Das zweite Herz
Lass mir meine bunten Fäden! Weise spinn’ ich sie zu Gold,
Stricke jedes hübsche Muster – So hast du es doch gewollt!
Flechte mit den flinken Fingern jede Faser für dich ein,
Lass mich nur in deinem Leben ab und zu ein Jemand sein.
Manches Muster mag dich trügen, manches Bild ist fast zu froh,
Manchmal packt dich leiser Zweifel - Sag mir, Freund, es sei nicht so!
Ich erschaffe eig’ne Welten mit den Worten, mit dem Band,
Ich beherrsche alle Blicke, unverhohlen und bekannt.
Ich gebiete dir Gedanken und verdreh sie abermals!
Es sind treue Zeichen, Weisen meines schönsten Rituals…
Lass mich dir die Wahrheit sagen! - Oder lüg ich schon erneut?
Hast du jedes uns’rer Treffen nicht am Anfang schon bereut?
Reich’ mir nur den neuen Faden! Sag mir, wohin willst du ihn?
Lass mich mit dem feinen Roten einen neuen Rahmen zieh’n!
Spielerisch verweb’ ich ihn mit aller Kunst und Spielerlust.
Hörst du nicht das leise Schlagen beider Herzen in der Brust?
Unbedacht hält eines lachend jede Faser, die es spinnt,
Über die es boshaft kichernd nie ein zweites Male sinnt,
Wenn es schon das Bild vor Augen nach den bunten Fäden greift,
Während in dem bitt’ren Schlagen jeder böse Plan längst reift.
Skrupellos verknüpft es Irrtum mit der Lüge, die nie brennt,
Mit der längst verstummten Weisheit, die das zweite Herz nur kennt,
Das sich zögernd, das erschaudernd manche Hände vage streckt
Und mit letztem leisem Zucken einen Trug auch in sich weckt,
Bis die allerletzte Wahrheit jeden Zweifel dann zerstört!
Hast du während meines Strickens nicht aufs zweite Herz gehört?
Lass es nur und es schlägt wieder, schlägt in Vorsicht und Bedacht,
Lass mir meine bunten Fäden, lass mich spinnen, doch gib Acht!
Manches Muster setzt Erstaunen, Sympathie und Glück und Trost,
Manche Farben machen dich mal fröhlich, taumelnd und erbost,
Werfen dich in einen Strudel, dem du nicht entrinnen kannst,
Weil du mir und meinem Herzen viel zu früh zu trau’n begannst.
Schließ' die Augen, lausche weise, lausche, sonst ist es zu spät!
Hörst du nicht das leise Zittern meines Herzens, das versteht,
Dass die wundervollsten Fäden dich mit ihrem Glück betrügen?
Dass sie täuschen, dich verwirren und dich viel zu schön belügen?
Reich mir meine bunten Fäden, weise spinn ich dich schon ein!
Lass mich nur in deinem Leben dass vergess’ne Übel sein,
Das dir tausend schöne Welten in den leeren Kopf einpflanzt
Und mit seinen Schatten kichernd auf dem Lebensfaden tanzt.
Längst verstummt sind dann die Zweifel und das zweite leise Herz,
Ich erdrücke dich mit Wahnsinn, mit dem bittersüßen Schmerz!
Halte nur den Blick nach oben, sieh nicht auf den kalten Stein,
Wo die bunten Fäden schwarz sind, schattenhafter wahrer Schein.