Animes, so heißen die japanischen Zeichentrickfilme, die zunehmend auch von Kindern und Jugendlichen in Deutschland hoch geschätzt werden. Bei Eltern und Pädagogen stößt diese Vorliebe jedoch häufig auf bloßes Unverständnis. Es ist ein Stil aus dem Land der Samurai, der bei Kindern immer größeres Interesse weckt und dessen Fangemeinde in den letzten Jahren enormen Zuwachs verbuchen konnte. Doch wieso sind Animes bei den Kleinen so beliebt?
Während in den 70er Jahren vor allem Science-Fiction-Animes den Markt dominierten, kamen mit der Zeit weitere Genres, wie zum Beispiel Comedy, Sport oder Fantasy hinzu. Aus den anfänglich simpel animierten Kurzfilmen wurden ernst zu nehmende und komplexe Themengebiete, die auch in Büchern – den sogenannten Mangas – ihre Darstellung fanden. Mit „Speed Racer“ lief im November 1971 das erste Anime im deutschen Fernsehen. Seither wuchs der Anteil an japanischen Trickfilmen im Kinderprogramm. Was viele Eltern aber nicht wissen: Im Gegensatz zu den europäischen und amerikanischen Zeichentrickfilmen, welche hauptsächlich auf ein jüngeres Publikum abzielen und kindgerechte Inhalte und Comedy in den Vordergrund stellen, konzentrieren sich Animes in vielen Fällen mit ihrem breiten Themenspektrum ganz klar auf Jugendliche oder junge Erwachsene. Vergleicht man einen Anime mit einem westlichen Zeichentrickfilm, so fallen viele Unterschiede in der Stilistik oder der Dramaturgie auf.
Stilistische Unterschiede
In traditionellen europäischen Verfilmungen soll die Handlung möglichst real dargestellt und der Zuschauer von der Echtheit des Geschehens überzeugt werden. Dessen Einfühlungsvermögen wird dadurch so verstärkt, dass er nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Fiktion unterscheiden kann. Ihr Kind setzt sich also weniger kritisch mit den gezeigten Vorgängen auseinander und macht sich keine Gedanken über den Inhalt.
Bei den eher bild‑ als textorientierten japanischen Dramen hingegen wird der Zuschauer immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass das Geschehnis nicht echt ist. Eben diese Distanz, auch als „Verfremdungseffekt“ bezeichnet, ermöglicht es dem Zuschauer, den Inhalt besser in Frage zu stellen.
Story und Charaktere
Das Besondere an Mangas und Animes ist, dass man nie voraussagen kann, wie die Geschichte ausgeht. Somit wird die Fantasie eines jeden Kindes angeregt, in dem es zum Beispiel selbst Alternativen für das Ende erfinden kann. Während zum Beispiel in Walt-Disney-Produktionen ein Happy End fester Bestandteil des Filmes ist.
Die japanischen Charaktere sind zudem wesentlich komplexer als die westlichen und weisen eine Vielzahl von Eigenschaften auf. Von besonderer Bedeutung sind die visuellen Merkmale. Nach dem sogenannten „Kindchenschema“ werden Figuren gezielt niedlich dargestellt: Sehr groß gezeichnete Augen, überproportional große Köpfe und kleine oder oft fehlende Nasen werden eingesetzt, um die Attraktivität und die Jugendlichkeit zu betonen. Da sich die Charaktere durch die stark stilisierten Gesichter sehr ähnlich sehen würden, sind die Frisur, die äußere Kontur oder die Augen die wichtigsten Mittel, um sie auf den ersten Blick voneinander unterscheiden zu können.
Aber auch Gemütszustände werden durch visuelle Effekte dargestellt. Mit Hilfe der Augen lassen sich Gefühle, wie Freude, Trauer, Hass oder Neid gut darstellen. Auch die Haarfarben spielen eine beträchtliche Rolle bei der Charakterisierung einer Figur. Unbewusst verbinden Zuschauer bestimmte Eigenschaften mit den verschiedenen Farben. So symbolisieren braune Haare zum Beispiel Normalität und Ernsthaftigkeit. Anime-Charaktere sind meist menschlicher dargestellt als Figuren in westlichen Zeichentrickfilmen, da sie gute und schlechte Eigenschaften aufweisen. Durch diese Vermenschlichung der Charaktere können sich die jungen Zuschauer leichter mit ihnen identifizieren und sich –mit zunehmendem Alter‑ somit auch kritischer mit den behandelten Themen auseinandersetzen.
Themen
Seit vielen Jahren ist die Begeisterung von Kindern an täglich ausgestrahlten Endlosgeschichten, in denen es um Abenteuer, Freundschaft, Liebe, Leid, Kämpfe, Intrigen und ungewöhnliche Schicksale geht, ungebrochen. Animes behandeln Themen, die Kindern und Jugendlichen wichtig sind: Es geht um Jungs, Gefühle, trendige Outfits und die alltäglichen Streitereien unter Freundinnen. Mit zunehmendem Alter stehen dann vermehrt Gefühle und Gedanken, sowohl das eigene als auch das andere Geschlecht betreffend, im Vordergrund.
Animes haben sich in den letzten Jahren immer mehr im europäischen Markt etabliert und die westlichen Zeichentrickfilme weitestgehend verdrängt. Es sind sensationelle Serien mit innovativen, ausgefallenen Ideen und neuen Helden, die die Kinder faszinieren. Unterschiede zu konventionellen Kinderserien liegen in der Menschlichkeit der Charaktere, in dem Zeichenstil, in der Themenwahl und der unterschiedlichen Präsentation. Dabei sollten sich Eltern im Voraus informieren, inwieweit eine Serie für ihr Kind geeignet ist. Denn wie bereits angesprochen, existieren Animes auf dem Markt, welche nicht den Ansprüchen einer Kindersendung gerecht werden und durchaus brutale oder sexistische Inhalte darbieten.