Der Oktopus und die Eule (Kleine Leseprobe)

  • Ein paar wenige aus dem Forum kennen ja schon meine fortlaufende und noch in Arbeit befindliche Geschichte "Der Oktopus und die Eule" und ich dachte mir, wieso stelle ich nicht einmal ein paar Zeilen dem Forum zur Verfügung. Eventuell gibt es in absehbarerer Zukunft auch eine TeamSpeak-Vorlesung, mal schauen. Da sich die Geschichte an Kinder richtet, sind die Kapitel sehr kurz gehalten. Viel Spaß. :wacko:




    Der Oktopus und die Eule



    - 1 -


    Der Himmel über dem Meer




    „Ach, wie herrlich muss doch das Fliegen sein.“, sagte sich der kleine quirlig-gelbe Oktopus, der sich von der weichen Strömung an die Oberfläche hatte treiben lassen. Er blickte mit verträumten Augen hoch zum Himmel, dessen Blau dem des großen Ozeans in nichts nachzustehen schien. Es war ein leuchtendes freundliches Blau, durchsetzt von unzähligen Wölkchen, deren Ganzes im Sonnenlicht dem eines glitzernden Heringsschwarms im Wasser ähnelte - in seiner Bewegung nur deutlich langsamer.


    „Da, die Wolke dort sieht aus wie ein Thunfisch und die längliche da drüben wie eine unheimliche Muräne. Also hatte Großvater recht. Wir Fische werden in den Wolken wiedergeboren.“, sinnierte der kleine Oktopus und begann dabei gemächlich seine acht Arme gleichmäßig auszustrecken und mit etwas Schwung wieder einzuziehen, um sich in Bewegung zu setzen. Wenn Fische sterben, so der Großvater, kehren Ihre Seelen erst zurück ins große Meer, steigen dann als Dampf hoch zum Himmel und werden dort zu Wolken. Ist ihre Zeit der Wiederkehr gekommen, so zerfallen diese Wolken in tausende von kleinen Wassertropfen und jene Tropfen, die im salzigen Blau des Meeres landen, bilden das Leben im kommenden Laich. Vielleicht hatte Großvater seine Geschichte etwas ausgeschmückt, aber unwahr schien sie dem kleinen Oktopus nicht zu sein. Schließlich gehören Oktopoden zu den schlauesten Bewohnern im Ozean und Großvater war schon so alt und so weise, es musste also etwas Wahres darin liegen. Er würde seinem Enkel niemals Lügenmärchen erzählen.


    „Wann wohl Mama und Papa ins Meer zurückkehren?“, fragte sich der kleine Oktopus und bekam dabei ein Gefühl, als verwandle sich sein sonst so leichter und elastischer Körper in einen schweren Felsbrocken, der ihn kräfteringend nach unten in die kalten Tiefen ziehen wollte. Seine Farbe wechselte schlagartig in ein dunkles Violett.


    „Wenn ich nur Fliegen könnte. Dann wäre es bestimmt kein Problem, zu Mama und Papa hochzusteigen und sie zu fragen, wann sie zurückkommen werden. Das muss doch irgendwie möglich sein?“, fragte sich der Oktopus und umrankte sich mit seinen Armen. Er hatte so die Form einer Kugel gebildet. Der Kleine grübelte und grübelte und schwebte wie ein einsamer Lampion inmitten des Ozeans. Nichts umgab ihn in diesem Moment, abgesehen von ein paar Algen, die sich in der Strömung wie Fahnen im Wind hin und her bewegten und Plankter, welche wie kleine funkelnde Sternschnuppen am Oktopus vorbeirauschten. Die Zeit verging.


    „Ich hab‘s! Das ist die Idee!“, rief plötzlich der kleine Oktopus freudestrahlend und schnellte dabei alle acht Arme rings um sich herum aus. Seine Farbe wechselte vom dunklen Violett zurück in ein quirliges Gelb - nur seine Wangen waren Orange - und unter der langsam untergehenden Abendsonne, strahlte er wie ein funkelnder Stern am nächtlichen Firmament. Er setzte sich in Bewegung und schwamm dabei so schnell, dass er gefühlt selbst zur Sternschnuppe wurde. Ein Plankter schaute ihm verwundert nach.




  • - 2 -


    Zuhause bei Großvater



    Der Heimweg dauerte eine Weile, war doch die Strömung hin und wieder so stark, dass der kleine Oktopus immer wieder zurückgeworfen wurde. Aber die fixe Idee, die er sich fest vorgenommen hatte, gab ihm immer wieder einen enormen Schub nach vorne. Trotz der mittlerweile eingesetzten Finsternis fand er den Weg ohne sich zu verirren, kannte er diese Untiefen doch seit seiner Geburt wie kein anderer. Endlich war er an Großvaters und seinem Unterschlupf angekommen. Dieser bestand aus einer alten großen Seemannstruhe, eine von Menschenhand hergestellte und aus robustem Eichenholz bestehende große Kiste, welche über die Zeiten hinweg mit Muscheln und Algen und kleinen Korallen bewachsen war. In der linken Seite klaffte ein kleines etwa faustgroßes Loch, welches einst durch den Aufprall am Meeresgrund verursacht wurde, als die Truhe vor vielen Jahren von Bord ging. Dieses Loch hatte die perfekte Größe für Oktopoden. Ohne größere Mühen konnten sich der Junge und sein Großvater schlüpfrig ein und aus bewegen, wo andere Meeresbewohner ihre Probleme hätten oder gar nicht hindurch kämen. Einmal schwamm ein neugieriger Kugelfisch durch die Öffnung und als Großvater mit energischem Tonfall raunte: „Wer wagt es da mein Heim zu stören!“, erschrak der arme, blähte sich auf und steckte wie ein Korken fest im Loch. Es dauerte mehrere Stunden, bis der aufgewühlte Kugelfisch sich wieder beruhigte, seine Anspannung löste und hastig von dannen schwamm.


    „Großvater, ich bin wieder da!“, rief der kleine Oktopus freudig, während er die kleine Öffnung durchquerte.


    „Großvater?“


    Tief im hinteren Teil der Truhe verbarg sich ein großer dunkler Schatten, der sich leicht - wie der Blasebalg eines Schmieds - auf und ab senkte.


    „Großvater, bist du wach?“, fragte der Junge. Langsam begann sich der große dunkle Schatten zu bewegen und vier alte, aber immer noch kräftige Arme - zwei zu seiner Linken, zwei zu seiner Rechten - streckten sich ihm entgegen. Die großen Saugnäpfe der alten Arme, die dem kleinen Oktopus so vertraut waren, saugten sich an den hölzernen Wänden fest und mit einem schlurfenden Geräusch zog sich der Großvater langsam voran. Er hatte die Farbe von alten Weintrauben.


    „Ah, da bist du ja mein Junge. Hast du wieder die sieben Weltmeere unsicher gemacht oder bist in die tiefsten Tiefen hinab getaucht?“ Großvaters riesige Augen, die im Laufe seines Lebens trüb und grau wurden, besaßen noch immer etwas Warmes, Fürsorgliches. Direkt vor seinem Enkel kam der große alte Oktopus zum liegen und auch wenn er sich nur sehr langsam voran bewegte, wirbelte sein Halt eine große Menge Sand und Schlamm auf, die das Innere der Seemannstruhe in einen milchigen Schleier tränkte.


    „Ich war an der Oberfläche und habe mir die Wolken und den Himmel betrachtet, Großvater.“, antwortete der Junge. Der kleine gelbe Wirbelwind schwamm voller Enthusiasmus um den großen alten Oktopus herum und der milchige Schleier begann sich langsam zu lichten, so wie die Strahlen der Sonne einen Nebel Stück für Stück auflösen.


    „Da waren unzählige Wolken, Großvater! Da waren ganz viele kleine an einem Fleck, die wie ein Schwarm aus Heringen glänzten, und eine Wolke so groß wie ein Thunfisch. Da war selbst eine längliche Wolke, die wie eine finstere Muräne wirkte.“, plapperte der Kleine aufgeregt wie ein Wasserfall. Dabei begann sein Körper in den unterschiedlichsten Farben zu blinken. Sein Gelb wurde zu einem kräftigen Orange, das kräftige Orange zu einem feurigen Rot, das feurige Rot zu einem leuchtenden Grün und vom leuchtenden Grün wieder hin zum Gelb.


    „Das klingt aber aufregend mein Junge! Hast du auch zwei Wolken entdeckt, die wie zwei Oktopoden aussehen?“, fragte der Großvater mit ruhiger Stimme. Der kleine Oktopus wurde daraufhin langsamer in seinen Bewegungen und ließ sich sachte auf den Boden der Truhe sinken.


    „Nein, ich habe den Himmel sehr lange beobachtet, aber Mama und Papa konnte ich nirgendwo finden.“ Für einen kurzen Moment wurde es still um den kleinen gelben Oktopus. Sein Leuchten begann zu flackern, wie die Flamme einer Kerze im Windhauch.


    „Aber ich werde sie noch finden! Sie schweben bestimmt viel höher, als die anderen Wolken und genau deshalb konnte ich sie von der Oberfläche aus nur nicht sehen.“ Seine Stimme klang hoffnungsvoll.


    „Ja, das glaube ich dir. Du wirst sie eines Tages mit Sicherheit hoch oben am Firmament sehen.“ Großvater schloss seine Augen und nickte dem Jungen zustimmend entgegen.


    „Ja, und ich weiß auch schon wie!“ Der Kleine strahlte seinen Großvater an.


    „Und wie?“, fragte dieser.


    „Ich erlerne das Fliegen! Dann werde ich sie ganz schnell gefunden haben und fragen, wann sie zu uns zurückkehren werden!“ Bei diesen Worten funkelten die Augen des kleinen Oktopus wie zwei Perlen, rein und silbrig-weiß.


    „Oha!“, sagte der Großvater mit einer staunenden Verwunderung. - „Und wie willst du das bewerkstelligen?“, fragte er anschließend.


    „Das… weiß ich noch nicht genau, aber ich werde bestimmt einen Weg finden. Mir fällt schon was ein. Schließlich bin ich doch ein schlaues Kerlchen, nicht Großvater?“, grinste der Kleine seinen Großvater an. Der Großvater begann laut zu lachen und man könnte meinen, der Farbton seiner an alte Weintrauben erinnernden Haut würde für einen kurzen Augenblick hell aufleuchten.


    „Ja, das bist du - keine Frage! Vielleicht bist du sogar schlauer als dieser alte Oktopus hier! Du erfreust meine drei Herzen immer wieder aufs Neue, mein Kleiner! Aber es ist schon spät und du solltest dich schlafen legen.“ Mit diesen Worten blähte sich der alte Oktopus auf, saugte sich voll mit salzigem Meerwasser, presste dieses mit einem Male wieder heraus und gab sich so einen beachtlichen Schub, das er wieder im hinteren Teil der großen Truhe landete, sich umdrehte und im Schatten verschwand.


    „Gute Nacht, Großvater!“, gähnte der kleine Oktopus, drehte sich noch einige Male umher und kugelte sich anschließend zusammen. Er fiel in einen tiefen Schlaf.

  • - 3 -


    Der Traum




    Der kleine Oktopus wandelte durch die tief schwarze See. Er schwamm mit dem Kopf voraus und obgleich ihn eine undurchdringliche Finsternis umhüllte, hatte er keine Angst. Er fühlte sich auf eine Art und Weise behütet, die er so noch nicht kannte. Doch was beschützte ihn? Und wovor? Etwas schien auf ihn Acht zu geben, etwas weit über ihm. Der Großvater vielleicht?


    Seit dem Verschwinden seiner Eltern vor vielen Jahren war er stets in dessen Obhut gewesen. Er war es auch, der ihm all das beibrachte, was man als Oktopus wissen muss. Wie man beim Schwimmen seine Kräfte spart, indem man sich von der Meeresströmung treiben lässt. Wie man seine acht Arme am geschicktesten zum Einsatz bringt. Wie man sich auf die Lauer legt und seine Tarnung bis zum entscheidenden Augenblick aufrecht erhält, um dann blitzschnell zuzuschlagen. Auch das Verstecken vor Feinden war - wie er zu sagen pflegte - überlebenswichtig. Er lehrte den Kleinen ebenso viel über die unzähligen Arten von Meeresbewohnern, vom kleinsten Plankter zu den majestätischen Medusen, über Seesterne und Seeigel, Schwämme und Korallen, Krebse und Muscheln, über Haie und Rochen bis hin zu den gigantischen Walen. Er war für den Jungen nicht nur ein Großvater, er war ihm ein Quell unendlicher Weisheit und egal welche Frage ihm der kleine Oktopus auch stellen mochte, der Alte wusste immer eine Antwort oder Rat.


    Plötzlich verspürte der Kleine einen starken Strom gleißenden Lichts unter sich, der ihn unwillkürlich erfasste und erst langsam, dann aber immer schneller und schneller nach oben zog. Wie ein Stern breitete er seine Arme aus und schwebte immer höher durch den tiefblauen Ozean. Er sah schon die Oberfläche immer näher auf sich zukommen und jeden Moment würde er diese durchbrechen. So atmete er nochmals tief durch und schloss dabei die Augen. Mit einem plätschernden Geräusch und einer spritzenden Fontäne durchbrach der kleine Oktopus die Oberfläche und schwebte unaufhaltsam weiter nach oben. Es war Nacht und am schwarzen Himmelszelt funkelten tausende von Sternen, die ihn vollen Herzens willkommen hießen. Der Junge war von dem wunderschönen Anblick so erstaunt und nahezu beseelt, das er gedankenversunken nicht einmal bemerkte, dass er ganz normal weiter atmen konnte. Wie war das nur möglich?


    Durch die Lüfte gleitend und mit einem Lachen im Gesicht, tanzte und drehte sich der kleine Oktopus verspielt und voller Leichtigkeit, wie ein junger Vogel bei seinem ersten großen Flug. Er wirbelte umher, flog weiter nach oben und schnellte im Sturzflug wieder nach unten und stieg von Neuem auf. Ihm war auf einmal, als wäre der Himmel selbst zum Meer geworden und weit unten, wo die ruhige Wasseroberfläche das Licht der Sterne glitzernd zurückwarf, war nun das nächtliche Firmament. Seine Herzen waren ihm so leicht wie Federn und alle Traurigkeit war vergessen.


    In diesem Moment sah er etwas auf sich zu fliegen. Die Gestalt konnte er, obgleich die Sterne die Umgebung kraftvoll erhellten, nur schemenhaft erkennen, aber er glaubte, die Umrisse eines Vogels zu sehen. War es einer dieser Seevögel, vor denen ihn sein Großvater stets warnte? Ein Albatros oder vielleicht ein Pelikan? Was es auch war, es kam dem kleinen Oktopus immer näher zugeflogen und zwei riesige kugelrunde Augen waren aufmerksam auf ihn gerichtet. Sie schienen ihre Farben - mal Gelb, mal Orange, mal Braun - wie ein Kaleidoskop blitzend zu wechseln. Ihr Blick durchdrang den kleinen Oktopus bis in die äußersten Spitzen seiner acht Arme. Ehe er sich versah, fiel der Kleine urplötzlich wieder steil nach unten. Beim eintauchen in die dunkle See, erwachte der kleine Oktopus vor Schreck aus seinem Traum. Er flimmerte in gelb, orange und braun.