Es war wie in einem dieser schlechten Filme. Mein Blick ruhte fest fixiert, fast wie angenagelt an der Mauer, aus der mal stärker, mal schwächer die klopfenden Geräusche drangen. Die Laute tänzelten im Takt meines Herzschlag durch den Raum und ich fühlte mich derart gefesselt, das ich noch nicht einmal einen Schritt Rückwarts gehen konnte als die Mauer plötzlich anfing unter dem Hämmern zu bröckeln. Was auch immer sich auf der anderen Seite im Untergrund verbarg, es hatte große Mühe hindurch zu brechen, aber aufhalten ließ es sich nicht. Mein Herz schlug immer lauter, pumpte dickflüssiges Blut geräuschvoll in meine Halsvene und ich fühlte mich, als drohe mein Kopf jeden Moment unter der pulsierenden Angst zu explodieren, denn plötzlich geschah es! Explosionsartig splitterte das morsche Ziegelgestein und gab einen mannsgroßen Durchgang frei. Ein dicker, spitziger Gegenstand schoss direkt aus der Öffnung an mir vorbei und schlug in der maroden Holztüre direkt hinter mir ein. Erschrocken stolperte ich zurück und drückte mich hinter eines der Ölfässer die im Keller lagerten. Ich hoffte so sehr, so sehr das sie mich nicht entdecken würden… die Legionen, die schwarzen Reiter, die wieder auferstandenen Krieger aus längst vergessener Zeit die nun lautstark auf mich zumarschierten und alles auf ihrem Weg platt trampelten was sich ihnen in den Weg stellte. Doch sie stampften direkt auf mich zu!
„Bitte… bitte tut mir nichts“ flüsterte ich verstört als ein kicherndes Skelett die Ölfässer wegschleuderte und mich beim Kragen packte. Seine Augen.. Seine Augen… sie glühten, feuerten… sie gaben direkten Einblick in die Hölle und je länger ich in sie hineinstarrte, grauenvolle Einblicke über bittere Qualen und Blutvergießen entdecken musste, umso weiter öffnete sich mein Mund und das schrille Schreien röhrte aus meiner Kehle hinaus, hoffend das der Alptraum nun ein Ende hatte, jetzt, da ich verschwitzt aus meinem Kissen schnellte und bemerkte das sich mein Schreien mit dem brummenden Piepen des Weckers vermischt hatte.
Mein Puls schnellte noch immer durch meinen Körper und ich atmete hektisch die verbrauchte Luft meines stickigen Zimmers. Das war es also, so war es immer. So fühlte es sich an wenn mich meine Angst am Schopf packte und mich durch den Schlaf wirbelte, hetzte und mir den letzten Tropfen Kraft aus dem zitternden Körper quetschte.
„Schon wieder so ein Traum.“ Flüsterte ich leise bei mir „Langsam frage ich mich aber wirklich was es mit diesen Träumen auf sich hat“
Der Tag hatte seinen Anfang genommen, das wusste ich, also schwang ich mich aus dem Bett und marschierte ins Bad. Während ich mich frisch machte, für den abenteuerlichen Alltag der sich heute aufdrängte, versank ich in Erinnerungen und grub nach dem was mich bis heute noch begleitete. Ja, ich wühlte in meiner Kindheit und spontan wusste ich es wieder.
Ich fürchtete ihn damals als kleines Mädchen schon, den muffigen, alten Keller der alles andere als Wärme und Schutz ausstrahlte. Eigentlich hatte ich gar keinen Grund dafür, aber jedes Mal wenn ich hinunter musste in das modrige, bröckelnde Gemäuer, umklammerte mich die nackte Angst vor den Kreaturen die dort unten ihr Zuhause hatten. Imaginäre Wesen die den Köpfen fremder Kreativgeister entsprungen waren und sich derart in meiner Phantasie manifestiert und festgenagt hatten, das es immer zu einem Wettrennen für mich wurde die Treppe hinauf zu hasten und die Türe hinter mir zu verschließen. Damals verstand ich noch nicht, was es mit meiner Furcht auf sich hatte. Wie sollte ich auch, schließlich hatte mir niemand verraten das ich mehr als nur ein einfacher Mensch war, doch schon bald sollte sich das ändern. Denn ich war ein Mensch, der den sicheren Tot bedeuten konnte…
„Lyra?“ schallte es aus der Küche, als ich vor den Fernseher geklemmt verbissen an einem Videospiel kämpfte. Ich hasste es meinen Namen zu hören, denn wann immer er in diesen Wänden ausgesprochen wurde, lauerten Aufgaben auf mich die bewältigt werden wollten.
„Lyra?!“ ertönte die weibliche Stimme noch ein bisschen bissiger. Ich ahnte es schon. Ich hoffte, ich könnte mich taub stellen, doch hatte alles keinen Zweck. Früher oder später würde mich das fordernde Individuum aufspüren und sein Verlangen aussprechen.
„Ja Mama?“ antwortete ich schließlich und wünschte mir insgeheim nur mit einer Frage konfrontiert zu werden, die keine Bewegung von mir verlangte.
„Sag mal bist du taub?!“
Eine zornige Fratze schob sich vor den Fernseher und riss mir den Controller aus der Hand. Offensichtlich war sie so in Rage das sie mich nicht mal antworten gehört hatte und nun ging mein Spielstand aus ihrer Willkür heraus vor die Hunde.
„Na super Mama! Du hast es verdorben. Jetzt muss ich das ganze Level nochmal spielen.“
Mit schmollender Miene drehte ich mich weg und starrte die großen Fenster des Wohnzimmererkers hinaus. Der Erker war einer der wenigen Räume im Haus die ich wirklich mochte. Ich liebte die riesigen Fenster die ein breites Panorama angrenzender Wälder und felsiger Berge zeigten und Sonnenuntergänge zu einem leuchtenden Spektakel werden ließen. Allein der Gedanke an diesen Anblick besänftigte meinen Unmut.
„Du musst etwas für mich erledigen“ sprudelte die blutsverwandte Figur einfach munter weiter, ohne auf das zu reagieren was ich ihr sagte. Sie ging niemals auf das ein was sie nicht interessierte.
„Ich bin gerade dabei Kuchen zu Backen und schaffe es nicht mehr die Wäsche fertig zu machen. Es ist noch eine Ladung unten in der Waschmaschine. Kümmerst du dich bitte darum?“
Mamas Redeschwall war kaum zu stoppen. Sie war so sehr mit diesen nichtsnutzigen Vorbereitungen für ihre höchst private ‚böse gute Nacht Geschichten’-Party beschäftigt, das es ihr nichtmal in den Sinn kam mich zu fragen ob ich das wirklich wollte. Es war MEIN Geburtstag und ich wollte ihn nicht mit Versteckspielen oder Schnitzeljagden quer im ganzen Haus verbringen. War ich mit 14 Jahren nicht schon etwas zu alt für solche Mätzchen?
„Wenn’s sein muss“ erwiderte ich gelangweilt und räkelte mich unter genüsslichem Strecken auf dem Couchsessel. Jetzt gab es also kein entrinnen mehr. Einige Sekunden verstrichen in denen ich gedankenverloren daran dachte was mir blühte. Obwohl sie um meine Angst wusste, steckte sie mich immer wieder gegen meinen Willen in den Keller. Jedes Jahr, jede Nacht in der ich geboren wurde und jedes mal lud sie Leute ein die die irrsinnigsten Kostümpartys schmissen um mich abzuhärten. Offensichtlich glaubte sie mir so den Teufel austreiben zu können der an meinen Kopf geklopft hatte und eingetreten war. Ich hatte niemals verstanden warum ein Mensch so dumm sein musste. Wenn dies jedoch ihr Plan war mich frühzeitig ins Jenseits zu schicken, wer weiß, vielleicht würde es ihr eines Tages sogar glücken. Hartnäckig genug war sie jedenfalls.
Die Sonne hing schwermütig über dem Horizont. Die Zeit war heute Nachmittag unheimlich schnell davon geflogen und jetzt hielt mich jeder dustere Gedanke, jede finstere Vorahnung in diesem bequemen Sessel gefangen. Wie gerne wäre ich jetzt sitzen geblieben. Wie gerne wäre ich davon gerannt um all dem zu entkommen was auf mich lauerte. Doch sie würden mich nicht gehen lassen. Und heute wären es nicht nur Leute die sich verkleideten. Nein, heute würde meine fleischgewordene Angst seine Hand nach mir strecken. So sehr ich auch unter meiner Angst litt und so sehr ich mich gegen sie wehrte, es gab kein entrinnen, keinen Ausweg, denn heute sollte sich mein Schicksal erfüllen, es hatte es mir selbst erzählt.
Langsam hievte ich meinen bleischweren Körper in die Höhe um ihn in Richtung Keller zu schicken. Mein Herz begann schon zu flattern als ich auf den Flur marschierte, die Kellertür öffnete und in seinen dunklen, lichtlosen Schlund starrte. Behutsam tastete ich nach dem altmodischen Lichtschalter den ich einmal nach links drehte bis er knackte und warmweißes Licht die Stufen spärlich ausleuchtete. Jetzt hieß es Augen zu und durch. Mit zitternden Knien hetzte ich die Treppe hinunter, erledigte die letzten Stufen mit einem Sprung und stürzte mich durch die erste Tür in den Waschkeller hinein. Ich atmete schwer als ich mich bückte und den Inhalt der Waschmaschine hastig in den Korb zerrte. Ich wollte weg, einfach weg, denn die Geräusche die aus dem hinteren Arial des Kellers zu mir drangen zerrten an meiner Beherrschung. Mir war so, als würden Stimmen in den Wänden wandern. Stimmen die zu mir sprachen, meine Nähe suchten und immer lauter wurden. Hektisches Getuschel, Schreie, wispernde Flüsterer die mir erzählten dass die Jagd nun eröffnet war. Wimmernd griff ich mir den Korb, klemmte ihn zwischen Arm und Hüfte und rannte wie vom Teufel gejagt die Treppe hoch, doch schon noch den ersten Stufen setzte mein Herz für einen kurzen Augenblick aus. Warum zum Henker war die Tür verschlossen?! Warum war sie zu?! Ich hatte sie doch sperrangel weit offen gelassen! Warum war sie zu?!!! Die letzte Hoffnung war noch nicht gestorben. Reflexartig griff ich nach der Klinke, doch die Tür bewegte sich keinen Millimeter. Fantastisch! Man hatte mich eingesperrt.