einige 18+ VNs veröffentlicht. Auf nackte Lolis kann ich verzichten.
Trotzdem würde ich der VN mindestens ein 12+ verpassen. Besonders in den Charakter-Routen geht es teilweise sehr brutal zu. In Bildern wird zwar nichts dargestellt, die Beschreibungen sind dagegen umso ausführlicher und völlig eindeutig. Albträume bei Kleinkindern sind da vorprogrammiert :)
Spoiler: Eine Szene, die eventuell Rückschlüsse auf den Plot zulässt. Es werden allerdings keine Namen, Orte oder wichtige Ereignisse genannt.
In einer solchen Szene wird zum Beispiel beschrieben, die Bäume so schnell wachsen, dass Menschen, die keine Kraft mehr zum Flüchten haben, von den Wurzeln erfasst werden und lebendig unter Bäumen begraben und erdrückt werden. Uahh… Ich hab‘s generell nicht so mit Pflanzen, das hat mich ziemlich fertig gemacht.
So, dann wäre ich am Ende. Insgesamt kann ich sagen, dass ich keine der ca. 40 bis 50 Stunden, die ich mit der VN verbracht habe, bereue. Ich bin allerdings auch nicht der schnellste Leser. Ich habe teilweise viel Stunden am Stück bis spät in die Nacht hinein gelesen, weil sich einfach kein guter Punkt zum Pausieren finden ließ.
Ich hoffe ihr hattet Spaß beim Lesen dieses Reviews und vielleicht habe ich ja den einen oder anderen, oder die eine oder andere dazu inspiriert, auch mal einen Blick in diese VN zu werfen, die mir sehr gut gefallen hat :). Ich wollte gerade schon Meisterwerk schreiben – aber dazu fehlt mir einfach Referenzmaterial. Ich bin gespannt auf eure Kommentare!
Eurer Optic.