Und da war der Punkt erreicht, als ich nicht mehr in ihre klaren, blauen, mich durchbohrenden Augen schauen konnte. Hektisch suchte ich mir instinktiv einen Punkt, auf den ich mich erstmals konzentrieren konnte.Verklärtes Wasser tropfte in einem regelmäßigem Takt von dem zerfressenen, rostigen Metall der Dachrinne und trommelte einen Rythmus auf den ebenso abgenutzten Steinboden. Als ich keine weiteren Details außer einer langbeinigen, unbeholfenen Spinne ausmachen konnte und mich das anfangs beruhigende, dumpfe Platschen nach einer gefühlt halben Ewigkeit fast um den Verstand brachte, startete ich einen zweiten, zaghaften Versuch. Ich stockte kurz, verlor augenblicklich ein Stück meiner zuvor kläglich angesammelten Gelassenheit und ballte die Fäuste, als ich in dem himmelblau erkannte, dass es mich die ganze Zeit über beobachtet hatte. Die starren, aber klaren Augen ließen keine Fragen offen. Es war so. Ich erwartete sofort, sie würde in ein schallendes Lachen verafallen, zumindest ein wenig schmunzeln, bei meinem tapsigen, welpenartigen, für mich völlig untypischen Benehmen.Aber sie schien all meine Ausdrücke äußerst ernst und mit einer erschreckenden Bedachtheit in sich aufzunehmen und zu speichern. Sie nahm mich unverklärt und vollkommen wahr. Ich konnte das leichte Zittern nicht unterdrücken und auf einen Schlag war mir kotzübel. Sie sah MICH. Man erkannte, wie sie durch ihren zierlichen Brustkorb langsam und so bedächtig etwas von der lauwarmen Sommernachtsluft nahm, als wüsste sie genau, wie viel sie benötigte, um die Frage zu wiederholen, die sie zuvor mit dem selben Gesichtsausdruck gehaucht hatte. "Magst du dich?" Langsam aber stetig verspannte sich mein Kiefer immer mehr, meine Knöchel färbten sich weiß und meine geballte Faust zitterte unkontrolliert. Die Beunruhigung und Unsicherheit wich der verwirrten Wut. Was wollte sie eigentlich? War es ihr so wichtig mich bloßzustellen? Ich wettete, sie würde planen mich später vor der gesamten Klasse vorzuführen, dann wäre ich mal der größte Lacher. Ich wäre das Opfer und nicht der selbstbewusste, beneidenswerte Nick, der selbst den Lehrern ohne Bedenken die Stirn bot. Aber.....war ich das überhaupt? Die lähmende Erkenntnis breitete sich langsam aus, ich schüttelte energisch den Kopf, doch ich konnte diese leicht blockieren, bevor auch meine innere Fassade zu brökeln beginnen könnte. Darin hatte ich Übung. Ich biss mir auf die Lippe, nahm nach einer Weile den zufriedenstellenden Geschmack war.
Dann fing ich an über beide Ohren zu grinsen. Natürlich, der war ich. Was sollte mir denn so eine anhaben? Ich hob meinen Kopf ein wenig, mit dem breiten Lächeln gezeichnet und zog spöttisch die Augenbrauen hoch. "Ist die Frage ernst gemeint?" Ein hohles, humorloses Lachen meinerseits. Die Hände lässig in den Hosentaschen, ein überhebliches Pokerface. DAS war ich. So sollte es sein und nicht anders. Nun konnte ich ihrem regungslosen Gesicht ohne jegliche Bemühung Paroule bieten. Doch jetzt spiegelten sich in ihren Augen Sorge, Enttäuschung und, was mich kurzerhand doch erneut aus der Bahn warf, Mitleid wieder. Sie legte ihren hellen Haarschopf schief und lächelte entschuldigend. "Es tut mir leid...Ich wollte mich nur vergewissern. Danke für die Bestätigung." Dann ließ sie mich und meine wirbelnden Gedanken mit federleichten Schritten allein.