• Flure



    Und da stand sie also, den Regen an ihren Kleidern und in ihrem Herzen. Es schien mir, als würden die Wolken sie beweinen; in einer Sintflut aus Mitleid ertränken, was einst pures Licht war.
    Wann war sie gefallen? Die Tränen des Himmels verwuschen alle Spuren davon und doch zeigten sie es so deutlich.
    Sie starb. Ewigkeiten schon.
    "Was tust du hier?", fragte ich, während ich das von Wasser triefende Mädchen vor meiner Tür anstarrte. Pfützen hatten sich um ihre Füße gebildet, welche in Stoffturnschuhen steckten. Das gelbe Licht schimmerte darin und verzerrte das Abbild des Mädchens zu einem Monster, das auf der dunklen Oberfläche waberte.
    "Nichts", kam die zögernde Antwort. Zuerst hatte der übliche Kloß i9m hals bewältigt werden müssen. Auch er schien an ihrer schwarzen Jacke herab zu rinnen und sich in dem See aus Tränen zu ihren Füßen zu sammeln.
    "Kann ich rein kommen?", fragte sie schüchtern, ihr zaghaftes Lächeln engelsgleich am Gesicht haftend, ebenso wie die strähnig blonden Locken.
    "Du bist nass", erwiderte ich und wie um meine Worte zu bestätigen scharrte sie verlegen mit einem Fuß durch ihr Meer. Die folgende Stille wurde vom Zerschellen der Himmelstränen untermalt, leise, stetig, als wolle es nie enden. Nie enden.
    Die Sparlampe des Flurs flackerte kurz auf, bäumte sich ein letztes Mal gegen das Dunkel auf. Verlor den Kampf. Nur der Spalt warmen, gelblichen Lichts, der durch meine Tür fiel, erhellte ihr Gesicht und ließ gleichermaßen bizarre Schatten drauf tanzen.
    "Willst du mich hier stehen lassen?", fragte sie gepresst. Anstatt auf den Lichtschalter zu drücken, standt sie reglos wie eine Marmorstatue im Flur. Es musste sich wohl ein neuer Schwall Tränen in ihrem Hals fest gebissen haben.
    "Du könntest auch nach Hause gehen", antwortete ich ehrlich.
    Ihre Blick schwamm davon, versank hinter einem wässrigen Schleier und galt einem trüben Ort, dessen Eingang sich auf meiner Stirn befinden musste. Die Lippen schürzend nickte sie langsam und fixierte den Boden, auf dem die Wellen aus Schmerz wogten. Hin und her. Auf und ab. Immer wieder.
    Als ich Anstalten machte meine Tür zu schließen und sie in Dunkelheit zu versenken, schlug sie mit brachialer Gewalt auf den Lichtschalter. Der Laut hallte im herunter gekommenen Flur wieder wie die Explosion einer Bombe.
    "Hilf mir!", brach es aus ihr heraus, während sich erneut Tränen in ihren ohnehin glänzenden Augen sammelten, um sie in ihrem eigenen Ozean zu ertränken. Noch heftiger verlangte sie "Hilf mir gefälligst!"
    Sie begann zu schluchzen; dicke, schwere Tropfen, die mit einem satten Platschen aufprallten. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt.
    Ich legte den Kopf schräg. "Der gerechte Zorn eines Engels?", fragte ich mit einer Mischung aus Spott und ehrlichem Interesse.
    "Nein", antwortete sie mit einer Stimme, die so zerbrechlich wirkte, wie ihre ganze Erscheinung. "Die Verzweiflung einer Freundin"
    "Was soll ich tun?" Ich veränderte meine Tonlage ebenso wenig, wie sie den Ton, mit dem die Tränen Löcher in den Boden schlugen.
    "Sie streiten Zuhause! Ich halte es einfach nicht aus!", schrie sie und ließ das Echo ihre Verzweiflung vertausendfachen. Zaghaft fügte sie hinzu: "Und ich dachte, da bei dir niemand mehr da ist..."
    Die Tränen schlugen wie Bomben auf die Fliesen. Jeder Knall ließ mein Herz erneut zusammen zucken.
    "Es tut mir Leid", erwiderte ich nach einer kurzen Pause unterkühlt. "Du bist nass"
    Damit schloss ich die Tür tonlos, hüllte mich in meine künstliche Wärme und ließ den sterbenden Engel vor meiner Tür in seiner Sintflut ertrinken.



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    Ich habe es mir zum größten Spaß gemacht, verkappte zwischenmenschliche Beziehungen zu verpacken. Danke also fürs Lesen ^^
    Ich hätte gern einen schöneren Titel gehabt aber in Ermangelung des ultimativen Titels bin ich ganz zufrieden mit dem Unkreativen xDD
    Wie auch immer^^"
    Wer seine Meinung sagen will, sei sie positiv oder negativ, immer wieder gern^^

    "Fedrig stark sind meine Schwingen
    Und obwohl ich schwer wie Blei
    Kannst du mich nicht mehr bezwingen,
    Bin ich endlich federfrei. "


  • Wie ich finde ein gelungenes Stück Literatur, und eigentlich sollte ich mir Interpretationen verkneifen da meine Gabe mich missverständlich auszudrücken treffsicher dafür sorgt das sie den Leuten regelmässig um die Ohren fliegen...
    Aber für mich war diese Geschichte ein gutes Beispiel für den Gedanken, dass eine Freundschaft ohne gegenseitigen Respekt im Grunde keine Freundschaft ist... Gut gelungen ist auch der innerliche Konflikt des Ich´s, es wirkt einerseits kühl, ja fast kaltherzig aber andererseits aber auch ernsthaft enttäuscht und verletzt. Und obwohl du weder eine Vorgeschichte in die Geschichte eingebracht hast oder ein konkretes Ereignis auf das man Rückschluss ziehen könnte hat man bereits früh das unbestimmte Gefühl dass irgendwas ganz und gar nicht in Ordnung ist.
    Dafür kam die konkrete Erkenntnis jedoch schlagartig, als gut ausbalancierter Höhepunkt...


    "Sie streiten Zuhause! Ich halte es einfach nicht aus!", schrie sie und ließ das Echo ihre Verzweiflung vertausendfachen. Zaghaft fügte sie hinzu: "Und ich dachte, da bei dir niemand mehr da ist..."


    Eine Handvoll Worte die eine ganze Menge aussagen... sehr gelungen. Und ich kriegs nicht hin mich vernünftig zu erklären, jedoch glaube ich zu verstehen weshalb du diesen Titel gewählt hast und muss dir gestehen dass ich ihn sooo schlecht und unpassend gar nicht finde... O_oV

    I see the lights of the village

    gleam through the rain and the mist

    and a feeling of sadness comes o´er me

    that my soul cannot resist