Achtung Schnulzen! :D
Manchmal habe ich Ideen und keine Zeit ein Buch daraus zu machen.
Manchmal habe ich Gefühle und verschriftliche sie.
Und manchmal übe ich einfach nur mit einer kurzen Geschichte.
Mittlerweile verfrachte ich viele meiner KG auf Wattpad, aber ich will gerne meine liebste auch mit euch teilen:
Weihnachten³
Sandy löste die Schleife des Pakets und nahm die Karte, die diese befestigt hatte, von ihrem Geschenk. Für (S)Andy stand darauf. Sie musste beim Lesen schmunzeln. Selbst auf einem Geschenkkärtchen neckte er sie.
„Du bist mein bester Freund, Andy.“
„Du bist wie ein Bruder für mich.“
Solche Aussagen waren bei ihm an der Tagesordnung.
Sie hob den Blick und sah am Tannenbaum vorbei zur Wand.
„Wenigstens an Weihnachten hättest du den Blödsinn lassen können“, sagte sie spöttisch.
Erneut wandte sie sich dem Auspacken ihres Presents zu. Um den Baum herum standen noch eine Vielzahl weiterer, die für sie bestimmt waren. Aber sie hatte sich von Anfang an nur für dieses interessiert. Während ihre Schwester nun sicher schon über die Hälfte ihrer mit stürmischer Begeisterung geöffnet hatte, kümmerte Sandy sich um dieses sehr behutsam. Mit äußerster Sorgfalt löste sie die Klebestreifen, welche das Papier zusammenhielten. Und obwohl sie es ähnlich eines Bombenentschärfers bei der Arbeit von dem Pappkarton löste, so konnte sie doch nicht verhindern, dass eine Stelle einriss. Sie hätte sich am liebsten dafür geohrfeigt. Seufzend löste sie das Papier vollständig ab, faltete es zusammen und legte es beiseite.
Ein letztes Stück Klebestreifen verschloss den Inhalt des Kartons noch, dann lag er offen vor ihr. Im Inneren befand sich eine Ansammlung der verschiedensten Süßigkeiten: Von Schokolade, über Kekse bis hin zu klebrigen Bonbons war alles vertreten.
„Weil du so eine Naschkatze bist“, las sie von einem kleinen Pappkärtchen ab. Daneben hatte er ein Bild einer Katze mit ihrem Gesicht gemalt. Bei dem Anblick musste sie lächeln. Wie lange war es her, dass sie derartige Freude verspürt hatte? Sicher ein Jahr. Natürlich, ein Jahr musste es nun her sein …
Ihre Mutter trat von hinten an sie heran und stützte sich mit den Armen auf ihren Schultern ab.
„Ich kaufe dir ständig Süßigkeiten. Aber bei mir hast du dich noch nie so gefreut“, gab sie sich gespielt beleidigt.
Sandy antwortete ihr nicht. Sie wollte sich nicht ablenken lassen, nicht jetzt.
„Es gibt gleich Essen. Bitte versuch wenigstens dieses Jahr, vor Mitternacht fertig zu werden.“ Sie versuchte, es heiter klingen zu lassen, aber in ihrer Stimme schwang Sorge mit.
Sandy hatte mittlerweile sicher jede einzelne der süßen Köstlichkeiten zweimal gemustert, ohne auch nur eine einzige gekostet zu haben. Das sah ihr nicht ähnlich. Zumindest hätte sie sich früher sofort darauf gestürzt und gegessen, bis ihr schlecht wurde.
Sie wühlte sich durch die dicke Schicht an Essbarem und zog eine kleine Pinnwand daraus hervor. In der Mitte befand sich ein Bild von ihnen beiden. Vielleicht das einzige, wirklich gute Bild von ihnen. Irgendwie hatten sie nie daran gedacht, ernsthaft eine Erinnerung voneinander festzuhalten. Wozu auch, wenn man sich täglich sah und das Bild des anderen perfekt im Kopf hatte? Das Bild war ein Schnappschuss. Sie hatten gerade ein Eis gegessen. Ihre Lippen waren voller Schokolade und ein ziemlich dämlicher Grinser zierte Sandys Lippen. Daneben wieder ein Pappkärtchen: „Damit du endlich alles, was dir wichtig ist, zusammenbekommst.“
Sie erinnerte sich zurück an den Tag, an dem sie ihm erzählt hatte, sich gerne einmal von all ihren Freunden Bilder aufzuhängen und eine Pinnwand mit all ihren Liebsten zu erstellen. Eine Unmöglichkeit, hatte ihr doch immer ein Foto ihres besten Freunds gefehlt. Er dachte einfach an alles.
„Ich hab es mir immer vorgenommen, aber irgendwie hab ich nie damit angefangen“, murmelte sie gedankenverloren vor sich hin.
Unter der Pinnwand fand sie eine eingeschweißte Karte. Es war ein Gutschein für einen Vergnügungspark. „Für die Karussellfahrt, die ich dir so lange schon versprochen habe.“
Sie hatte sich schon so darauf gefreut. Er war kein Freund von Vergnügungsparks – im Gegensatz zu Sandy. Als Gegenleistung, dafür, dass er mit ihr hingehen würde, wollte er ihr eine Geisterbahn antun. Wie er sich wohl ärgern würde, nachdem sie in seiner Gegenwart schwerlich Angst empfinden konnte?
Eine Träne rann ihre Wange hinab, aber sie wischte sie sofort wieder weg. Zumindest heute musste sie fröhlich sein. Das Jahr hatte wenig Grund zur Freude gegeben. Erneut warf sie einen Blick am Tannenbaum vorbei. Sandy bestand darauf, dass der Baum jedes Jahr an derselben Stelle stand. Wie vor vier Jahren, als er einmal mit ihnen gefeiert hatte. Wenn sie sich bemühte, konnte sie noch immer sein Lächeln in Gedanken heraufbeschwören, als er auf der gegenüberliegenden Seite des Baums gesessen hatte. Oh, wie diebisch hatte er sich gefreut, als Sandy sich durch den Springteufel in ihrem Geschenk dermaßen erschreckt hatte, dass sie eine Rückwärtsrolle vollführte.
„Danke für das tolle Geschenk, ich hab dich lieb.“
Sandy nahm wie selbstverständlich einen Brief vom Boden des Kartons, doch sie öffnete ihn nicht. Sie führte ihn nur kurz an die Nase, schloss die Augen und atmete den Duft des Papiers ein. Sie bildete sich ein, er würde nach ihm riechen. Noch war ihre Erinnerung stark genug. Sie legte ihn kurz an ihre Brust, ehe sie ihn wieder in das Paket zurücklegte. Gefolgt von dem Gutschein und der Pinnwand. Sie begrub all das wieder unter den Süßigkeiten.
Beim Essen lasteten die Blicke ihrer Eltern schwer auf ihr. Sie drückten Mitgefühl und Besorgnis aus. Einzig die Stimmung ihrer Schwester war nicht zu trüben. Sie spielte schon mit ihren neuen Sachen. Sandy hatte bisher nur das eine Geschenk ausgepackt. Ihre Eltern nahmen es ihr nicht übel, dass sie die ihrigen noch verschmähte.
„Weißt du, vielleicht solltest du diesen ganzen süßen Krimskrams endlich einmal essen. Ich weiß ja, dass dieses Zeug lange hält, aber irgendwann wirst du nichts mehr davon haben“, versuchte ihre Mutter ein Gespräch anzufangen.
Sandy hob den Blick von ihrem kaum angerührten Essen und sah ihre Mutter stirnrunzelnd an.
„Aber er hat es mir doch erst gestern …“
Sie erinnerte sich noch genau daran.
„Da wir uns morgen wohl nicht sehen, geb‘ ich es dir heute schon. Aber du weißt ja, mach es nicht vor Weihnachten auf.“ Er hatte sie neckisch in die Seite gestoßen.
„Ich möchte dir dein Geschenk dann persönlich geben“, erwiderte sie. Sie hatte lange darüber nachgedacht, ob es das Richtige war. Sie hatte sogar überlegt, es ihm sofort zu geben, während sie den geteilten Herzanhänger in ihrer Jackentasche massierte. Nein, sie musste geduldig bleiben. Bei diesem Geschenk konnte so viel schiefgehen. Einfach alles stand auf dem Spiel. Schlussendlich war sie sich unschlüssig geblieben. Aber wenn, dann sollte er es nicht alleine öffnen, mit einer einfachen Karte. Sie würde es ihm geben, vielleicht sogar unverpackt, damit sie nicht auf seine Reaktion warten musste.
„Dann bekomme ich es ja nicht zu Weihnachten!“, gab er sich gespielt empört.
„Du wirst ein wenig darauf warten können.“
Er wollte noch etwas erwidern, aber da war ihr Zug schon gekommen, also ließ er es. Sie umarmten sich flüchtig, dann musste sie auch schon einsteigen.
„Ich ruf dich an!“, rief sie noch, ehe die Türen sich schlossen.
Sie hatte ihn sogar sofort angerufen, aber er hatte sein Handy nicht dabei. Nur die Mailbox antwortete ihr.
Sandy rückte den Stuhl zurück und stand auf. Mit bebenden Schritten ging sie zurück ins Wohnzimmer. Sie würdigte die Geschenke keines Blickes und hätte auf ihrem Weg beinahe den Baum umgestoßen. Mit zittrigen Händen nahm sie das Bild von ihm von der Wand.
„Er hat es mir doch erst gestern gegeben … Vor drei Jahren …“
Nun konnte sie die Tränen einfach nicht mehr zurückhalten. Mit einem leisen Klirren fiel seine Hälfte des Herzanhängers auf den Boden.
„Du hast gesagt du würdest mich nie alleine lassen. Warum hast du einfach aufgegeben?!“
Ihre Eltern kamen schon angerannt, sie hatten es kommen sehen. Ihre Mutter nahm sie in den Arm und wiegte sie sanft hin und her, während Sandy sich an den Anhänger klammerte, den sie um ihren Hals trug.
„Du solltest den Brief endlich lesen, Kind.“
Sandy wischte sich die Tränen an ihrem Pullover ab.
„Nein, sonst habe ich nichts mehr von ihm. Nichts als die Erinnerung.“
„Soll ich es wieder für dich einpacken?“
Sandy konnte nur stumm nicken.
Sie tätschelte ihr noch einmal den Rücken, ehe sie das Ganze wieder genauso verpackte, wie es vorher gewesen war.
Sandy betrachtete das Paket noch eine Weile nachdenklich, bevor ihre Mutter es wieder in den Schrank einsperrte.
„Auch wenn du gestorben bist … irgendwie bist du immer noch da. Das hast du gewusst, hm?“