Schneeweiße Biografien - Die Geschichte von Makishima Shogo

  • Eines meiner größten Hobbys ist es FanFiction's und Prosa's (Frei-erfundene Geschichten) zu schreiben. Nun habe ich mich entschlossen , in der ACG , eine meiner vollendeten FF's zu Veröffentlichen. Die FanFiction dreht sich um Makishima Shogo , der aus dem Psycho-Pass Universum stammt. Im wahrsten Sinne geht es hier um seine Vergangenheit , Gedanken , Ideen und Gefühle , als auch Meinung , über die Menschen die in seinem Leben treten. (Wer den Anime bereits zu Ende gesehen hat , ist klar im Vorteil , aber wenn nicht hat man auch nicht zu viele Nachteile. Eventuell ein paar Logiklücken.)
    Die FanFiction ist wie bereits gesagt eine vollendet und umfasst insgesamt 14 Kapitel , von denen ich ca jede Woche eine Poste. Ich hoffe das es euch gefällt und am Ball bleibt. Velleicht bekommt ihr eine ganz neue Meinung über unseren Protagonisten und lernt ihn mögen. Velleicht könnt ihr seine Taten nachvollziehen , wenn ihr sie auch weiterhin nicht gut heißen werdet. Ich Freue mich über Kritik&Feedback sehr , denn nur so kann ich mich weiterentwickeln , und euch ein besseres Erlebnis in der Zukunft schenken. Und nun wünsche ich euch Viel Spaß~*~

    Vorwort.


    Viele Menschen sagen, dass sie sich nur vage an ihre Kindheit erinnern können. Sie wissen nicht mehr wie ihre Haustiere aussahen, wie ihre Freunde hießen und was man ihnen zu Weihnachten und Geburtstag geschenkt hat.
    Auch ich habe viele dieser Erinnerungen verloren. Sie sind mit den Jahren verschwommen, bis sie nur noch schemenhafte Bilder und schließlich ein namenloses Gefühl wurden. Das ist nichts Besonderes. Wahrscheinlich waren auch diese Dinge nichts Besonderes. Schließlich würde man wirklich wichtige Dinge niemals vergessen. Das menschliche Gehirn vergisst nur, was es als unnötige Information einstuft. Ob es sich dabei um fachliches Wissen oder persönliche Erfahrungen handelt sei dahin gestellt. Auch wir sind nur ein System. Ein Speicher, der sich ab und an leeren muss, um Platz für neue Erfahrungen zu schaffen.
    In unserer momentan bestehenden Gesellschaft vergessen die Menschen sehr viele Dinge. Sie verdrängen, ignorieren und betäuben sich, ihren Geist und letztlich alles in dieser Welt. Sie töten sie.


    Viele mögen mir widersprechen, doch meiner Meinung nach lebt ein Mensch nur, wenn er nach seinem eigenen freien Willen handelt. Er lebt, um seine Geschichte durch seine eigenen Entscheidungen zu prägen. Bei seiner Geburt ist jeder Mensch ein leeres Buch, dessen Seiten er nach eigenem Wissen und Wollen füllen kann.
    Zumindest war das vor einigen Jahren noch so gewesen.


    Heutzutage bestimmt Sybil, welche Entscheidungen die Menschen treffen. Mit fünf Jahren bringen deine Eltern dich zu einem ersten Check-up, wo festgestellt wird, ob du dich für diese Gesellschaft eignest. Im Alter von sechs Jahren teilt Sybil deinen Eltern mit, ob du bereit bist in die Schule zu gehen und welche Schulform für dich geeignet ist. Später sagt dir Sybil, welche Ausbildung du anstreben sollst. Es wird ein Wert errechnet, der deine Kompetenz, deine Motivation und deinen Intellekt darstellt.
    Es sind ein paar wenige Ziffern, die über deine komplette Zukunft entscheiden.
    Natürlich haben die Menschen immer noch eigene Wünsche. – Und dennoch beugen sie sich vorbehaltlos. ‚Sybil hat entschieden.’


    Oft frage ich mich, warum sich niemand dagegen wehrt. Haben sich die Menschen unserer heutigen Gesellschaft tatsächlich so sehr verändert? Sind sie der Entscheidungen müde geworden und erfreuen sich über die Bequemlichkeit eines vorbestimmten Lebens? Das wäre eine einfache, sinnige Erklärung, wenngleich auch eine traurige.
    Ich persönlich möchte nicht an diese Erklärung glauben.


    All diese Menschen haben nie das Gefühl einer freien Entscheidung erlebt. Kein einziges Mal mussten sie ihr Handeln hinterfragen. Nie mussten sie über Konsequenzen nachdenken oder die Möglichkeiten einer zweiten Wahl abwägen.
    Kein einziges Mal durften sie das erhabene Gefühl erleben, wenn sie die richtige Entscheidung getroffen haben.
    Sie sind auf eine seltsam verschrobene Art unglücklich-glücklich mit ihrem vorgeschriebenen Leben.


    Ich habe sie nie verstanden.
    ‚Sybil wird sich dabei bestimmt etwas gedacht haben.’
    ‚Sybil weiß am besten, welches Fachgebiet mir liegt.’
    ‚Sybil ermöglicht uns ein sicheres Leben.’
    Sybil, Sybil, Sybil…


    Ich für meinen Teil habe eine andere Sicht auf die Welt.
    Ich habe gelogen, gestohlen, betrogen und gemordet und dennoch ist mein Psycho-Pass schneeweiß geblieben.
    Ich bin die fehlerhafte Auslese einer automatisierten Gesellschaft.


    Kapitel 1.


    Meine ältesten Erinnerungen reichen zurück zu meinem vierten Lebensjahr. Es sind sehr verschwommene Erinnerungen und dennoch messe ich ihnen bis heute großen Wert bei. Denn als ich vier Jahre alt war, war die Welt noch in Ordnung.


    Damals waren die Menschen noch frei.


    Meine Mutter verließ oftmals mit mir die Stadt. Dafür setzte man sich in sein Auto und fuhr über die Grenze. Es gab noch keine Scanner, die einem die Durchfahrt verbieten konnten, wenn der Stress-Level zu hoch war und es gab keine Dronen, die einen misstrauisch beäugt hätten.
    Ich erinnere mich an den kalten Winter in diesem Jahr und meine Mutter liebte es durch den tiefen Schnee außerhalb der engen Großstadt zu stapfen. Außerdem erinnere ich mich an den verträumten, glücklichen Blick, den sie über die weiße Landschaft schweifen ließ.
    Genauso sah sie auch mich immer an.
    ‚Schnee ist eines der letzten, reinen Dinge auf dieser Welt.’
    Dann nahm sie mich auf den Arm und strich mir sachte über das Haar. Sie liebte meine Haare, denn sie waren genauso weiß und rein wie der Schnee.
    Ich musste ihr Recht geben. Der Schnee war wirklich wunderschön. Und dennoch war mir stets kalt, wenn ich mit ihm in Berührung kam.


    An anderen Tagen ging meine Mutter mit mir in die Stadt. Obwohl ihr die Menschenmassen in den engen Straßen nie zusagten, trieb es sie unweigerlich immer wieder dorthin.
    Denn dort, zwischen all den lauten Menschen, den schnellen Autos und den blinkenden Reklamen gab es ein kleines Geschäft, in dem sie Ruhe fand.
    Nur drei Blocks von unserem Haus entfernt, am Rande eines Marktplatzes, verbogen in einer Seitenstraße besaß ihre ältere Schwester ein kleines, eigentümlich gemütliches Buchgeschäft.
    ‚Literatur Menagerie’ prangte über der Tür. Die Buchstaben waren keine leuchtende Reklame, sondern schlichtes Holz mit einer feinen Goldbemalung. An einigen Stellen blätterte die alte Farbe bereits ab und auf dem großen M hockten oftmals Tauben, die dort ihren Dreck hinterließen.
    Und dennoch sah es neben all den strahlenden, bunten Plastik-Reklamen stets edel aus.


    Ich mochte diesen Laden. Ich mochte ihn viel mehr, als die kalten, weißen Landschaften. Hier gab es stets etwas zu erforschen und ich ließ mir stundenlang von meiner Tante und meiner Mutter aus Büchern vorlesen. Damals lobten sie mich und sagten mir immer wieder, was für ein kluges Kind ich doch sei. Sie kicherten, wenn ich verzweifelt versuchte aus eigener Kraft einen der schweren Wälzer aus dem Regal zu ziehen und dann halfen sie mir und erzählten mir von der Geschichte, die ich selbst noch nicht lesen konnte.
    Es waren schöne, sorglose Zeiten. Es waren Zeiten, in denen jeder Mensch selbst entscheiden konnte. Es waren Zeiten bevor Sybil das Leben aller bestimmte.
    Damals war die Bücherei mein liebster Ort auf dieser Welt. Nirgends verbrachte ich schönere Stunden meiner Kindheit. Bis heute hat sich das nicht geändert.
    Doch heute existiert dieser Ort nicht mehr.


    Mein Vater war vollkommen anders als meine Mutter und ich. Er war ein Mann der Geschäftswelt, den wir nur selten sahen. Meist reiste er durch die verschiedensten Länder unserer Welt. Er schloss Verträge, kontrollierte ausländische Niederlassungen und koordinierte tausende Mitarbeiter über den Globus.
    Er war der Juniorchef in der Firma seines Vaters, die er in einigen Jahren selbst übernehmen würde. Dementsprechend war unsere finanzielle Lage niemals ein Problem gewesen. Mir hatte nie etwas gefehlt in dem großen Stadthaus am Park, das wir unser Eigen nannten. Er kaufte mir jedes Spielzeug und jede Süßigkeit nach der es mir verlangte und gleichzeitig nahm er mich manchmal mit in sein Arbeitszimmer und erzählte mir von der Ungerechtigkeit dieser Welt.


    Heute weiß ich, dass er mir diese Dinge zu früh erzählt hat. Ich war ein kleines Kind, das man über Lug und Trug der Geschäftswelt aufklärte.
    Er lehrte mich, dass man nur auf Kosten anderer erfolgreich werden kann. Er erzählte mir von Rufmord, von Verleumdung und Vertragsbruch, ehe ich schreiben und lesen konnte.


    Mein Vater war ein Realist. Er war berechnend und oftmals sehr distanziert gegenüber den Menschen.
    Und dennoch war er immer ein liebender Vater und Ehemann. Ich glaube viele sahen in ihm einen schlechten Mensch, doch dem möchte ich nicht vorbehaltlos zustimmen. Er war schlicht und einfach ein Mann, der seinen Weg gewählt hatte. Für das Wohl und den Luxus seiner Familie brachte er Opfer. Er stellte sich bewusst gegen Ethik und Moral, damit er mich und Mutter gut versorgt wusste.


    Bei uns im Haus war es meistens ruhig.
    Obwohl wir genug Geld hatten, stellten wir niemals eine Haushaltskraft oder ein Kindermädchen ein. Das große Haus beim Stadtpark gehörte uns allein und das war gut so.


    Meine Eltern waren ebenfalls leise Menschen. Sie redeten besonnen und ruhig miteinander und stritten fast nie.
    Es gab nur einen einzigen Grund, wegen dem sie sich manchmal nicht einig waren. Ich hasste es, wenn sie böse aufeinander waren und dennoch war ich fasziniert von dem Konflikt. Dann machte ich mich immer ganz klein und hörte ihnen heimlich beim Streiten zu.
    Meistens stritten sie sich wegen meiner Tante.
    Als Kind begriff ich nie, was mein Vater gegen sie hatte, doch heute kann ich es endlich in Worte fassen: Es war schlichtweg eine grundlose Antipathie. Er mochte diese Frau nicht und er mochte es nicht, dass meine Mutter so viel Zeit mit ihr verbrachte. Für mich, der ich als Kind nirgends lieber meine Zeit verbrachte, machte das keinen Sinn. Ich verstand nicht, warum er sie manchmal beleidigte und warum er gemein zu ihr war, wenn sie Weihnachten an unserem Tisch saß.
    Als Kind konnte ich mit all diesen Informationen nichts anfangen. Ich mochte meinen Vater und ich mochte meine Tante.
    Und es spielte auch gar keine Rolle, dass die beiden sich nicht leiden konnten, denn mehr als böse Worte fielen niemals zwischen ihnen.


    Damals war das gar kein Problem. Menschen konnten einander ablehnen und konnten grundlos böse aufeinander sein. Erst die Einführung des Psycho-Passes änderte das. Plötzlich war Antipathie bereits ein Vorbote von Gewaltbereitschaft und schlussendlich ein Risikofaktor. Beleidigungen und grundloses Schimpfen erzeugten Ärger, Wut und schließlich Stress. Stress war nicht gut. Stress wurde bei den regelmäßigen Checks registriert und verdunkelte den Psycho-Pass.


    In der heutigen Zeit werden Kinder an ihrem fünften Geburtstag erstmalig hinsichtlich ihres Psycho-Passes untersucht. Das ist keine besondere Untersuchung und es gibt nur ganz wenige, die bereits in diesem Alter auffallen. Wahrscheinlich ist der Grund dafür die sprichwörtliche ‚Unschuld eines Kindes’.


    Als ich fünf Jahre alt wurde, prangten die ersten Plakate, die Sybil ankündigten, in den Straßen. Damals waren darauf ein wachsames Auge und ein schützendes Schild abgebildet und jedermann war neugierig und aufgeregt. Unser aller Leben würde besser und sicherer werden.
    Obwohl ich noch ein Kind war, habe ich zu dieser Zeit bereits irgendwie gespürt, dass das nicht richtig ist. Vielleicht waren das die ersten Anzeichen dafür, dass ich eben nicht in das Schema dieses Systems passte.
    Außerdem war ich mir sicher, dass dieses System nicht aus einem Auge und einem Schild bestehen kann und habe meine Eltern gefragt, was das Sybil System wirklich ist.
    Obwohl mir meine Mutter stets all meine Fragen mit Freude beantwortet hatte, konnte sie mir hierbei keine Antworten liefern.
    ‚Wir müssen abwarten und es uns anschauen. Wenn Sybil eingeschaltet wird, dann wird unser aller Leben sicherer.’ Sie hatte dabei gelächelt.
    Wir waren so furchtbar naiv. Die Gesellschaft war naiv.


    Als ich in der zweiten Klasse war, wurde das Sybil System schließlich vollständig eingeführt. Scanner wurden an jeder Straßenecke aufgestellt, Gesundheitszentren wurden eröffnet und jeder Mensch konnte nun zu jeder Zeit seinen eigenen Psycho-Pass einsehen. Es wurde verglichen und teilweise untereinander damit angegeben.
    Einmal hörte ich, wie jemand davon sprach, dass sein Psycho-Pass fast vollkommen ‚rein’ sei und musste an die Worte meiner Mutter denken.
    Nur Schnee wäre rein. Schnee und ich.
    Das hatte ich ihr damals vorbehaltlos geglaubt, weil der Schnee so wunderschön weiß gewesen war. Jetzt gab es plötzlich ein paar Ziffern, die einem so etwas sagen sollten. Diese Ziffern waren schwarz. Sie waren unumstößliche, schwarze Zahlen, die von einem System in die leeren Bücher der Menschen geschrieben wurden.
    Die Menschen verfassten plötzlich ihre Lebensgeschichte nicht mehr selbst. Sybil hatte ihnen die Feder aus der Hand genommen und angefangen in ihren weißen Seiten herumzukritzeln.
    Als Kind konnte ich diese Gefühle noch nicht in Worte fassen, doch irgendwo tief in mir empfand ich das damals bereits als falsch.

    Einmal editiert, zuletzt von Yukiko Suzuki ()

  • Erstmal Danke für die Netten PN's und den Freundlichen Hinweisen auf ein paar Fehlern im ersten Kapitel :) So kommen wir nun an der Stelle an der wir euren unstillbaren Hunger ein jähes Ende bereiten! Euren Durst nach den Buchstaben und Zeilen löschen können! Und ich euch ein wunderbares Dessert am Ende schenken kann! Die nächsten Kapitel , Ja es ist soweit , werden euren Augen endlich präsentiert. Ich wünsche euch einen Guten Hunger , auf dass er auch gebührend gestillt wird! Guten Appetit meine Damen & Herren~*~
    (Es gibt eine kleine Änderung , es werden jeweils 2 Kapitel gepostet ;) )

    Kapitel 2!


    Meine ersten beiden Schuljahre waren eine schöne Zeit.
    Ich möchte niemals diese zwei Jahre vergessen, in denen es das Sybil System noch nicht gab. Aufwachsen in einer reichen Familie in einem großen, teuren Haus, verbrachte ich bis zu meiner Einschulung kaum Zeit mit anderen Kindern meines Alters.
    Ich stammte aus einer Gesellschaftsschicht, in der Misstrauen und Vorsicht auf der Tagesordnung standen.
    Das hatte mich aber nie gestört. Ich hatte meine Mutter und meine Tante. Sie reichten mir all die Jahre als Gesellschaft und sie hatten immer Zeit für mich.


    In der Schule hatte ich erstmals mehr Kontakt mit Gleichaltrigen. Das war eine neue Erfahrung.
    Obwohl ich bisher immer sehr abgeschieden gelebt hatte, schloss ich schnell Freundschaften. Meine Mutter sagte mir einmal, dass ich Charme hätte und dieser die Menschen für einen einnehmen würde. Diesen Charme setzte ich selbst als Kind schon spielend ein.


    Ich erinnere mich nicht mehr an viele Namen, aber ich erinnere mich an Tamako. Er war ein ruhiger Junge aus gutem Hause und wir waren uns in vielen Punkten ähnlich. Jedoch kannte Tamako keine Bücher. Er wusste weder wer Charles Dickens, noch wer Jonathan Swift waren und hatte wahrscheinlich noch nie ein echtes Buch aus Papier in der Hand gehalten.
    Viele Wörter, welche ich seit Jahren verwendete, waren für ihn Fremdwörter. Sein Wortschatz war entsprechend katastrophal und sein Weltbild beschränkt.
    Als ich damals begriff, wie sehr mich die Bücher geprägt hatten, liebte ich sie umso mehr. Ich fühlte mich durch das Wissen, das ich aus ihnen gewonnen hatte, überlegen.
    ‚Wissen ist Macht’. Francis Bacon hatte das schön formuliert.
    Und das Wissen um die Macht des Wissens ließ mich Stunde um Stunde in der Bücherei meiner Tante verbringen, wo ich langsam begann selbst die Bücher zu lesen, deren Inhalte mir einst nur aus zweiter Hand vermittelt worden waren.


    Auch in der Schule sog ich jedes Wort gierig in mich auf. Ich lernte schneller lesen und schreiben als all meine Klassenkameraden. Das war nicht verwunderlich, denn ich hatte – anders als viele andere – einen guten Grund, mich anzustrengen.
    Und so lernte ich eine zweite Macht kennen: Die Macht des eigenen Willens und Wollens. Wenn man sich lange genug anstrengt und ein Ziel energisch genug verfolgt, dann kann man über sich selbst hinauswachsen.
    Das erste Buch, welches ich vollständig ohne die Hilfe meiner Tante und Mutter las, war ‚Sherlock Holmes’. Damals war ich unglaublich stolz, weil ich mich angestrengt hatte und schlussendlich dafür belohnt wurde. Dieses Gefühl möchte ich niemals missen.
    In der heutigen Gesellschaft unter Sybils Augen erfährt das jedoch kaum noch jemand. Die Menschen wachsen nicht mehr über sich selbst hinaus, weil ihnen von Anfang an gesagt wird, was ihre bestmögliche Leistung ist.


    Mit Tamako verbrachte ich – obwohl ich mit ihm nie über meine liebsten Geschichten reden konnte – sehr viel Zeit. Er und eine kleine Gruppe von anderen Kindern waren tatsächlich Freunde für mich. Wir lachten zusammen, spielten zusammen und das erste Mal im Leben fügte ich mich in ein soziales Gefüge ein. Ich lernte, dass man nicht all seine eigenen Wünsche umsetzen kann, dass man aber auch nicht immer nachgeben darf.
    Eine Gesellschaft lebt durch Geben und Nehmen. Der Mensch, der einst vom Affen abstammendes Rudeltier, brauchte andere Menschen. Deswegen geht man Kompromisse ein und deswegen kann man oftmals die eigenen Wünsche hintenan stellen.
    Ich stritt mich und ich verbündete mich. Man lachte und lästerte gleichermaßen und doch funktionierte es komischerweise.


    Immer wieder fragte ich mich, was mich mit diesen anderen Kindern verband, sodass ich bereit war, mich ihren Wünschen immer wieder zu beugen.
    Ich suchte in vielen Büchern nach Antworten und griff mir manche Fachlektüre, bei der meine Tante den Kopf schüttelte. Es war ihr nicht zu verdenken, denn ich war in der Tat zu jung, um die komplizierten Texte vollständig zu verstehen.


    Eines Abends fragte ich dann meine Mutter um Rat und eigentlich hätte ich schon vorher wissen müssen, dass sie stets eine gute Antwort parat hatte.
    ‚Es sind eure gemeinsamen Hoffnungen und Ängste. Es sind die Dinge, die ständig in euren Köpfen herumspuken und die euch alle miteinander verbinden. Ohne diese Verbindungspunkte hätten wir auch kein Interesse an der Kommunikation mit anderen.’


    Ich dachte lange über diese Worte nach und fand viel Wahres, aber auch Falsches in ihnen. Es war tatsächlich ein beruhigendes Gefühl, wenn ich mit Tamako über den neuen Lehrer reden konnte, der uns allen irgendwie Angst machte.
    Es war ebenso schön, wenn wir über einen älteren Mitschüler lästerten, der uns abermals in der Pause geärgert hatte. Insoweit stimmten die Worte meiner Mutter.


    Andererseits konnte das nicht alles sein. Ich verglich meine Situation mit jener vor einem Jahr. Als ich noch nicht zur Schule gegangen war, hatte ich mich stets mit mir selbst beschäftigt. Es war eine schöne Zeit gewesen und dennoch wollte ich nicht mehr dorthin zurück. Mir würde etwas fehlen.
    Dieses ‚Etwas’ konnte ich lange Zeit nicht definieren, bis schließlich das Sybil System eingeführt wurde.
    Ich erinnere mich noch genau, als gegen Ende meines zweiten Schuljahres der große Wechsel vollzogen wurde. Plötzlich hatte jeder von uns eine Zahl.


    Als ich das erste Mal meinen Psycho-Pass nachschaute, stand da eine 8. Ich hatte diese Zahl angesehen und mir nichts dabei gedacht. Völlig neutral nahm ich es zur Kenntnis. Es hatte für mich schließlich nie zur Debatte gestanden, dass ich kriminell sein könnte. Warum denn auch?
    Die 8 war in Ordnung und nichts Besonderes.
    Erst Tamako änderte diesen ersten Eindruck, als er mir seine 40 zeigte.
    Er erzählte mir sorgenvoll, dass seine Eltern ihn deswegen geschimpft hätten. Dass sie ihm gesagt hätten, ein Kind dürfe noch keinen so hohen Wert haben und er solle sich benehmen. Leider wussten wir beide nicht, wie genau er das tun sollte.


    Nach Tamako kamen die anderen. Wir fingen an unsere Werte zu vergleichen und als ich das zweite Mal schaute, hatte ich eine 7. Ich war in unserer kleinen Gruppe der einzige, der unter einer 10 lag und plötzlich schauten sie mich alle irgendwie anders an.


    Mit der Zeit veränderten sich meine Freunde. Sie lachten weniger und sie stritten weniger. Einige hatten von ihren Eltern gesagt bekommen, dass alles Auswirkungen auf den Psycho-Pass haben könnte und sie vorsichtig sein müssten.
    Aber war es nicht ein Teil des Lebens zu lachen und zu streiten? Wir taten dabei doch nichts Schlimmes.
    Irgendwann im dritten Schuljahr waren wir plötzlich einer weniger.
    Yukina war immer ein freundliches Mädchen gewesen und ich hatte mich gern mit ihr unterhalten. Ihre lebhafte Art hatte mich an manch düsteren Tagen beflügelt. Jedoch stammte Yukina – anders als die meisten in unserer Klasse – aus einer bürgerlichen Familie. Sie hatte nie alle Spielzeuge bekommen, die sie sich wünschte und sie hatte nie in einem großen Haus in der Stadt gewohnt.
    Heute weiß ich, dass sie wohl oft neidisch auf uns gewesen ist.
    Unsere Klassenlehrerin verkündete uns, dass Yukina nun eine Zeit lang nicht mehr in der Schule erscheinen würde. Sie hätte am Vortag wissentlich in einem Laden etwas gestohlen. Ihre Eltern hätten entschieden, dass sie vorerst mehr auf ihre Tochter aufpassen wollten. Sie hätten wohl Angst um ihren Psycho-Pass.
    Yukina kam nicht mehr in unsere Klasse zurück.


    Meine kleine Welt, die früher aus weißem Schnee und fabelhaften Geschichten bestand, drehte sich bald nur noch um Zahlen.


    Mit Yukinas Verschwinden veränderten sich meine anderen Freunde abermals. Sie wurden noch stiller. Sie dachten über jedes Wort nach, das sie sagten. Sie verloren ihre Impulsivität und Spontaneität und letztlich irgendwie ihre Menschlichkeit.
    Es war befremdlich.
    Die Angst, selbst betroffen zu sein, saß in jedem von ihnen.
    - Nicht aber in mir.
    Mein Psycho-Pass war zu diesem Zeitpunkt nie höher als 20 gestiegen und oftmals sank er sogar auf 0, was ich mir nie hatte erklären können und was ich auch nie jemandem erzählte. Wie lächerlich würde meine Sorge über diese Unregelmäßigkeit klingen, wenn andere sich doch um zu hohe Werte sorgten. Eine 0 war schließlich etwas Gutes, oder?


    Zu jener Zeit fand ich heraus, was mich an der Theorie meiner Mutter gestört hatte. Ich brauchte Menschen nicht nur, um Ängste und Wünsche zu teilen. Ich brauchte sie ebenso, weil sie interessant waren. Sie brachten mit ihren unterschiedlichen Meinungen und ihrem völlig verschiedenen Verhalten Abwechslung in mein Leben.
    Mit Sybil wurden die Menschen langweilig. Sie versuchten alle gleichermaßen unauffällig zu sein.
    Obwohl ich immer noch Zeit mit meinen Freunden verbrachte, war ich einsam.


    Ich begann das Thema ‚Psycho-Pass’ in Gesprächen zu umgehen, wann immer es ging. Ich mochte es nicht und hegte zu jener Zeit auch das erste Mal den Verdacht, dass ich irgendwie anders war. Erst einige Jahre später begriff ich, wie richtig ich mit dieser Theorie lag und welch weitreichenden Auswirkungen das hatte.


    Kapitel 3!


    Mit den Jahren beruhigte sich die Gesellschaft wieder. Sybil war nun ein Teil unseres Lebens geworden. Während die Menschen in den ersten Jahren unsicher waren und manchmal ihre Werte noch hinterfragten, so verstummten diese Stimmen jetzt. Die Menschen hatten aufgehört sich darüber aufzuregen und sie fügten sich Stück für Stück in das System.
    In meinen Augen hatten sie aufgegeben.


    Ich war froh, dass meine Eltern nie sonderlich viel über das Sybil System redeten. So hatte ich wenigstens zu Hause Ruhe vor diesem lästigen Thema.
    In ihrem Falle war das weder Ablehnung oder Desinteresse. Der Grund dafür war mein Vater. Sein Psycho-Pass befand sich stets in beunruhigenden Höhen, weswegen er dieses Thema um jeden Preis mied. All das, was zu seiner Arbeit gehörte und was er mir als Kind bereits erklärt hatte, zeigte nun seine Auswirkungen.
    Aus Furcht, dass er doch irgendwann einmal die 100 überschreiten könnte, stellte er seine Auslandseinsätze ein. Er vergrößerte sein Heimbüro und verbrachte viel Zeit im Haus.
    Er erklärte mir, dass besonders an den Grenzen und an den Flughäfen streng kontrolliert wurde.
    Er hatte Angst.
    Und auch er hatte aufgegeben.


    Es gab jedoch jemanden, der nicht aufgab.
    An einem sonnigen Nachmittag, den andere Familien in einem der vielen Parks oder freudig bummelnd in der Fußgängerzone verbrachten, war ich bei meiner Tante. Ich war damals 15 Jahre alt und verstand die Dinge in unserer Welt immer besser. Ich las mit Begeisterung und distanzierte mich von meinen Klassenkameraden. Sie waren langweilig geworden, während die Menschen in meinen Geschichten aufregend und mutig waren.
    Oft träumte ich davon, dass es zu unserer Zeit auch noch solche Menschen gab. Manches Mal erwischte ich mich dabei, wie ich stundenlang auf die Straßen schaute und nach einem solchen Menschen Ausschau hielt. Es wäre eine schöne Abwechslung, wenn endlich mal jemand auftauchen würde, der nicht Teil dieses stoischen Systems war.
    Manche Tage hatte ich Hoffnung und an anderen Tagen gab ich fast auf. Die Menschen, die sich nicht dem System beugten, würde ich nur in den Gesundheitszentren finden. Letztlich war Sybil das Gesetz geworden und das Gesetz war ‚gut’. Wer an Sybil zweifelte, zweifelte am Gesetz und am Guten. Wer nicht an das Gute glaubte, war böse.
    So einfach war das.
    Aber wer hatte denn bitte festgelegt, das Sybil gut war? Wie konnte etwas gut sein, vor dem sich so viele Menschen fürchteten?


    Ich war mir sicher, dass meine Theorien stimmten und dennoch gab es eine große Unbekannte bei diesem Gedanken: Was war ich?
    Auch ich zweifelte an diesem System. Ich lernte es zu hassen und ich überlegte manchmal – ganz theoretisch natürlich – wie man es zerstören könnte. Es waren Träumereien, die anderen Menschen den Psycho-Pass in die Höhe trieben. Nicht aber meinen.
    Manchmal war ich eine 23, manchmal eine 12 und manchmal eine 0. Diese Zahl schien so unpassend und stand in keinerlei Verhältnis zu meinem Denken und Handeln.


    Das Buchsortiment meiner Tante war mittlerweile nicht einmal mehr halb so umfangreich, wie zu meiner Kindheit.
    Ich hatte sie gefragt, warum sie keine gesellschaftlichen und historischen Romane mehr verkaufe und sie hat dabei so furchtbar traurig gewirkt.
    ‚Es gibt Bücher, die anerkannt sind und es gibt welche, die Sybil nicht als wertvolle Lektüre erachtet.’
    Sie bat mich darum es dabei zu belassen, doch ich war stets neugierig gewesen und fragte weiter. Lange zögerte sie, doch dann kochte sie uns in dem kleinen Hinterzimmer einen Tee und erzählte mir von Kulturen, in denen es noch Veto-Rechte und Bürgerinitiativen gab. Sie berichtete vom alten London, in dem die Bevölkerung abstimmen durfte, ob ein Verbrecher gerichtet, verbannt oder freigesprochen wurde.
    Während sie sprach schaute sie ständig auf den Boden ihrer Teetasse. Sie wirkte so furchtbar nervös und am Ende zeigte sie mir ihren Psycho-Pass.
    Dieses Gespräch hatte sie um glatte 10 Punkte in die Höhe schießen lassen. So viele Punkte zählte meiner zu diesem Zeitpunkt nicht einmal in der Summe.
    ‚Wenn ich darüber nachdenke wird es schlimmer, aber wenn ich darüber rede, dann passiert das, was du gerade gesehen hast.’
    Ich begriff, was sie mir damit sagen wollte und ich nahm ihre Hand, in der Hoffnung ihr etwas Trost zu spenden.
    Ich weiß nicht, ob es etwas gebracht hat.


    An diesem Tag erzählte ich das erste Mal jemandem von meinem völlig andersartigen Psycho-Pass.


    Es war schön mit meiner Tante ein Geheimnis zu haben. Obwohl ich immer ein enges Verhältnis zu meiner Mutter pflegte, war sie plötzlich nicht mehr der wichtigste Mensch in meinem Leben.
    Meine Tante und ich waren so unterschiedlich und doch trugen wir die gleiche Unruhe in uns. Wir mochten dieses System nicht und ich musste an mich halten, als eines Tages uniformierte Männer mit kühlen Blicken in unserem Laden standen und eine Liste mit Buchtiteln auf den Tresen legten. Sie baten um die Aushändigung der ‚unerwünschten Lektüre’ und wiesen ebenso darauf hin, dass eben diese Exemplare auch in Zukunft nicht mehr verkauft werden dürften.
    Meine Tante war den Tränen nahe und ihre Hände zitterten, als sie anfing die Bücher aus den Regalen zu ziehen. Ich kannte einige der Stücke und wusste, dass sie ihr sehr am Herzen lagen.
    Obwohl ich stets ein ruhiger und besonnener Mensch war, so wurde ich das erste Mal wütend und tat das, was eben meine Tante nicht konnte. Ich sagte meine Meinung und ich sagte diesen Männern ins Gesicht, dass ich genau wusste, warum das System eben jene Bücher nicht mehr tolerierte.
    In jenem unbedachten Moment sprach ich zum ersten Mal aus, was ich vom Sybil System und dem Psycho-Pass dachte. Ich hielt weder meine Verachtung für die momentane Gesetzlage, noch meine Ablehnung gegenüber der langweiligen, eingefahrenen Gesellschaft zurück.


    Die Männer zogen schnell ihre Schlüsse. Sie überwältigten mich und richteten einen Dominator auf mich. Die Verwirrung war ihnen ins Gesicht geschrieben, als mein Wert jenseits der von ihnen vermuteten Grenze lag.
    Einen Moment lang waren sie noch unschlüssig, doch dann ließen sie mich los und entschuldigten sich.
    Sybil hatte ihnen gesagt, dass ich keine Bedrohung war und sie glaubten es vorbehaltlos. Sie hatten ihr eigenes Denken ausgeschaltet und waren Marionetten von einem Programm geworden. Erbärmlich und verachtenswert.
    Heute bin ich mir nicht mehr sicher, aber ich glaube, dass nach diesem Erlebnis stetig in mir der Wunsch wuchs, die Menschheit für diese Dummheit zu bestrafen.

    Einmal editiert, zuletzt von Yukiko Suzuki ()

  • Nach wie vor , Danke für die lieben Nachrichten :3 Und schon wieder höre ich es. Die kleinen Leser rufen , fast schreiend , nach weiteren Kapiteln. ,Wir haben Hunger!' Rufen sie durch die Schichten aus Stein welche uns voneinander trennen! ,Wann ist das Essen fertig!?' plagen sie mich unentwegt , doch ich kann nur eines Sagen. ,Euer Hunger , als auch Durst , findet bald ein Ende meine Lieben. Geduldet euch und ihr findet ein Schönes , Leckeres und seltenes Mahl vor euch wieder!'. Und so wurde es still und das Tippen auf der Tastatur war das einzige was man noch vernehmen konnte. Nun rufe ich euch zusammen , Liebe Leser , ergötzt euch daran und verfällt dem sonderbaren Geschmack! ~*~

    Kapitel 4!


    Zu jener Zeit, als ich 16 Jahre alt war, dachte ich, dass mein Leben völlig andersartig war, als das der meisten anderen Menschen. Es gab für mich keine Gesellschaft mehr und es gab auch keine persönlichen Motivationen mehr.
    Es war langweilig.
    Heute weiß ich, dass ich damals trotz allem ein sehr normales Leben führte. Jedermann ist einsam. Jeder empfindet diese Langeweile in seinem Alltag.
    Und obwohl mein Psycho-Pass sich als frei von jeglicher Konsequenz zeigte, so war auch ich ein Teilchen des Systems. Es machte keinen Unterschied, dass meine Gedanken frei blieben. So lange mein Umfeld nicht frei war, brachte mir das nichts.
    Ich langweilte mich so sehr und wusste mir lange Zeit nicht zu helfen.


    Kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag lernte ich dann das erste Mal wieder einen interessanten Menschen kennen.
    Und ich meine damit einen wirklich interessanten Menschen!
    Diese Erkenntnis erstaunte mich selbst, da ich meine Mitmenschen schon lange als wertlos eingestuft hatte. Ich hatte mich damit abgefunden, ständig von meinungslosen, braven Puppen umgeben zu sein.
    Ich sehnte mich nach den Abenteurern und Rebellen, wie sie in meinen Geschichten stets beschrieben waren. Andersdenker. Revolutionäre.
    Was war schon eine gute Geschichte, wenn es nicht auch einen Bösewicht gab?


    Und Kana war anders. Sie war eine faszinierende Frau.
    Ich traf sie zufällig in einer kleinen Bar nahe des Buchladens, wo sie sich nach Feierabend einen Drink genehmigte.
    Eigentlich verschlug es mich selten in solche Läden, weil ich die Abgeschiedenheit meiner Bücher den Menschen vorzog.
    Warum ich an jenem Abend das Haus verlassen hatte, weiß ich leider nicht mehr. Vielleicht war es eine Vorahnung. Denn mit Kana würde sich alles ändern.


    Zuerst einmal möchte ich euch erzählen, wie mein erster Eindruck von ihr war.
    Kana war 32 Jahre alt, als wir uns an jenem Abend kennen lernten. Sie entpuppte sich bereits auf den ersten Blick als eine chaotische Frau. Egal wie ich es drehte und wendete, ich konnte es nicht anders formulieren. Ihre Haare waren lila, gelb und pink gefärbt und ihr ausgeleiertes Top und die halblange Hose waren weder der Jahreszeit entsprechend, noch sonderlich gepflegt. Sie war bereits leicht angetrunken und konzentrierte sich die meiste Zeit darauf, ihre Lederarmbänder gleichmäßig um ihre Finger zu wickeln.
    Anfangs belächelte ich sie aus der Ferne. Als sie mir dann aber ihr Gesicht zuwandte und mich mit Schalk in den Augen und einem wissenden Lächeln auf den Lippen anblickte, wurde ich neugierig.
    Da war etwas an ihr, das nicht langweilig war.
    Zum ersten Mal seit vielen Jahren sah ich eine Rebellin.


    Obwohl viel Zeit ins Land gezogen war und ich meist nur mit meinen Eltern und meiner Tante verkehrte, so wirkte mein Charme wohl immer noch. Wir verstanden uns auf Anhieb und ich merkte bald, dass Kana ein Andersdenker war. Sie war eine Rebellin und vielleicht wäre sie sogar eine Revolutionärin gewesen, hätte sie die Freiheit dazu gehabt.


    Nach nur wenigen Abenden, in denen wir uns in der gleichen Bar trafen, vertraute sie mir immer mehr Details aus ihrem Leben an. Sie erzählte mir von ihrem Ex-Mann und von ihren zwei Kindern. Sie zeigte mir Bilder und ich war erstaunt.
    Ihre beiden Kleinen lächelten auf den Fotos und sahen unglaublich glücklich aus. Kein Wunder. Sie wurden von jemandem groß gezogen, der das ehrliche Lächeln noch nicht verlernt hatte.


    Kana erzählte mir von ihrem Wunsch eines eigenen Friseursalons und Sybils Entscheidung, dass sie höchstens eine Angestellte in einem bestehenden Geschäft werden könne. Sie berichtete von ihrer verzweifelten Ausbildungssuche und von den harten Zeiten, als sie danach mit dem ersten Baby arbeitslos war.
    Irgendwann hatte sie trotz allem aus eigenem Antrieb einen kleinen Friseursalon eröffnet. Die Kinder wären dabei wohl ihre Motivation gewesen. Sybil hatte Unrecht gehabt.
    Diese Frau war der erste Mensch, der sich meinem Wissen nach willentlich und erfolgreich gegen eine Entscheidung dieses Systems behauptet hatte. Ich hatte sehr großen Respekt vor ihr.
    Sie zeigte mir Magazine über Frisuren und war begeistert von meinem langen, hellen Haar und fragte immer wieder, ob sie es schneiden dürfe.
    Einige Tage lehnte ich ab, ließ mich schlussendlich aber doch überreden. Bis dato hatte mir meine normale, wenn nicht sogar ‚brave’ Frisur gefallen. Und dennoch ließ ich sie gewähren, weil es ihr eine Freude bereitete.
    Ich realisierte erst später, dass ich nach weit mehr als zehn Jahren wieder ein Stückchen Gesellschaft gefunden hatte. Ich hatte für diese Frau meinen eigenen Wunsch hintenan gestellt und war einen Kompromiss eingegangen. – Weil sie es wert war.


    Als ich nach Hause kam, fragten mich meine Eltern, was es mit dem neuen Haarschnitt auf sich hätte. Kana hatte mir einen wilden Zottelkopf geschnitten und bloß ein paar wenige, lange Strähnen im Nacken übrig gelassen. Es war ungewohnt, aber es gefiel mir.
    Ich versicherte meinen Eltern, dass eine Frisur kein Grund zur Sorge sei. Das war die Wahrheit. Und dennoch sah ich Angst in ihren Augen. Auch sie wurden schon lange von Sybil kontrolliert. Neben Kana bemerkte ich den Kontrast stärker als je zuvor und es machte mich unwahrscheinlich traurig.


    Meine Tante wurde auf ihre alten Tage senil. Ich besuchte sie auch weiterhin, doch oftmals stand sie völlig neben sich. Eigentlich war sie zu jung für solch eine Erkrankung und ich fragte mich oft, was der Auslöser dafür war.
    Hieß es nicht irgendwo, dass der Mensch selbst seine Lebensspanne bestimmte?
    Leerte sie ihren Geist, so wie diese Gesellschaft ihre Bücherregale leerte?
    Es war ein seltsames Gefühl, nichts für sie tun zu können. Und das, obwohl ich eigentlich noch nie in der Lage gewesen war, irgendetwas in dieser Welt zu verändern. Und dennoch fühlte es sich irgendwie anders an. Vielleicht, weil ich persönlich betroffen war?


    Die persönliche Betroffenheit war ein großes Fragezeichen bei diesem Gedanken.
    Ich hatte eine enge Verbindung zu meiner Tante.
    Aber konnte ich das wirklich als ‚persönliche Betroffenheit‘ bezeichnen? Sollte ich in diesem Falle nicht Mitleid empfinden? Wut?
    Doch das konnte ich nicht. Immer wieder stellten sich mir die gleichen Fragen:
    Hatte sie sich nicht mehr oder minder von dem System in diese Position drängen lassen? Hätte sie nicht etwas gegen tun können? Hätte sie sich nicht irgendwie zur Wehr setzen können?
    Tief in meinem Inneren wusste ich schon längst, dass die Antwort ein Nein war. Und ich kannte auch die Gründe für dieses Nein. Dennoch verstand ich es nicht.
    Und nein, ich bin kein ignoranter Mensch. Wenn ich sage, dass ich etwas nicht verstehe, dann ist das wirklich ein schlichter Fakt. Ich verstehe es tatsächlich nicht. Bis heute verstehe ich keinen dieser Menschen, die sich an die Leine legen ließen.
    Zu diesem Zeitpunkt verstand ich auch meine Tante nicht mehr, die plötzlich keine Bücher mehr aus den Regalen nahm. Ich begriff nicht, warum sie nichts sagte, als man sie entmündigte und ihren Laden schloss. Als die goldenen Buchstaben von einer Renovierungsfirma heruntergerissen wurden, wandte sie den Blick ab, als würde sie das nichts angehen.
    Wir waren uns so ähnlich gewesen und doch waren wir so anders. Ich für meinen Teil wendete keine Sekunde den Blick ab, als mein liebster Zufluchtsort zerstört wurde.


    Kanas Kinder waren anstrengend. Als ich die beiden Jungs das erste Mal traf, war ich ehrlich gesagt sehr überfordert. Die beiden flitzten durch den Friseursalon, schrien herum, bewarfen sich mit Sachen und weinten in regelmäßigen Abständen.
    Ich erinnere mich nicht, dass ich jemals so ein lautes Kind gewesen wäre.
    Die Kundschaft ließ sich durch die beiden nicht aus der Ruhe bringen. Überwiegend ältere Damen trafen sich dort stets zu ihrem Sonntagskaffee und als alt eingesessene Mütter zeigten sie dem Chaos die kalte Schulter.


    Ich mochte Kanas kleinen Friseursalon. Er war eng, mit den verschiedensten alten Möbeln ausgestattet und besaß keine schillernd bunte Leuchtreklame.
    ‚So etwas brauche ich nicht. Ich bin eben ein Geheimtipp!’, sagte sie und zwinkerte mir zu. Anders als abends in der Bar, wo sie mir still und leise von all ihren Sorgen erzählte, war sie hier stets optimistisch und gut gelaunt. Ob wegen der Kundschaft oder wegen ihrer Kinder, vermag ich leider bis heute nicht zu sagen.


    Wir trafen uns über fünf Monate lang in regelmäßigen Abständen. Ich las weniger, ich verbrachte weniger Zeit mit meiner Tante und war auch kaum zu Hause, doch das war mir egal. Kana war ein wundervoller, chaotisch verrückter Mensch. Ihre Welt drehte sich um bunte Haare, alte Tratschweiber und diese zwei Bälger, die ich – trotz ihrer anstrengenden Art – mit der Zeit irgendwie doch in mein Herz schloss. Kanas Lebensgeschichte definierte sich nicht durch Zahlen und Ziffern.
    Sie war aufregend!


    Es war ein angenehm lauwarmer Spätsommer-Tag, an welchem sie das zweite Mal mit mir über ihren Ex-Mann sprach. Bisher war dieser Mensch zwar erwähnt worden, jedoch in Form eines gesichtslosen Schattens, den sie stets umschiffte. Doch an diesem bestand sie auf dieses Thema und ich lauschte gebannt ihren Worten.
    Ihre Geschichte war langatmig und nicht schön und ich verstand, warum sie auf ein Treffen ohne die Kinder in einem kleinen Cafe am Stadtrand bestanden hatte.
    Sie erzählte mir, wie sie ihren Ex-Mann während einer Kinovorstellung kennen und lieben lernten und sie erzählte mir von ihrer Naivität. Sie hätte ihn wohl nach wenigen Monaten völlig übereilt geheiratet. Sie besaß zu dieser Zeit weder eine abgeschlossene Ausbildung, noch eine feste Wohnung. Sie verließ sich voll und ganz auf ihn, wurde gegen Ende ihrer Ausbildung schwanger und verstand die Welt nicht mehr, als er sie daraufhin verließ.
    ‚Liebe macht Menschen verdammt blind, weißt du?’
    Ich wusste es nicht. Ich war zu jenem Zeitpunkt 18 Jahre alt und hatte nie einen einzigen Gedanken an die Liebe verschwendet. War das wirklich so außergewöhnlich, dass sie mich dafür auslachen musste?
    ‚Als er ein Jahr später zurück kam, war ich kein bisschen klüger geworden. Ihm standen alle Türen bei mir offen.’
    Auch das verstand ich nicht.
    Wieso vertraute sie einem Mann, der sie schon einmal fallen gelassen hatte?
    Sie erzählte mir, wie sie erneut schwanger wurde und sie gemeinsam Zukunftspläne schmiedeten. Wie sie beide diese Gesellschaft nicht länger tolerierten und ihr entfliehen wollten. Waghalsige Pläne von einer abenteuerlichen Zeit. Eine Reise voller Abenteuer, Verwerflichkeiten und Gesetzlosigkeit.
    ‚Ich war mit dem Herzen dabei – er nicht.’
    Als er irgendwann sah, wie ihr Psycho-Pass immer düsterer wurde, bekam er es mit der Angst zu tun. Er verschwand erneut und ließ sie zum zweiten Mal mittellos und ihrer Träume beraubt zurück.


    An jenem lauen Sommer-Tag zeigte sie mir das erste Mal ihren Psycho-Pass.
    Er zeigte eine 98 und wir beide wussten, was das bedeutete.
    Kana fragte mich, ob ich ihr einen großen Wunsch erfüllen würde. Sie fragte mich, ob ich mit ihr ein letztes Abenteuer bestreiten wolle und ich zögerte keine Sekunde mit meiner Antwort. Es war mir eine Ehre, ein Teil ihrer Geschichte zu sein.


    Kapitel 5


    Es regnete, als ich unsere schwere Haustür hinter mir zuzog. Es war ein warmer Regen an einem düsteren Tag.
    Die Tasche auf meiner Schulter fühlte sich schwerer an, als ich gedacht hätte. Wahrscheinlich musste auch ich erst lernen, ein Abenteurer zu sein.


    Es war nicht schwierig, eine Werkstatt zu finden, die Autos verlieh. Ich stellte mich dem älteren Herren vor, zeigte meinen blütenweißen Psycho-Pass und bekam einen Schlüssel ausgehändigt. Vorbehaltlos glaubte er mir, dass ich nur kurz eine Testfahrt um den Block machen würde. Nicht einmal einen Führerschein wollte er sehen. Schließlich war ich ja kein Verbrecher, oder?


    Es war ein schöner Wagen und trotz meiner anfänglichen Schwierigkeiten bekam ich es irgendwie hin, ihn bis vor Kanas Salon zu fahren. Zum Glück war die heutige Technologie dabei sehr hilfreich.
    Auch nach dem Diebstahl war mein Psycho-Pass schneeweiß.


    Ich glaube ich wusste es bereits, als Kana sich außergewöhnlich lange von ihren Kindern verabschiedete.
    Sie brachte sie in ihre Wohnung, die direkt über dem Geschäft lag und las ihnen etwas vor, ehe sie die beiden ins Bett schickte. Sie gab ihnen einen Kuss auf die Stirn, während sie die Decke ordentlich über sie zog und ihnen die Haare aus der Stirn strich.
    Auf dem Weg nach draußen sah ich einen schlichten, weißen Briefumschlag auf ihrem Küchentisch liegen. Sie bemerkte meinen Blick, doch wir sagten beide kein Wort. Wir brauchten keine Worte, weil es Dinge gab, die man nicht aussprechen musste.


    Die ersten Stunden verbrachten wir damit, ewig mit dem Wagen durch die abgelegenen Straßen der Großstadt zu fahren. Wir lachten und schimpften und verfluchten gemeinsam dieses System, das uns alle unterdrückte. Wir entwarfen die verrücktesten Pläne, um Sybil zu stürzen. Einer dämlicher als der andere, aber jeder von ihnen hoffnungsvoll und irgendwie mit einem Funken Ernsthaftigkeit versehen.
    Wir achteten darauf, auf den Seitenstraßen zu bleiben, denn hier gab es keine Scanner. Es gab nur uns und die bunten Lichter der Stadt. Wenn man alles andere ausblendete, fühlte es sich fast ein wenig wie Freiheit an.
    Irgendwann während diesen Stunden schob sie ihren Arm in mein Blickfeld und zeigte mir ihren Psycho-Pass. Er hatte schlussendlich den zweistelligen Bereich verlassen.


    Ich muss gestehen, dass ich damals noch sehr unsicher war, was die Vorteile eines ständig reinen Psycho-Passes anging. Das einzige, was ich sicher wusste war, dass ich mich frei bewegen konnte.
    Darum ließ ich Kana im Auto zurück, als ich mit nichts weiter als einem kleinen Hammer ausgestattet eine Videothek in einem Vorort aufsuchte. Mein ursprünglicher Plan war es, die Scheibe einzuschlagen, doch die Scanner registrierten meinen Psycho-Pass und öffneten mir die Türen.
    Es war ein vollkommen automatisiertes System, welches nur verriegelte, wenn potentielle Kriminelle in seine Nähe kamen.
    Die Menschen waren wirklich nachlässig geworden.


    Tief im Keller, zwischen zig anderen archivierten und vergessenen Aufnahmen, fand ich den Film, den Kana mir genannt hatte. Es war eben jener Film, bei dem sie ihren Ex-Mann kennen gelernt hatte und der mittlerweile auf der roten Liste stand.
    Sybil mochte diesen Film nicht.
    Aber Kana mochte ihn.
    Dieser Film war irgendwie der Anfang von ihrem Ende gewesen.


    Ich hätte nicht gedacht, dass es derart mühsam wäre, einen dieser dämlichen Scanner zu zerstören. Das Gerät hing hoch oben über dem Eingang und ich war weder ein guter Kletterer, noch besonders stark. Ich beschloss, bald damit anzufangen, ein wenig zu trainieren. Sollte es irgendwann so weit sein, würden mich kein Dominator und auch keine Drone mit einem gezielten Schock ausschalten.
    Gegen meinen Psycho-Pass würde nur reine, menschliche Gewalt etwas bewirken.


    Kana sah mir aus sicherer Entfernung gebannt zu und als ich ihr die Beifahrertür öffnete und die Hand reichte, sah ich Skepsis in ihren Augen.
    Ich wusste, was ihr auf dem Herzen lag. Natürlich fragte auch sie sich mittlerweile, warum ich solche Dinge tun konnte.
    ‚Es ist ok.’ Ich lächelte und mein Charme wirkte.
    Sie stellte keine Fragen.
    Auf dem Weg zum Kinosaal musste ich noch zwei weitere Scanner untauglich machen. Dann erst konnte sie unbemerkt passieren.


    Der Film war in meinen Augen nichts Besonderes. Es war ein klassisches Liebesdrama vor einem Kriegs-Hintergrund und wäre es nicht um Kanas Willen gewesen, hätte ich mir diesen Film wahrscheinlich nie angesehen.
    Es bereitete mir viel mehr Freude, ihre strahlenden Augen anzuschauen, als den Blick auf die Leinwand zu richten. Das Feuer darin zog mich unweigerlich in seinen Bann.
    Irgendwann, mitten während der Vorstellung, drehte Kana sich dann plötzlich zu mir um. Ein paar blonde Strähnen fielen ihr dabei ins Gesicht. Grinsend pustete sie diese bei Seite. Dann küsste sie mich.
    Ich tat vieles, worum Kana mich bat, aber ich küsste sie in diesem Moment nicht zurück.
    Trotzdem lächelte sie mich nach dem Kuss kurz an, ehe sie sich wieder kommentarlos der Leinwand zuwandte.
    Vielleicht hatte sie gar nicht erwartet, dass ich diesen Kuss erwiderte.


    Kana war weitaus geschickter im Umgang mit dem Auto als ich. Sie erzählte mir, dass sie als Jugendliche die Lizenz erworben hätte, sich danach aber nie einen eigenen Wagen leisten konnte.
    So überließ ich ihr das Steuer, als wir nach unserer kleinen Privatvorführung wieder in das Auto stiegen. Sie beendete das System, das den Wagen automatisch fuhr und erklärte mir begeistert den Umgang mit einer manuellen Schaltung und Lenkung.
    Dann fuhren wir mitten in die Stadt.


    Die Zeit verflog geradezu, während wir durch die Innenstadt fuhren, jegliche Geschwindigkeitslimits ignorierten und an jedem leicht erreichbaren Scanner anhielten und ihn in einen Haufen Metallschrott verwandelten.
    In jener Nacht war ich kein ruhiger Mensch. Ich lachte und kicherte, grölte und jubelte zusammen mit ihr. Wir amüsierten uns über die Leute vom Bureau, denen wir immer wieder vor der Nase wegfuhren und sangen laut zu der Musik, die aus dem Autoradio erklang.
    Wir lebten.


    Mir kam es vor, als hätten wir das stundenlang gemacht. Wahrscheinlich war diese Zeit aber viel kürzer. Das Bureau bestand aus geschulten Beamten, die uns immer dichter auf den Fersen waren.
    Darum ließen wir das Auto an einer Straßenecke stehen. Ich nahm Kana an die Hand, während wir durch enge Seitengassen flüchteten und sie stammelte etwas davon, dass sie Vorkehrungen getroffen hätte. Sie versicherte immer wieder, dass ihre Kinder versorgt wären. Dass ihre Mutter sich um sie kümmern würde und dass sie sogar ein wenig Geld zurückgelegt habe. Irgendwo dazwischen hörte ich heraus, dass sie niemals wolle, dass ihre Kleinen sie eingesperrt in einem Gesundheitszentrum besuchen müssten. Dass sie nie von ihnen so gesehen werden wolle.
    Ich verstand ihre Wünsche und dennoch hätte ich gerne länger mit ihr gelacht, zerstört und rebelliert.


    Kana starb kurz vor Sonnenaufgang durch meine Hand. Des ewigen Davonlaufens müde geworden, setzten uns irgendwo an eine dreckige Hauswand und sie drückte mir einen kleinen Zettel in die Hand. Es war eine Telefonnummer. Sie bat mich, ihre Mutter sofort am nächsten Tag wegen der Kinder zu informieren.
    Eigentlich wollte sie mich wegschicken, als sie aus ihrer Tasche ein Rasiermesser hervorzog. Es war eine der Klingen, mit welcher sie normalerweise ihrer männlichen Kundschaft eine feine Rasur zukommen ließ. Ein paar wenige Male hatte ich sie dabei beobachtet und sie war stets konzentriert gewesen, damit sie keinen falschen Schnitt setzte. Nun jedoch zitterte ihre Hand.


    Sie lächelte, als ich ihr die kühle Klinge an den Hals setzte.


    Ich hätte nie gedacht, dass ein reiner Psycho-Pass so viele Möglichkeiten eröffnen könnte. Als ich nur zwei Straßen weiter einem Officer in die Arme lief, bekam ich keinerlei Probleme. Sybil teilte ihm mit, dass ich völlig ungefährlich sei.
    Selbst das Blut an meiner Hand ließ ihn daran nicht zweifeln. Er hetzte weiter, ohne mich eines zweiten Blickes zu würdigen.

    Einmal editiert, zuletzt von Yukiko Suzuki ()

  • Ach hört schon auf :D Sie klopfen an meiner Tür , hämmern gegen die Hauswand. ,Wo bleibst du nur? Wo bleibt dein Wundervolles Essen , deine Zuneigung und die Liebe?' Verzweifelt sind sie , doch mit recht. Sie verfielen dem Geschmack und der Frische schnell , und sehnten sich umso mehr nach mehr. Ich konnte es nicht ahnen aber meine Zeit blieb fort und die Tür zu. Tag für Tag leere Stühle an meinem Tisch. Tag für Tag Dunkelheit in den Räumen. Doch ich erinnerte mich an euch , die Lieben Besucher und stillen Zuhörer und schlürfer. Das Licht flammte neu auf und kleine laute hallten durch die Gegend. Jene vernahmen und verstanden. Sie kehren ein und machen sich bereit! Ein neues Gericht wartete auf sie , und so folgen Sie dem Ruf.
    (Aus Privaten Umständen kam ich leider nicht zur Fortsetzung. Ich Bitte um Verzeihung und bemühe mich in nächster Zeit :) deswegen gibt es auch einen süßen Bonus )

    Kapitel 6!

    Ohne Kana wurde mein Leben wieder langweilig.
    Nach ihrem Tod traf ich viele Entscheidungen. Unter anderem jene, dass ich nicht mehr zu meinen Eltern zurückkehren würde.
    Ich besaß nur meine Kleidung am Leibe, eine Tasche mit einer Wasserflasche, den kleinen Hammer und die Rasierklinge, welche ich als letzte Erinnerung an Kana einbehalten hatte. Aber das war gar kein Problem.


    Meinen Eltern erzählte ich ihnen von einem Stipendium und von einer Wohnung weit außerhalb der Stadt. Sie glaubten meinen Lügen, weil ein Lügner von Sybil enttarnt worden wäre.
    Während ich sie anfangs noch regelmäßig besuchte, so stellte sich dies schlagartig ein, als meine Eltern sich scheiden ließen.
    Sie waren einander überdrüssig geworden und hatten jeweils Ersatz für den anderen gefunden.
    Sie hatten sich dem modernen Gesellschaftsbild angepasst, in dem kaputte Dinge nicht repariert, sondern weggeworfen wurden.


    Das Leben ohne Job und elterliche Unterstützung – man mag es kaum glauben – war für mich erschreckend leicht. Es war ungemein einfach, jemanden zu überwältigen und sich seiner Bankdaten zu ermächtigen. Ebenso einfach war es mit dem gestohlenen Geld eine kleine Wohnung zu erwerben.
    Wenn du einen sauberen Psycho-Pass hattest, vertraute dir jedermann.
    Außerdem konnte man gedankenlos Verbrechen begehen. Wenn ich Hunger hatte stahl ich offensichtlich in den Geschäften. Die Leute bemerkten es, doch sie starrten mich bloß an. Niemand handelte. Es war lachhaft. Ich hätte schon viel früher darauf kommen können.
    Die Gesellschaft war der langsamen Verdummung zum Opfer gefallen. Sie vertrauten einem System mehr als ihren eigenen Augen.
    ‚Sybil sagt-…’
    ‚Sybil hätte ihn bemerkt, wenn-…’
    ‚Sybil-…’
    Sybil, Syibl, Sybil…
    Es ging doch immer nur um Sybil.


    Aber Sybil lag falsch.
    Zumindest bei mir.
    Ich war nicht länger schneeweiß. Ich war eine tiefe Schwärze, verborgen unter einer dicken Schicht aus Schnee und keiner vermochte es zu sehen.
    Ich war die Achillessehne dieser Gesellschaft, welche sie sich selbst erschaffen hatte.
    Ich war ein Fehler im System.
    Ein Aussätziger.
    Ich war ein letzter freier Abenteurer, gepeinigt durch die Schmach, dass niemand seine Geschichte lesen wollte.
    Letztlich war ich alles, was ich immer bewundert hatte und wurde dennoch von niemandem bemerkt. Ich hätte nie gedacht, dass ein Andersdenker so einsam ist.


    Viele Stunden verbrachte ich damit, mich nach meinen eigenen Wünschen zu fragen. Was wollte ich tatsächlich? Was würde mich endlich glücklich machen?
    Die Antworten darauf waren nicht leicht zu finden.
    Ich wollte ein Andersdenker bleiben.
    Andererseits hatte ich genug von der Einsamkeit.
    Die einzige Lösung war es, einen anderen Menschen zu finden, der wie ich dachte. So jemanden wie Kana.
    Diese Frau hatte mir bewiesen, dass die Menschen noch nicht vergessen hatten, dass man seine Biografie selbst verfassen konnte. Sie unterdrückten und verschleierten ihre wahren Wünsche, doch tief in ihrem Inneren waren sie anders. Grundsätzlich wollten die Menschen auch unter Sybils Herrschaft die Feder nicht aus der Hand geben. Sie unterbanden dieses Gefühl lediglich, weil sie ansonsten unter Sybils wachsamen Augen auffallen würden.
    Sie lebten nicht mehr. Sie waren quasi das lebendige Inventar dieses Systems geworden.


    Demzufolge hätte ich alleine die Macht, sie wieder zum Leben zu erwecken. Ich könnte eine neue ‚Kana’ finden. Diese Person würde aber auch das gleiche Ende wie Kana erfahren müssen.
    Wäre das eine Option?
    Wäre es etwas Gutes, Menschen zu finden und sie wieder lebendig werden zu lassen? Wenn auch nur für eine kurze Weile? Durfte ich sie nach eigenem Gutdünken von ihrem Dasein als lebendiges Inventar erlösen?
    Was wollten die Menschen wirklich? Ein kurzes Leben oder einen langsam siechenden Tod?
    Ich möchte hier klar stellen: Ich wollte nie für irgendjemandem etwas Schlechtes. Niemandem. Tief in mir drinnen war ich immer noch reiner Schnee. Und deswegen beschäftigten mich diese Fragen eine sehr, sehr lange Zeit.


    Resultierend aus meiner Unsicherheit verbrachte ich Stunde um Stunde in der städtischen Bücherei. Dort durchforstete ich Bücher von Siegmund Freud, Gustav Kafka, Henry Murray und vielen anderen namhaften Psychologen. Ich wollte die Wünsche und Ängste der Menschen besser verstehen und versuchte so viel Wissen wir möglich zu sammeln.
    Freud selbst hat es gesagt.
    ‚Der Mensch ist eben ein ‚unermüdlicher Lustsucher’, und jeder Verzicht auf eine einmal genossene Lust wird ihm sehr schwer.’
    Meine Lust ist seit jeher das Lesen gewesen. Lesen und folglich die Ansammlung von Wissen und das Erlernen des Unbekanntem.
    Obwohl ich meinen Büchern lange Zeit ein wenig untreu gewesen war, so war ich mir doch zu jeder Zeit sicher, dass es mich irgendwann wieder an die Quelle meines Wesens zurückführen würde. Wissen war nach wir vor Macht und nun brauchte ich diese Macht, um wichtige Entscheidungen zu fällen.
    Entscheidungen, zu denen die toten Menschen unserer Gesellschaft nicht mehr in der Lage waren.


    Schließlich war es ebenfalls Freud, der mir meine Antwort lieferte:
    ‚Wir streben mehr danach, Schmerz zu vermeiden als Freude zu gewinnen.’


    Ich glaubte seinen Worten vorbehaltlos. Warum sollte ich es anzweifeln? Ich hatte es doch mit eigenen Augen gesehen. Dass die Menschen träge waren, bewies bereits ihre Unterwürfigkeit gegenüber Sybil. Sie hatten ihr freies Denken und Handeln aufgegeben und es in die Hände dieses Systems gelegt.
    Freuds Aussage war somit für mich nachvollziehbar, wenngleich sie abermals ein geistiges Armutszeugnis der Menschheit unterschrieb.


    Ich erinnere mich noch an den Morgen, als neben der Zahl meines Psycho-Passes plötzlich eine Nachricht vom Ministerium angezeigt wurde.
    Es war wieder Frühling geworden und dennoch hatte ich an diesem Tag keinerlei Lust, die wieder aufblühende Natur zu erkunden. Mein Leben war furchtbar trist und ich spürte, dass auch mein Geist sich dieser Trägheit anpasste.
    Frei von Pflichten und frei von gesellschaftlichen Normen war ich dennoch gefangen in ihnen. Ich nahm das gleiche Frühstück zu mir, wie an jedem anderen Tag und ich überflog die gleiche Zeitung, deren Wahrheitsgehalt man grundsätzlich anzweifeln sollte. Erst am Mittag würde ich mich wieder dazu bequemen in die Bücherei zu gehen.
    Beziehungsweise hätte ich mich am Nachmittag dazu bequemt, wenn nicht diese Nachricht eingetroffen wäre.


    Ich, der ich doch so fernab von Sybil stehe, hätte nie gedacht, dass dieses System mir eine Mitteilung über meine Zukunft machen würde.
    Es war keine besondere Nachricht. Jeder junge Mensch bekam sie in der heutigen Zeit, sobald Sybil beschloss, dass er bereit war in die Berufswelt einzutreten.
    Da mein Psycho-Pass stets blütenrein geblieben war, wunderte mich auch die zweifelsfrei hohe A-Bewertung keineswegs. Ich war für vieles qualifiziert, für einiges sogar überqualifiziert.
    Zumindest behauptete Sybil das.
    Ich hatte die Wahl, die viele andere Menschen niemals bekamen, obwohl ich nie darum gebeten hatte.


    Und obwohl ich Sybils Entscheidung als lächerlich empfand, so war der Grundgedanke reizvoll.
    Die Ausübung eines Berufes könnte mir neue Möglichkeiten bieten. Es würde meinen eingefahrenen Alltag verändern und meinem Leben vielleicht wieder ein klein wenig Sinn geben. Hieß es nicht immer, dass der Mensch mit seinen Aufgaben wuchs?


    So war ich schließlich zwanzig Jahre alt, als ich die verschiedenen Job-Vorschläge durchforstete, die Sybil mir anbot. Es war nach dieser langen Zeit ein großer Schritt, mich auf diese Art wieder der Gesellschaft zuzuwenden.
    Obwohl ich noch nie darüber nachgedacht hatte, fiel mir spontan die Oso Privatschule ins Auge. Dort wurde ein neuer Kunstlehrer gesucht. Der Gedanke, andere Menschen etwas zu lehren, reizte mich ab dem Augenblick an, in dem mir diese Option aufgezeigt wurde.
    Rückblickend verstehe ich mich in diesem Punkt selbst nicht mehr. Ist es nicht ironisch, dass ausgerechnet ich unterrichten wollte?
    Ich, der ich nicht mehr an das eigenständige Denken der Menschen glaubte?
    Hatte mein Unterbewusstsein doch noch Hoffnung oder war es etwas anderes?


    Etwas anderes. Kozaburo Toma und Toyohisa Senguji waren wahrscheinlich dieses Etwas, denn mit diesen beiden Menschen sollten sich mir erneut völlig fremde Türen öffnen.


    Kapitel 7!


    Die Oso Privatschule lag auf einem seichten Hügel, umgeben von grünen Wäldern und einem kleinen Bachlauf, der sich direkt neben der Cafeteria entlang schlängelte. Es war ein ruhiger, malerischer Ort, wie man ihn nur noch aus Erzählungen kannte.
    Das Schulgebäude war ein altes, herrschaftliches Haus. Es gefiel mir, dass hier keine Hologramme genutzt wurden. Die Wände wären tatsächlich aus altem Bruchstein geschichtet und wirkten stabil und sicher.
    Ich mochte diesen Ort, obwohl mir die vielen jungen Mädchen nicht sympathisch waren. Schlimmer sogar: Nach nur wenigen Tagen begann ich sie zu verachten.
    Sie waren naiv und weltfremd. Abgeschirmt von jeglichen negativen Einflüssen verkümmerten ihre Charaktere.
    Oftmals wünschte ich mir, dass jemand sie mit ernsthaften Problemen konfrontieren würde. Ich wollte sie spürten lassen, dass die größten Sorgen des Lebens keine schlechten Noten waren. Ich wünschte mir Verzweiflung, Panik und Hilflosigkeit in ihre Augen zu sehen.
    All diese Gefühle waren ihnen fremd und ich war mir sicher, dass es ihnen nicht schaden würde, sie zu erfahren.

    Und obwohl ich für meine Schüler nur Verachtung übrig hatte, gab es dort dennoch Personen, die mich interessierten.
    Zum einen war da Toyohisa Senguji. Er war ein Förderer der Schule und sein starrer, toter Blick irritierte mich im ersten Moment. Senguji war ein 90%-iger Cyborg. Es war offensichtlich, dass er durch diese vollkommene Umwandlung versuchte der Unsterblichkeit näher zu kommen. Bald fragte ich mich, welchen Grund er dafür haben mochte.
    Was sah er in dieser Welt, dass er für immer in ihr verweilen wollte?
    Oder hatte er schlichtweg Angst vor dem Tod?
    Ich für meinen Teil fürchtete mich nicht vor dem Tod. Das Leben war eine interessante Erfahrung. Nicht mehr und nicht weniger. Es war bloß eine unbekannte Zeitspanne, in welcher ich diese Welt und ihre Begebenheiten erkunden konnte.
    Für immer weiterleben? Obwohl ich sehr an meinem Leben hing, erschien mir dieser Gedanke fürchterlich.

    Die zweite Person, die eine wichtige Rolle spielen sollte, war Kozaburo Toma. Er war ebenfalls Lehrer und unterrichtete Sozialkunde.
    Die ersten Monate fiel er mir überhaupt nicht auf. Er war ein unscheinbarer junger Mann. Sehr durchschnittlich und ruhig.
    Während der Unterrichtswechsel liefen wir uns hin und wieder in einem der langen Gänge über den Weg. Wir grüßten uns und wechselten ein paar höfliche Worte, ehe wir im nächsten Klassenzimmer verschwanden.
    Nicht mehr und nicht weniger.
    Und während ich mir über alle Menschen an dieser Schule eine Meinung bildete, blieb Kozaburo Toma ein unbeschriebenes Blatt.
    Eigentlich hätte mir allein dieser Fakt bereits ein Hinweis sein müssen.
    - Auf den wahren Menschen hinter der unscheinbaren Fassade und letztlich auch auf die tatsächliche Beschaffenheit des Sybil Systems.
    Zu diesem Zeitpunkt hätte ich aber niemals so weit gedacht.

    Genauso wie die Schülerinnen mussten sich auch die Lehrkörper zu den wöchentlichen Check-ups melden. Für mich war das nie ein Problem gewesen, weil ich meinem Psycho-Pass mittlerweile vollkommen vertraute. Es stand außer Frage, dass er jemals in gefährliche Bereiche steigen würde. Der Schwankungsbereich meines Psycho-Passes war größer als zu Zeiten meiner Kindheit, aber in keinerlei Weise besorgniserregend.
    Es gab jedoch eine spezielle Sache, die bezüglich des Psycho-Passes an diesem Ort anders gehandhabt wurde:
    Während die Scanner in der Öffentlichkeit lediglich Momentaufnahmen erstellten, so hielt hier ein Psychologe die ermittelten Werte in eine Personalakte fest.
    Das war etwas Neues für mich, der ich doch innerhalb weniger Sekunden einen völlig anderen Wert haben konnte.
    Es wäre aufgefallen, wenn ich innerhalb einer Woche von einer 50 auf eine 0 gesunken wäre oder anders herum.

    Zum Glück hatte ich dieses Problem bereits gelöst, ehe es mich betraf.
    Während den langweiligen Monaten nach Kanas Tod hatte ich einige Selbstexperimente vorgenommen und herausgefunden, dass ich meinen Psycho-Pass durch reine Willenskraft in die eine oder andere Richtung manipulieren konnte. Das war eine wichtige Lektion, die es mir nach weiterem Üben ermöglichte, meine Unregelmäßigkeiten auch an der Schule geheim zu halten.
    Ich entschied mich schnell für eine 20, die ich als schöne Zahl erachtete. Mit genau diesem Wert ließ ich mich wöchentlich scannen und niemand stellte Fragen.
    Es war der optimale Wert eines Lehrers, der Vorzeigeschülerinnen an einem beispiellos perfekten Internat unterrichtete.

    Bei Toma sah das anders aus.
    Auch er war noch ein junger Lehrer. Ich erfuhr aus den Gesprächen meiner Kollegen, dass er nur wenige Wochen vor mir hier angefangen hatte.
    Während die Lehrkräfte in Anwesenheit der Schülerinnen stets jedes Wort auf die Goldwaage legten, so flüsterten sie umso mehr in den sicheren vier Wänden des Lehrerzimmers. Das wunderte mich nicht. Nirgends sonst in diesem Gebäude durfte man frei sprechen. Schließlich galt es als oberste Priorität, die Schülerinnen stets vor schlechten Einflüssen fernzuhalten.
    Zum Schutz der jungen Mädchen durften meine Kollegen nur in diesem einen Raum, hinter sicher verschlossenen Türen, zweifelhafte Themen laut aussprechen.
    Eines jener Themen war Tomas Psycho-Pass.

    Mein Interesse für diesen Mann wurde schlagartig geweckt, als ich die Geschichten über seine schwankenden, aber stets niedrigen Werte hörte.
    Die anderen Lehrkräfte konnten sich – im Gegensatz zu mir – keinen Reim darauf machen.

    Es war mir ein Leichtes, noch in der gleichen Nacht ins Schularchiv einzubrechen, Tomas Akte durchzulesen und mir einen Überblick über die Werte seines Psycho-Passes zu verschaffen.
    Dieser Mann war genau wie ich.
    Er war der Beweis, dass es einen weiteren Fehler im System gab und ich vermutete, dass er sich dessen zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst war.


    Kapitel 8!


    Obwohl ich mit den Jahren ein Gespür für die Menschen entwickelt hatte, wollte ich bei Toma vorsichtig vorgehen. Er war ein völlig neuer Faktor in dieser Welt, den ich nie bedacht hatte.
    Und dennoch wollte ich mit ihm in Kontakt treten. Ich wollte mich ihm offenbaren und in ihn einen neuen Weggefährten finden. Quasi meine neue ‚Kana’, die mir niemand mehr wegnehmen konnte.

    Während ich Pläne bezüglich einer guten Kontaktaufnahme schmiedete, traf ich abermals auf Senguji.
    Er besuchte oft die Schule und informierte sich beim Rektor über die Bildungsmaßnahmen, die Essenspläne und die Freizeitgestaltungsmöglichkeiten. Dieser Mann schwamm geradezu im Geld und ließ es dieser Schule zukommen, weil seine einzige Enkelin hier unterrichtet wurde.
    Normalerweise mochte der Rektor keine neugierigen Außenstehenden auf dem Gelände, doch Senguji war eine Ausnahme. Wegen seiner hohen Geldspenden standen ihm stets alle Türen offen.

    Mich interessierte jedoch etwas anderes an ihm.
    Wenn dieser Mann nicht im Büro des Rektors war, so verbrachte er die meiste Zeit in der Nähe der Sportstätten und schaute den jungen Mädchen beim Unterricht zu.
    Obwohl ich nicht in seinen Augen lesen konnte, zeigte seine Körperhaltung Begeisterung und etwas anderes, was ich nicht mit Worten definieren möchte.
    Anfänglich hielt ich ihn deswegen für einen perversen, alten Mann.
    Doch damit lag ich falsch.

    Wir kamen ins Gespräch, als er die Turnhalle zum Unterrichtswechsel verließ.
    Eigentlich hatte ich diese Unterhaltung nicht geplant. Völlig spontan sprach ich ihn an und fragte ihn, warum er immer wieder diesen Ort aufsuche.
    Er verstand durchaus meine unterschwellige Botschaft und lachte dennoch. Scheinbar fand er meine Theorie eher witzig, als bedenklich.
    Was er mir danach erzählte, hätte eine Lüge sein können. Obwohl ich keinerlei Beweis für den Wahrheitsgehalt seiner Worte hatte, glaubte ich ihm dennoch.
    Er erklärte mir, dass ihn nicht die Körper der jungen Mädchen faszinieren würden. Es wäre vielmehr die Energie, die ihre körperliche Anstrengung ausstrahlte. Dieser Mann war ein Liebhaber des Wettstreitens und Kämpfens. Er ergötzte sich am Anblick der Anstrengung und der körperlichen Kraft.
    Wie viel weiter diese Leidenschaft reichte, würde ich später noch erfahren.

    Bald darauf trafen wir uns in meinen Privaträumen auf eine Flasche Scotch, die er mitbrachte. Ich mochte das Getränk nicht, doch dieser Mann hatte mein Interesse geweckt. Darum lächelte ich und schüttete mir ebenfalls ein Glas ein.
    Schließlich bestand die Chance, dass auch Senguji ein Mensch war, der seine Biografie selbst schreiben wollte.
    Und es gibt einen wichtigen Punkt, den ich hier betonen möchte: Dieser Mann war für mich von Anfang an bloß ein interessantes Objekt. Es war das erste Mal, dass ich einen Menschen wissentlich als Objekt bezeichnete. Das hatte ich zuvor nie getan, weil ich die Menschen in ihrer Grundbeschaffenheit schätzte und respektierte.
    Es war der erste Schritt zu einer anderen Denkweise, die später mein Leben prägen sollte.
    Aber war es mir zu verübeln? Sengujis tote Augen und sein starres Gesicht machten es mir unwahrscheinlich leicht, ihm seine Menschlichkeit abzuerkennen.

    Zu dieser Zeit begann es, dass ich die Menschen, die ich kennenlernte nicht mehr nach ihren Namen fragte.

    Senguji war ein einflussreicher Mann unserer Gesellschaft. Er besaß Geld, Ansehen und unwahrscheinliche Macht.
    Viel größer als all das war jedoch seine Blutdurst.
    Anders als anfänglich erwartet, fürchtete er sich nicht vor dem Tod. Obwohl sein Streben nach Unsterblichkeit seinesgleichen suchte, so sehnte er sich dennoch nach dem ultimativen Nervenkitzel. Und dieser Nervenkitzel stellte sich ihm in Form eines Spiels auf Leben und Tod dar.

    Seit ich bewusst mein Charisma einsetzen konnte, fiel es mir leicht, diesen Mann in meinen Bann zu ziehen. Ich machte Andeutungen, dass ich anders sei. Ich erzählte ihm, dass ich ihn verstand und dass auch ich nach einer größeren Herausforderung suchen würde.
    Genau genommen war das die Wahrheit. Denn wir waren uns in vielen Dingen ähnlich und doch stellte ich ihn gedanklich nicht auf mein Podest.
    Auch Senguji war sich der Tatsache bewusst, dass er für mich nur ein Zeitvertreib war und dennoch zeigte er mir sein unterirdisch angelegtes Jagdgebiet.
    Zwischen uns gab es keine Lügen.
    Und obwohl ich anfänglich lange zweifelte, erklärte ich ihm bald, was an mir anders war. Früher hatte ich lange gezögert, ehe ich meiner Tante dieses Geheimnis anvertraute. Nicht einmal Kana hatte davon gewusst.
    Aber war es schlussendlich überhaupt wichtig, es geheim zu halten? Niemand konnte etwas dagegen ausrichten und niemand konnte mich dafür anklagen. Selbst wenn es öffentlich bekannt würde – es wäre mehr Schaden als Gewinn für Sybil. Dieses System und folglich auch die Regierung, mussten einen Menschen wie mich um jeden Preis verleugnen. Die Menschen trauten Sybil vorbehaltlos und dieses Vertrauen würde schlagartig in sich zusammenbrechen, sobald ein Fehler bekannt würde.
    Demzufolge erzählte ich Senguji von meinem Psycho-Pass, während ich ihm einen Deal vorschlug:
    Er würde mich eine Weile unterhalten und dafür würde ich ihm Beute für seine Jagd beschaffen.

    Außerdem bot mir Senguji einen weiteren, reizvollen Aspekt.
    Dieser Mann besaß umfangreiches Wissen über diverse Kampftechniken. Er konnte mir erklären, wie man einen Gegner mit körperlicher Gewalt bezwang und so entschloss ich mich dazu, bei ihm Unterricht zu nehmen.
    Seitdem verbrachte ich viele meiner Freistunden mit ihm in den großen Turnhallen des Internats und obwohl er in vielerlei Hinsicht ein seltsamer Mann war, so war er ein guter Lehrer.
    Er nahm nie ein Blatt vor den Mund. Er testete mich und sagte mir von Anfang an, dass ich schmal gebaut sei und zu wenig Ausdauer besäße, um einen offensiven Stil an den Tag zu legen. Meine Stärken waren Schnelligkeit und Wendigkeit, die ich seiner Meinung nach gezielt einsetzen sollte.
    Anfangs war es überaus frustrierend, gegen einen Cyborg zu kämpfen. Heute weiß ich, dass ich keinen besseren Gegner wählen konnte. Selbst professionelle Kampfsportler übten mit Robotern. Deren Stärke und perfekte Programmierung sollte das bestmögliche Training garantieren.
    Die Robotik hatte sich in den vergangenen Jahren erstaunlich weiterentwickelt, aber bisher besaßen selbst die besten Maschinen keine vollkommen menschliche Intelligenz.
    Senguji war mit seinem künstlichen Körper eben so stark wie die Roboter und dennoch ein besserer Gegner. Anders als die Kampfroboter besaß dieser Mann einen menschlichen Verstand, weswegen seine Attacken schwer vorherzusehen und manchmal völlig überraschend waren.
    Er lehrte mich schließlich einen defensiven, lauernden Stil des Pencak Silat. Dieser südostasische Kampfstil existiert in über 800 Einzelstilen und konnte alleine mit Körperkraft, aber auch in Kombination mit verschiedenen Waffen praktiziert werden. Senguji wählte für mich eine Technik, bei welcher ich stets auf einen Fehler meines Gegners wartete, um dann umso heftiger zu treffen. Sie war perfekt für mich und obwohl ich zuvor noch nie besonders sportlich gewesen war, bereitete es mir schnell Freude.

    Kozaburo Toma.
    Es würde ewig dauern, wenn ich all meine Gedanken zu diesem Mann niederschreiben würde. Er war mir so ähnlich und doch so fremd.
    Er stellte für mich Hoffnung und Sorge gleichermaßen dar.
    Ich fürchtete sein Lachen und genoss die Wut in seinen Augen.
    Manchmal denke ich, dass ich ihn vollkommen verstand.
    An anderen Tagen hatte ich das Gefühl, dass mir dieser Mensch ferner nicht sein könnte.

    Einmal editiert, zuletzt von Yukiko Suzuki ()

  • Ich sag mal lieber nicht's mehr :3
    Woche für Woche kehren sie ein , speisen mein und Trinken mein. Nehmen Platz in meinem Hause und Danken es mit Glücklichen , begeisterten Gesichtern. Liebe Grüße finden sich in der Post und Zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht. Ihr Gebt mir Motivation und Lust auf neues! Erneut finden Sie sich hier ein doch diesmal ist etwas anders. Ein neuer Tisch , mit neuem Gestell und Besteck findet sich neben dem Alltäglichen vor. Ich seviere die nächste Runde , doch euer Blick auf die andere Seite bleibt bestehen. ,Neue überraschungen erwarten euch dort' kichere ich , Neue Geschmacks Explosionen wie ihr sie nicht erträumen könnt! Dort findet ihr die Gerichte von Blackface' Geheimnis.' Ich serviere dort eine neue Art von Gericht , auf den neuen Tisch , es riecht Pikant Gewürzt und sieht brisant dazu aus. Neugierde erwacht in euch und einige begeben sich hinüber , auf ein neues Abenteuer , aber bleiben auch dieser Treu.
    (Meine Lieben und Treuen Leser! Ich fühle mich geehrt euch etwas mitzuteilen zu dürfen , was euch freuen wird! Ich präsentiere eine neue Geschichte , Blackface' Geheimnis '! Dort findet ihr ein neues Abenteuer um Liebe und Geheimnis. Bitte schaut auch dort mal herein , velleicht erwecke ich eure Aufmerksamkeit und stetige Zuneigung!)


    Kapitel 9!


    Die Konfrontation mit Toma war eine einseitige Offenbarung.
    Ich sprach ihn – wahrscheinlich als erster an dieser Schule – direkt auf seinen schwankenden Psycho-Pass an. Meine Theorie war richtig gewesen: Er beschrieb jenes Phänomen, welches auch ich seit Jahren beobachtete. Er war sich der Details dieser Irregularität jedoch nicht bewusst.
    Auf den ersten Blick hatte er einige gute Eigenschaften.
    Toma hatte Stil und er besaß ein gesundes Selbstbewusstsein.
    Aber er war in vielerlei Hinsicht dumm.
    Ich erklärte ihm, was es mit seinem Psycho-Pass auf sich hatte und er ahnte nicht ansatzweise, woher ich mein Wissen bezog. Es war eine gute Entscheidung gewesen, ihm nicht von Anfang an zu vertrauen. So arbeitete ich zwar mit diesem Mann zusammen, doch er erfuhr während unserer gesamten Partnerschaft nicht, dass ich ebenso andersartig geschaffen war.


    Außerdem war Toma ein Mann, der mit Überzeugung von Dingen sprach, die er nicht verstand. Er war ein klassischer Mitläufer, der mich schnell bewunderte.
    Als er meine Leidenschaft für Bücher bemerkte, begann er ebenfalls zu lesen. Seine Wahl war fragwürdig. Seine Zitate wirkten gestellt. Er versuchte zwanghaft mein geistiges Niveau zu erreichen, wobei er sich selbst und seine Originalität verlor.
    In dieser Hinsicht war er – obwohl er wie ich sein müsste – ein langweiliger Mensch dieser Gesellschaft.


    Krass im Gegensatz dazu gab es jedoch auch eine andere Seite an Toma.
    Obwohl auch ich den Wert des menschlichen Lebens hin und wieder neu bemaß, so wollte mir dennoch Tomas Einstellung zu diesem Thema nicht verständlich werden.
    Zwar eiferte er mir nach und versuchte mich in jedweder Hinsicht zu kopieren, doch für ihn gab es nur einen einzigen, wirklich wichtigen Menschen in dieser Welt.
    Toma war ein Soziopath und zeigte Verhaltensstörungen, die einer Schizophrenie entsprachen.


    Warum ich mir ein solches Urteil erlaubte?
    Toma erzählte mir voller Stolz von seiner Zwillingsschwester ‚Princess’, die er vergötterte und für immer beschützen wollte. Problematisch war dabei nur, dass Princess tot war. Er selbst hatte sie umgebracht und verbarg sie in ihrem ‚Schloss’, eingefroren in einem Kühlschrank.
    Er schwärmte von ihren wunderschönen Augen und ihrem sanften Lächeln und davon, dass er dieses für immer bewahren wolle. Wenn er von ihr redete, verwendete er phasenweise die Gegenwartsform. An einigen Tagen erachtete Toma seine Schwester als lebendig. Ein anderes Mal war er sich ihres Ablebens bewusst und erzählte mir davon, dass er um jeden Preis ihren Tod rächen wollte. Freudig berichtete er mir am Tag darauf, wann er sie besucht und was sie ihm erzählt hatte.
    Dieser Mann litt unter Wahnvorstellungen.
    Kozaburo Toma war ein Mensch gewesen, von dem ich mir vieles erhofft und wenig erhalten hatte.
    Meine anfängliche Euphorie war unangebracht gewesen.
    Deswegen würde ich mit diesem Mann, dem ebenso wie mir die Welt offen stand, ein kleines Spiel spielen.


    An jenen Tagen an denen er sich ihres Todes bewusst war, konnte ich ihn Stück für Stück manipulieren. Eben diese Stunden des Rachedurstes waren mein Anhaltspunkt, um ihn zu einer meiner Marionetten zu machen.
    Als dann die Regierung Nachforschungen bei ihrem ‚Schloss’ vornahm, begann das Spiel, das ich mir sehnlichst gewünscht hatte.


    Tomas Verlangen nach Vergeltung war unersättlich, doch er besaß kein rationales Denken, sodass ihm konkrete Pläne diesbezüglich fehlten.
    Somit war es meine Aufgabe, ihn zu motivieren. Ich hörte mir seine Geschichte an und pickte Personen heraus, welchen er besonders große Schuld anrechnete. Jene Personen erwähnte ich immer wieder. Es war ein einfaches Spiel, ihn unterbewusst seine zukünftigen Taten sehen zu lassen. Und umso öfter er sich diese Szenen vorstellte, umso mehr lechzte es ihn nach ihrer Ausführung.
    Der Gedanke des Menschen wird stets das Wort des Menschen und das Wort wird schließlich die Tat.
    Wir träumen, denken, reden und handeln. In dieser Reihenfolge funktioniert ein Mensch.
    Das Risiko einer Entdeckung von Princess durch die Regierung war ein zusätzlicher Antrieb, der diesen Vorgang beschleunigte.


    Wider meiner Erwartungen wollte Toma die Leiche nicht an einen anderen sicheren Ort schaffen, um sie weiterhin zu besuchen und zu vergöttern.
    Er fragte mich nach einem klaren, stabilen Konservierungsmittel und ich wurde hellhörig.
    Princess sollte für immer ihre Schönheit behalten und die gesamte Gesellschaft solle daran Teil haben.
    Der Tag dieses Gespräches war gleichzeitig die Geburtsstunde einer bizarren Mordserie.
    Und obwohl ich den Menschen nichts Schlechtes wollte, wollte ich dennoch die Reaktion der Bevölkerung sehen. Eigentlich war es lächerlich, dass mir bis dahin nie eine solche Idee gekommen war, oder?
    Welche Methode war besser geeignet, um dieser verdummten Gesellschaft wieder die Realität vor Augen zu führen? Obwohl Toma vollkommen verrückt war, so entstand aus diesem Wahnsinn ein Gedanke, der vielleicht alles ändern könnte.
    Wir würden dieser Welt zeigen, dass Sybil ihnen keine Sicherheit garantierte und dass sie endlich wieder selbst denken mussten. Wir würden ihnen Schmerz, Leid und Tod mitten in ihren Alltag setzen und sie hatten gar keine andere Wahl, als endlich ihre Augen zu öffnen.


    Um Tomas Idee in die Tat umzusetzen musste ich diese Schule wieder verlassen. Der Rektor mochte es nicht, wenn die Lehrer außerhalb des Schulgeländes verweilten, doch ich würde keine Rücksicht auf die Wünsche dieses senilen, alten Mannes nehmen.
    Das Material selbst – Gießharz nannte es sich – war leicht ausfindig zu machen. Weitaus schwieriger war es eine Person zu finden, die sich damit gut genug auskannte. Außerdem musste diese Person es mir erklären. Würde es reichen rein fachliches Interesse vorzuheucheln?


    Auf einem jener Streifzüge in den abgelegenen und durchaus fragwürdigen Stadtvierteln begegnete ich das erste Mal Gu-Sung Choe.
    Viele Ausländer lebten in den abgeschiedenen Vierteln. Einwanderer, die in unserer Gesellschaft nie einen Fuß fassen konnten. Flüchtlinge aus Kriegsländern. Obdachlose. Menschen, die Sybil fern blieben und Menschen deren erbärmliches Äußeres niemals in das restliche perfekte Stadtbild gepasst hätte.
    Choe stammte aus Korea und hatte im Krieg sein Augenlicht verloren. So leuchteten unter den tiefen Lidern nun zwei künstliche, gelbe Augen mit einer quadratischen Iris hervor. Ich weiß bis heute nicht, ob er bewusst dieses Aussehen gewählt hat. Dank der modernen Medizin gab es durchaus bessere Nachbildungen des menschlichen Augapfels.


    Choe begegnete mir in einer jener Gassen, als ich auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der großen Chemie-Konzerne war. Einstmals hoch angesehene, studierte Chemiker waren vor einigen Jahren Stück für Stück durch Maschinen ersetzt worden. Die Lebensmittel- und auch die Pharmaindustrie – bzw. jegliche Form der Konsumindustrie wäre ein leichtes Ziel, um die allgemeine Sicherheit zu gefährden. Man hatte diese Verfahren Drohnen überlassen, um Manipulationen und Fehler zu verhindern und das Gefühl von Sicherheit in der Bevölkerung zu stärken.
    Viele Leute hatten dadurch ihre Arbeit verloren. Manche damit auch ihren persönlichen Sinn des Lebens. Sie nahmen die neuen Berufsvorschläge von Sybil nicht an und verschwanden in den düsteren Vierteln jenseits der Scanner.
    Genau so jemanden suchte ich. Jemand verbittertes, der kein Problem damit hatte, ein paar Informationen an mich weiterzureichen.
    Choe war ein Name, den man mir oft genannt hatte. Er wäre ein Genie, wenn es um die Sammlung von Daten ging und er hätte einen genauen Überblick über die düsteren Viertel und ihre Bevölkerung. Gerne würde er für eine angemessene Summe als Informant fungieren.


    Ich war erfreut, dass Choe ein ruhiger und besonnener Mensch war. Er wirkte intelligent und er konnte mir schnell einige Namen und Adressen im Austausch gegen ein paar Geldnoten bieten.
    Er stellte keine Fragen und redete nicht um den heißen Brei herum.
    Eigentlich wären wir schnell miteinander fertig gewesen und getrennter Wege gegangen, wenn er mich nicht am Arm zurückgehalten hätte.
    Er bat mich einen Moment zu warten und verschwand in einem der umstehenden Häuser. Ich wusste nicht, ob er dort wohnte und ich wusste nicht, was er noch von mir wollte. Trotzdem blieb ich stehen und als er zurückkam, hatte er einen kleinen Datenchip in der Hand.
    ‚Es wird Ihnen gefallen.‘


    Noch am gleichen Abend traf ich durch Choes Informationen auf eine junge Dame, die mir genaue Anleitungen zum Umgang mit den verschiedenen Chemikalien verkaufte. Danach zog es mich zurück an die Schule, wo ich in meinen privaten Räumen die Daten des Chips auf meinen Rechner zog.
    Choe überraschte mich mit diesem Geschenk.
    Auf dem Chip befand sich ein Buch, welches laut unserer Regierung nie existiert hatte.
    Eine sehr ironische Handhabung, da sich der Roman „1984“ von George Orwell mit eben solch einem Staatsgefüge beschäftigte, welches die Vergangenheit, das freie Denken und zudem auch den freien Ausdruck in Bild und Schrift komplett manipuliert hatte.
    Ich lachte, während ich begierig die Seiten in mich aufsog, die ich jahrelang gesucht und nicht gefunden hatte.
    ‚Wir wollen uns wiedersehen, wo keine Dunkelheit herrscht.‘
    Dieser eine Satz war in der Datei farbig hinterlegt und ich war mir sicher, dass es eine Botschaft von Choe war. Ebenso wie Winston Smith und O´Brien sich wiedersehen würden, so gäbe es auch für uns beide eine erneute Begegnung.
    Ein ‚Ort wo keine Dunkelheit herrscht‘ war in 1984 ein Ort ohne Televisor.
    Auf unsere Gesellschaft angewandt war darunter ein Ort ohne Scanner zu verstehen.Das bedeutete, dass ich noch einmal in die dunklen Gassen der Stadt eintreten muss.

    3 Mal editiert, zuletzt von Yukiko Suzuki ()

  • Ihr seid einfach Toll!
    Heute setze ich eine Traurige Miene auf und eure verwunderten Gesichter und aufheiternde Worte zaubern mir keine neue aufs Gesicht. Ihr habt es velleicht bemerkt , dachte ich , der Geschmack der Gerichte erreichte Bereits seinen Höhepunkt und nun ging es Bergab. Wie ein Buch liefen die Gerichte ab: Einleitung , Höhepunkt und Schluss. ,Heute darf ich euch die letzten Gerichte von ,Schneeweiße Biografien - Die Geschichte von Makishima Shogo' Präsentieren' Der Unterton von Trauer war nicht zu übersehen , doch eure Miene nimmt nicht bei jeden die gleiche wie meine an. Manche von euch freuen sich auf die letzten Bissen , um sich danach neuem zu stellen. Andere lernten ihn lieben , und wollen nichts anderes mehr Probieren. Doch wie immer kommt die Zeit der veränderung. Um etwas neues zu ,erschaffen' muss etwas altes ,vergehen'. Und auch hier war es der Fall.
    (Viel Spaß in den letzten Kapiteln , meine Lieben!)

    Kapitel 10
    Danach geschah alles sehr schnell.
    Während mein gesamtes Leben eher ein träges Dahinplätschern gewesen war, so trat der Fluss nun über seine Ufer.
    Plötzlich stand Toma mit blutverschmierten Händen vor mir und zeigte mir eine weitere Leiche, die er im Keller der Schule lagerte. Es handelte sich dabei um einen Mittäter von jenen, die ihm angeblich Princess entrissen hatte. Die Details hörte ich mir nicht an. Ich erfuhr nur, dass es irgendeine hochrangige Persönlichkeit gewesen war.
    Der Anblick der Leiche erschreckte mich nicht. Sie hatte vielmehr etwas Faszinierendes an sich. Sie wirkte friedvoll und ruhig.
    Sollte Toma doch tun, was er für richtig hielt. So lange er seinen Plan umsetzte und diese Leichen in die Öffentlichkeit brachte, war es mir recht. Sollte ich Mitleid mit seinem Opfer empfinden? Für diesen Toten, der als Mann von Namen und Stand aller Voraussicht nach eine völlig wertlose, willenlose Marionette Sybils gewesen war? Dessen Existenz sowieso kaum einem menschlichen Dasein entsprochen hatte?
    Mein Mitleid gegenüber den Menschen schwand in dieser Zeit sehr schnell.
    Und auch meine Zweifel am Wert der menschlichen Seele wuchsen stetig.


    Mein Training mit Senguji begann Früchte zu tragen. Ich wurde nicht muskulöser, aber ich gewann Tag für Tag an Stärke und der alte Mann bestätigte mir, dass meine Reflexe und meine Treffsicherheit ausgezeichnet wären.


    Auch Choe traf ich bald wieder.
    Bereits am nächsten Wochenende nahm ich mir die Zeit ihn aufzusuchen.
    Choe war ein Mensch, der bewusst mit mir Kontakt aufgenommen hatte. Das war ich nicht gewohnt, weil es meist anders herum war. Außerdem war er ein guter Gesprächspartner. Ebenfalls belesen, wenngleich oftmals in völlig anderer Lektüre.
    Sein Psycho-Pass war immens hoch, weswegen er sich sehr bewusst in der Stadt bewegen musste. Sollte er jemals in einen Scanner laufen, so würde man ihn sofort festnehmen und in eine Fakultät stecken.
    Bisher hatte er das aber sehr gut gemeistert und er schien sich diesbezüglich auch keine Sorgen zu machen. Er lachte, als ich ihn deswegen befragte.


    Somit hatte ich zu jener Zeit drei Menschen um mich, deren Psycho-Pässe aus der Menge stachen.
    Da gab es Toma, dessen Wert ebenso fehlerhaft war wie meiner. Ein Mann mit schier unendlichen Möglichkeiten, der mir aber wegen seiner Schizophrenie ein unliebsamer Zeitgenosse war.
    Dann war da Senguji, der durch seine Hobbyjagd einen hohen Psycho-Pass hatte. Er entging den Scans, weil er für diese Gesellschaft eine wichtige Persönlichkeit darstellte. Mit ihm konnte ich über praktische Dinge sprechen, doch sein Intellekt war begrenzt und sein Handeln beschränkt auf die Stillung seines Blutdurstes.
    Und schließlich gab es Choe, der ebenfalls einen erschreckend hohen Psycho-Pass besaß. Ein gebildeter Mann, der sich bewusst gegen das Gesetz stelle und in dieser Form lediglich leben konnte, weil er wie ein Schatten durch diese Stadt huschte.


    Nach langer Zeit der Langeweile fühlte ich mich in ihrer Gesellschaft mit etwas wundervollem konfrontiert:
    Es waren die vielen verschiedenen Seiten dieser Personen. Ihre Schwächen und ihre wahren Wünsche. Jeder von ihnen stellte ein kleines bisschen Menschlichkeit dar.
    Ich beschloss, dass ich mich nicht länger mit Puppen umgeben würde. Ich wollte mehr Leute wie Choe finden, die für mich wahre Freunde sein könnten. Ich wollte beobachten, wie Sengujis tote Augen flackerten, wenn er sich bei seiner Menschenjagd der Grausamkeit bediente.
    Und ich wollte Toma nutzen, um eben diese ureigene Grausamkeit – die Basis des ‚Jägers Mensch‘ – wieder in das Bewusstsein aller zu locken.
    Menschen besaßen Wünsche. Sie litten unter Sehnsüchten und sie verlangten tief in ihren Herzen nach verwerflichen Dingen.
    Erst wenn man ihnen diese verwerflichen Dinge erlaubte, konnte man ihre wahre Seele erblicken. Man musste ihnen die Möglichkeit geben, ihre Ketten zu lösen. Für mich war es ein Einfaches, die Mittel zu beschaffen. Ich war frei.
    Und ich würde sie befreien.
    Es würde bald viele Chloes, Tomas und Sengujis geben.
    Sehr viele.
    Sybil musste in die Schranken gewiesen werden.
    Denn die Menschheit war tot.
    Und ich war zu lange einsam gewesen.


    Kapitel 11
    Die Platzierung von Tomas Leichen war kein Problem. Dank Choes Hilfe konnten wir uns selbst über die Distanz in die entsprechenden Hologramme einhacken und die Daten entsprechend manipulieren. Er war ein Ass auf diesem Gebiet.
    So ließ ich Toma den schmutzigen Teil der Arbeit machen und ergötzte mich zusammen mit Choe aus sicherer Entfernung an seinen grotesken Werken.


    Das Echo folgte bald.
    Das Safety Bureau begann zu ermitteln und erstmalig musste sogar ich auf der Hut sein. Obwohl ich nach Kanas Tod über die Beamten gelacht hatte, war dieses Mal etwas anders. Die Ermittlungen gingen schnell voran und als Princess – Tomas zweites Werk – der Öffentlichkeit präsentierte wurde, hatten sie bereits eine heiße Spur.
    Mein erster Gedanke war, dass es sich um eine Verbesserung von Sybil handelte. Niemals wäre mir in den Sinn gekommen, dass mir eine einzelne menschliche Person auf die Schliche käme. Das war zu jener Zeit vollkommen undenkbar.
    Ich war töricht.
    Und obwohl ich den Gegner falsch benannte, war ich mir dem Ernst der Lage bewusst. Das war keine wilde Nacht in einem gestohlenen Auto.
    Das hier war Mord und unsere Verfolger waren geschulte Einsatzkräfte, die vielleicht bald ihre Schlüsse ziehen würden.


    Sybil, welches mir bisher immer fremd gewesen war, stellte nun doch noch einen großen Faktor in meinem Leben dar.
    Wie viel wusste dieses System tatsächlich über mich?
    Warum erkannte es mich nicht?
    Oder machte es bewusst eine Ausnahme?
    Wie würde es mich verurteilen?
    Und in erster Linie: Konnte es mich überhaupt verurteilen?
    Meine Theorien stapelten sich genauso wie Tomas Leichen. Er war fleißig damit beschäftigt seine Rache auszuführen und ich spielte aus sicherer Entfernung den Beobachter. Ich bewunderte das stetige Katz- und Maus-Spiel zwischen ihm und den Detectives des Bureaus, die durch das blinde Vertrauen in ihre Dominator immer wieder am Ziel vorbeiliefen.
    Auch Toma bemerkte diese Blindheit und wurde mit der Zeit leichtsinniger. Man sag es gar als Übermut bezeichnen. Er mordete häufiger und sehr unbedacht. Oftmals aus einer Laune heraus, weil er wieder einmal einen ‚Schuldigen’ getroffen hatte.
    Ich hörte mir sein Geschwätz um seine Wahnvorstellungen nur mit halbem Ohr an.


    Der Schock, der durch die Bevölkerung ging, war atemberaubend.
    Riesige Areale erlitten eine akute Stress-Steigerung sobald Toma einen weiteren entstellten Körper präsentierte. Das war es, was mir wichtig war. Nicht diese abstrusen Theorien um eine Verschwörung zum Mord an seiner Schwester. Die er – das möchte ich noch einmal betonen – schlussendlich selbst umgebracht hatte.
    Die Menschen, deren Werte völlig unverschuldete in die Höhe schossen, wurden genauso behandelt wie Kriminelle.
    Sybil war somit ein rundum dummes System. Hätte es wirklich einen Sinn für Gerechtigkeit, würde es jene Personen nicht verurteilen. Es war ein System mit Scheuklappen, das sich selbst an seine Zahlenwerte band. Variablen waren ausgeschlossen. Sonderfälle und Einzelentscheidungen blieben unbeachtet.
    Diese Erkenntnis wiederum gab mir persönlich eine große Sicherheit.
    Sybil würde auch bei mir keine Ausnahme tätigen. Wenn das System seine Scheuklappen aufbehielt, würde es nur die blanke Zahl in mir sehen und wäre nicht eines Urteils fähig.
    Lachhaft.


    Meine Neugierde war jedoch nach wie vor nicht befriedigt.
    Obwohl ich nicht länger um meine eigene Sicherheit bangte, waren meine Fragen immer noch unbeantwortet und das war sehr unbefriedigend.
    Warum also nicht jene Faktoren nutzen, die uns der Moment zur Verfügung stellte?
    Die Detectives des Bureaus waren Toma dicht auf den Fersen und diese Personen waren ermächtigt, einen Dominator zu tragen. Dominator oder eben auch ‚Sybils Augen’ genannt, waren eine direkte Verbindung zu diesem System, dessen Funktionsweise und Beschaffenheit bis heute geheim gehalten wurden.
    Demnach standen meine Chancen hoch, dass eben ein solcher Detective, der stets eine Verbindung zu Sybil besaß, meine Fragen beantworten konnte.
    Dazu verlangte es jedoch, dass ich selbst auf der Bildfläche erschien. Das war eigentlich schade, denn ich mochte meinen Beobachterposten. Warum sich selbst die Hände dreckig machen, wenn man diesem wunderbaren Schauspiel auch aus der Ferne beiwohnen konnte?


    Ich kam nicht umhin, das Geschehen selbst zu beeinflussen.
    Toma war vollkommen auf seine Rache fixiert. Sein Wesen hatte sich geändert. Den stillen, unauffälligen Lehrer gab es nicht länger.
    Ich hatte ihm die Möglichkeit gegeben, sein wahres Ich zu entfalten und nun konnte er offensichtlich nicht mehr zurück. Gefangen in seinem Wahn fiel es auch mir schwer, den Zugang zu ihm nicht zu verlieren. Es stand außer Frage, ihn in meine persönlichen Pläne einzuweihen.
    Und dennoch wollte ich noch einen Nutzen aus diesem Mann ziehen. Toma würde einen hübschen Lockvogel abgeben.


    Meine Idee war schlicht in der Planung und ebenso einfach in der Ausführung. Es gab genau zwei Punkte, bei welchen Toma auf mich angewiesen war. Jene nun zu manipulieren, würde das Katz- und Maus-Spiel um ein vielfaches spannender machen.
    Die neue Ration Gießharz, die ich beschaffte, war fehlerhafte Ware. Ich gab zu wenig Härter dazu und im Gegenzug enthielt es diverse Zusätze, die das Mittel streckten und die spätere Stabilität beeinträchtigten. Gestaltung und Transport der Leiche wären somit die ersten beiden Faktoren, die ein größeres Zeitfenster benötigten.
    Ebenso weihte ich Choe in meine Pläne ein. Er sollte das nächste Hologramm weniger perfekt manipulieren. Es war mir egal, was genau er damit anstellte. Vielleicht könnte er es zu klein machen, flackern lassen oder vollkommene Ausfälle einbauen – ich ließ ihm in dieser Hinsicht freie Hand. Es sollte lediglich ein wenig Zeit schinden, damit die Chancen des Bureaus stiegen, diesem Fall auf die Schliche zu kommen.
    Der Rest würde in meiner Hand liegen.


    Obwohl ich damals dachte, ich hätte alle Eventualitäten eingerechnet, entging mir ein wichtiger Faktor.
    Zu jener Zeit nahm ich das Bureau als einen Feind in seiner Gesamtheit wahr. Es bestand kein Grund zur Annahme, dass ich die Mitglieder dieser Einheit als eigenständige Individuen sehen musste.
    Auf den ersten Blick waren sie alle ausführende Marionetten Sybils.
    Kogami Shinya. Du bist lange meinen wachsamen Augen entronnen und im Nachhinein möchte ich mich für diese Blindheit selbst strafen.
    In jener Nacht, in welcher ich Toma und diesen Enforcer in eine Bombe laufen ließ – als ich einen meiner Bauern wissentlich und willentlich opferte und dafür einen eurer Untergebenen in meine Hände bekam – erweckte ich deinen Hass auf mich, der später mein Lebenselixier werden sollte.
    Damals war ich mir der Tragweite dessen nicht ansatzweise bewusst.
    Es gab nichts zu bereuen.


    Kapitel 12
    Um die Mordserie vollkommen auf Tomas Schultern zu laden, passte ich die Leiche des Enforcers den anderen Opfern an.
    Meine schneeweißen Hände wurden mit seinem Blut beschmutzt. Das war etwas völlig anderes als die Erlösung Kanas. Dieser Mann hätte das Leben gewählt, doch ich gewährte ihm den Tod.
    Mit meinen eigenen Händen, die nun so viele Farben trugen.
    Weiß, schwarz und rot.
    Ist diese Kombination nicht gleichermaßen bizarr und schön? Liege ich richtig, wenn ich behaupte, dass Kontraste die Geburt der Farben sind?
    Ich war fasziniert von der Grausamkeit und der Möglichkeit, diese Grausamkeit mit eigenen Wissen und Wollen auszuüben. Dieses Gefühl war pure, jahrelang vergessene Gewalt – die Urgewalt des Menschen. Ich hatte sie mir in genau diesem Augenblick vollkommen zu eigen gemacht.
    Und obwohl ich mich nach wie vor hauptsächlich in der Rolle des Beobachters sah, war es eine überaus wertvolle Erfahrung. Ich war ein Mann im Hintergrund, der die Fäden zog, Szenarien arrangierte und die nötigen Mittel für andere beschaffte.
    Um diese Rolle weiterhin zu spielen, musste ich meine Figuren verstehen. Ich musste einmal die Welt durch ihre Augen sehen und erfuhr auf diese Weise dieses beeindruckende Gefühl, das aus der Konsequenz des eigenen Handelns erwachsen ist.
    Es war die Freude am Verbotenen, die Sprengung der gesellschaftlichen Grenzen. Es waren Reiz und Antrieb; Abgründe der menschlichen Seele, die sich an solchen Nichtigkeiten ergötzten und die selbst mir innewohnten.
    Denn genau jene Abgründe besaß jeder Mensch. Dieses Sehnen war tief in unseren egoistischen, verdorbenen Herzen verankert und es war die Basis zur Aktivierung und Erschaffung neuer Spielfiguren.


    Toma verschwand aus meinem Leben. Er wurde festgenommen und ich hörte nie wieder von ihm.
    Entweder hatten sie ihn getötet oder sich eine andere Strafe für ihn ausgedacht.
    Mit Sicherheit konnte ich bloß sagen, dass sie ihn nicht wieder freigelassen hatten. Seine Bewunderung mir gegenüber war bis zum Schluss prägnant gewesen und er hätte mich mit Sicherheit aufgesucht, wenn er sich auf freiem Fuß befunden hätte.
    Folglich hatte Sybil auch für Menschen wie mich einen Plan.
    Das war interessant.


    Mit Choes Hilfe gelangte ich bald an weitere literarische Raritäten. Dieser Mann hatte Verbindungen ins Ausland, welche er mit erstaunlich wenig Aufwand zu jeder Zeit aktivieren konnte.
    Einmal fragte ich ihn, warum er all das für mich tat.
    Er lächelte nur und sagte mir, dass manche Antworten bloß weitere Fragen aufwerfen würden.
    Diese kryptische Aussage gefiel mir. Es zeigte mir, dass mehr hinter seinem Handeln steckte, als das Offensichtliche. Choe besaß eine Seele und Wünsche, die er als schützenswert erachtete.
    Das respektierte ich.


    Durch ihn gelangte ich an längst verschollene Schriften von Friedrich Nietzsche, William Shakespeare, Shuuji Terayama, Arthur Conan Doyle, Jonathan Swift, Marquis de Sade, Junichirou Tanizaki und vielen anderen kritischen Autoren, deren Werke aus dem ein oder anderen Grund verboten waren. Ich nahm mir die Zeit und beschäftigte mich lange mit der Abhandlung ‚Überwachen und Strafen’ von Foucault. Ich lernte über das Prinzip des Panopticons und der vollkommenen Beobachtung der Menschen. Ebenso wie ‚1984’ verschaffte dieses Buch mir Einblick in die Köpfe der Menschen, die an die Regeln eines solchen Systems gebunden waren. Ich wollte die Wandlung der Menschen begreifen. Warum sie sich anpassten und was sie angesichts dieser Art der Unterdrückung fühlten.
    Ich, der ich das System begriffen hatte, war klüger und gleichzeitig fehlte mir die direkte Sicht auf die Dinge. Als Außenstehender konnte ich Sybil kritisieren, doch es bedurfte eines langen Lernprozesses, um die Akzeptanz der restlichen Gesellschaft nachzuvollziehen.


    Choe, der wegen des Bürgerkrieges aus Südkorea geflohen war, legte mir außerdem ein weiteres Buch ans Herz.
    Es war das einzige Schriftstück, welches er mir jemals in gedruckter Form übergab. Bei besagtem Buch handelte es sich um die Bibel – Lehrbuch des christlichen Glaubens. Ich war verwundert, weil Choe mir nicht wie ein religiöser Mann erschien und die Religion in Japan kaum noch Relevanz besaß.
    ‚Vor Sybil glaubten die Menschen an andere Dinge. Und Glaube war etwas sehr starkes.’
    Er erzählte mir von dem Bürgerkrieg in Südkorea, welcher das einst reiche Industrieland, das sich durch zukunftsweisende Technologie ausgezeichnet hatte, ins Chaos stürzte.
    Die Regierung hatte einen großen Fehler gemacht. Sie hatte – unbedacht und zur reinen Formalität – den stetig wachsenden Teil der Buddhisten anerkennen wollen und diese Religion zur Staatsreligion ernannt. Diese Maßnahme war nie als Unterdrückung oder Ausschließung von anderen Religionen gedacht, sondern als schlichte Formalität.
    ‚Glaube ist das letzte Konstrukt, auf welches ein Mensch sich in der Verzweiflung stützt. Die Angst jene Stütze zu verlieren erzeugt eine Besessenheit, die die Menschen verändert. Friedliche Bürger demonstrierten.
    Es wurde rebelliert.
    Es wurden Fehler gemacht und schließlich eskalierte es.’
    Choe war selbst zwischen die Fronten der großen Religionsgemeinschaften geraten und von der Küste aus nach Japan geflohen.


    Etwas, woran die Menschen glauben konnten.


    Dieses Konzept war in unserer Gesellschaft fast vollständig entschwunden. Was wäre wenn – rein theoretisch natürlich –die Menschen wieder glauben würden? Wenn man ihnen ganz bewusst einen höheren Sinn in ihrem Leben geben würde?
    Was wäre, wenn ich dieser Sinn wäre? Die Macht und die Fähigkeit, die ureigenen Wünsche zu leben? Wenn sie auf mich angewiesen wären und von meiner Gutwilligkeit abhängig gemacht würden?
    Ich war mir sicher, dass ich das konnte.
    Und mir gefiel die Rolle als Gott besser als jene eines Puppenspielers.
    Sybil hatte die Menschen zu Marionetten gemacht. Sie hatte alle Fäden in der Hand und ich wollte nicht wie Sybil sein.
    Ein Gott war etwas Größeres. Er besaß die Macht, diese von fremder Hand gesponnen Fäden zu durchtrennen.


    Wobei ich an dieser Stelle ganz besonders betonen möchte, dass ich mich nicht als ‚Gottheit’ sah. Ich wollte mich mit diesem Gedanken nicht verherrlichen und ich wollte mir keinen übergeordneten Titel geben. Ich war weder verrückt, noch größenwahnsinnig.
    Jedoch war, wenn ich Choes Erklärungen glauben schenkte, die Funktion eines Gottes sehr ähnlich meiner Funktion in dieser Gesellschaft. Wir waren beide gleichermaßen Antrieb, Halt und dieser gewisse Anstoß, um neue Denkweisen zu schaffen.
    Das Wort ‚Gott’ verwendete ich somit nur zur theoretischen Klassifizierung und keineswegs zur Selbstverherrlichung.
    Der finale Schritt war es, dass ich mir geeignete Menschen suchte und mich ihnen in eben dieser Gottes-Funktion vorstellte.


    Kapitel 13
    Wie fängt man an, wenn man große Dinge ändern will?
    Wenn man die wirklich wichtigen Grundsätze der Gesellschaft erschüttern möchte?


    Was benötigt man, um ein totales Überwachungs-System zu stürzen - Ohne, dass man in dessen Blickfeld gerät?


    Ich nahm mir fast ein ganzes Jahr Zeit, um mir über diese Fragen bewusst zu werden. In jenen langen Monaten unterrichtete ich weiterhin an der Oso-Akademie und las in meiner Freizeit all die Bücher, die Choe mir beschafft hatte. Stundenlang schmökerte ich in der Abgeschiedenheit meiner Privaträume. Hin und wieder traf ich mich daraufhin mit Choe in der Stadt und wir philosophierten über die daraus neu gewonnenen Erkenntnisse. An anderen Tagen leistete ich Senguji bei einer neuen Menschenjagd Gesellschaft.
    Aber die meiste Zeit verbrachte ich tatsächlich alleine. Meine Bücher waren mir immer noch meine liebsten Gefährten.


    Es waren die friedlichen Monate vor dem Chaos, das ich herbeisehnte.
    Es waren Monate voller düsterer Pläne. Geprägt durch langatmige Vorbereitungsarbeiten und auch ein wenig beängstigend angesichts der Vorstellung eines Misserfolges.
    Aber was war schon Chaos, wenn nicht ein paar Komplikationen damit einhergingen? Was war ein guter Plan, wenn er nicht durch das Handeln anderer zerstört werden konnte?
    Ein perfekter Plan existierte nur auf dem Papier. In der Realität spielten viele Faktoren eine Rolle. Aber genau diese Faktoren und die daraus resultierende Gefahr brachten mein Blut zum Brodeln und ließ meinen Puls rasen.


    Nach diesem langen Jahr der Vorbereitungen suchte ich mir meine ersten Opfer aus. Teilweise auf offener Straße, manches Mal im Internet mit Hilfe eines Avatars und manchmal auch völlig spontan und ungeplant. Es waren kleine Versuche, um meine Möglichkeiten zu testen und das Bureau aus der Reserve zu locken.
    Ich wollte alles sehen, was sie zu bieten hatten.
    Und ich war schnell enttäuscht.
    Mit diesen verhältnismäßig einfachen Fällen bekam ich nicht mehr als ihre Dominator und Drohnen zu sehen. Ich wollte Menschlichkeit unter diesen Uniformen entdecken! Und für eine solche Reaktion brauchte ich etwas anderes.
    Je lauter man ins Tal schreit, umso lauter ist auch das Echo.
    Wahrscheinlich war ich bloß noch nicht laut genug gewesen.
    Ich brauchte einen ganz besonderen Fall.


    Das perfekte Opfer dafür fand ich innerhalb der Mauern unserer Schule.
    Rikako Oryo war eine Vorzeigeschülerin meines Kunstkurses. Ihr Interesse am Unterrichtsstoff war echt und ihre Noten fabelhaft.
    Sie kam auf mich zu, weil sie eine Kunst-AG gründen wollte und dafür das Einverständnis von mir benötigte. Als zuständiger Lehrer für den Kunstunterricht musste dieser Zusatz-Kursus unter meiner Aufsicht abgehalten werden. Es war den Schülerinnen nicht gestattet in völliger Eigenverantwortung Gruppen zu gründen.
    Auch das war eine Maßnahme, um die Mädchen zu schützen.


    Ich beobachtete Rikako einige Tage, ehe ich mich schließlich über sie informierte. In den Tiefen unseres Schularchivs wurde ich auch dieses Mal fündig.
    Rikako Oryo war eine Tochter aus einflussreichem Hause. Sie war seit drei Jahren Schülerin an der Oso-Privatschule und nach ihren ersten Check-ups war ihr Psycho-Pass stetig gestiegen.
    Eine Erklärung dazu gab es nirgends. Eine kleine handschriftliche Notiz betonte lediglich, dass dieser Zustand geheim gehalten und bis zu ihrem Abschluss behoben sein musste. Auf ihre Familie sollte kein schlechtes Licht fallen.
    Ihre Motive waren ebenfalls herauszulesen. Sie waren simpel, aber dadurch nicht weniger interessant.


    So wurde dieses Mädchen mein neuer Toma.
    Ich vermachte ihr die Reste des Gießharzes, die damals übrig geblieben waren und freute mich auf die Reaktionen der Bevölkerung.
    Es würde abermals ein Spektakel in aller Öffentlichkeit geben und es würde die gleiche Handschrift tragen, wie vor einem Jahr. Sollten die Detectives tatsächlich noch selbstständig denken, dann musste ihnen dieses Parallele auffallen.


    Ich war mir bewusst, dass das letztlich alles nur Spielereien waren. Ich erfreute mich daran, dass ich Sybil ein Schnippchen schlagen konnte und doch hatten diese aneinandergereihten Einzelfälle keinen tieferen Sinn. Sie gehörten nicht zu dem großen Plan, den ich bald in die Tat umsetzen wollte.
    Mit Hilfe all dieser Bauern gelang es mir jedoch nachzuholen, was mir vor einem Jahr nicht gelungen war: Weil dieser stolze Enforcer bis zum Schluss geschwiegen hatte, war ich ohne irgendeine Information über das Safety Bureau und dessen Verbindung zu Sybil gewesen. Das änderte sich nun, weil ich ihr Handeln aus nächster Nähe beobachten konnte.


    Rikakos Mordserie war etwas Besonders. Sie würde mir für immer in Erinnerung bleiben.
    Nicht etwa, weil sie besonders brutal war.
    Auch nicht wegen ihrer Verbindung zur Kunst.
    Dieser Fall würde stets etwas ganz Besonderes bleiben, weil ich dadurch das erste Mal auf Dich aufmerksam wurde. Dein Gesichtsausdruck, als du in die Schule gestürmt und energisch auf dein Ziel zugegangen bist. Deine Ignoranz, als du deine Kollegen bei Seite geschoben hast.
    Du hast gelebt, Kogami.
    Du warst der Inbegriff von Energie und menschlicher Kraft.
    Ich wollte dich ab dem Augenblick an besitzen, als ich das erste Mal diese Verwegenheit in deinen Augen sah. Und doch wusste ich, dass ich keine Leine besaß, um ein derart wildes Tier zu fesseln.
    Da war etwas erfrischend anderes an dir. Etwas, das ich nicht in Worte fassen konnte und was mir dennoch eine Gänsehaut bescherte.


    Bald sollte ich herausfinden, dass all diese überbrodelnden Emotionen auch für dich noch neu waren. Sie waren von mir höchstpersönlich geschaffen worden. Ich war es gewesen, der deinen Hass und deine Rachsucht zum Leben erweckt hatte.
    Mein einziger, tatsächlicher Mord hatte eine Welle geschlagen, die ich niemals erwartet hätte. Du wolltest mich büßen lassen für das, was ich deinem Kollegen angetan hatte und du warst ganz offensichtlich auf der Jagd nach mir.
    Deine Andersartigkeit suchte ihresgleichen und es bescherte mir Freude – pure Ekstase – zu wissen, dass diese Andersartigkeit allein mir gehörte.
    Ich hatte nie einen Helden gesucht.
    Meine Geschichten hatten mich stets belogen.
    Du warst ein Antiheld. Du warst einer der ‚Guten’, der den Pfad verlassen hatte, um vollkommen zu werden. Du warst der Inbegriff der Rebellion und es gab ab diesem Zeitpunkt nur zwei Schlussakkorde, die unser Stück spielen konnte.
    Entweder würdest du angesichts meiner Revolution zerbrechen oder du würdest mich während der der Durchführung dieser Revolution zur Strecke bringen.
    Es gab für dich nur diese beiden Möglichkeiten.
    Und folglich gab es auch für mich nur diese Optionen.


    Warum ich das wusste? Weil ich dich sofort erkannt hatte. Du warst nicht wie ich. Und doch waren wir gleich. Und wir waren gegensätzlich.
    Schwarz und weiß und doch wieder grau.
    Ich hatte es in deinen Augen gesehen.
    Unsere Füße liefen die gleichen Wege, doch unsere Blicke waren dabei in unterschiedliche Richtungen gewandt. Wir waren uns so ähnlich, dass wir uns auch ohne Worte all die Zeit verstanden. Weil wir aber nie die gleichen Dinge gesehen hatten, würden wir uns auch niemals einen einzigen Schritt aneinander annähern können.
    Nicht hinsichtlich unserer allgemeinen Weltanschauung und auch nicht hinsichtlich unserer persönlichen Entscheidungen.



    Was ich jetzt niederschreibe, sind auch für mich völlig neue Gedanken. Sie kommen mir oft, wenn ich an dich denke. Und du magst es mir nicht glauben, Kogami, aber ich vermisse dich.
    Jede Sekunde, in der du deinen Blick von mir abwendest, fehlt mir etwas.
    Lange fragte ich mich nach dem Grund dafür.
    Du bist mein heldenhafter Antiheld, aber was unterscheidet dich von Kana, Toma, Senguji oder Choe?


    Nach vielen Stunden in meinen abgedunkelten Privaträumen kam ich der Antwort dazu auf die Schliche.
    Bisher hatte mein Leben grundsätzlich aus zwei Sorten von Menschen bestanden:
    Jene, die mich nicht wahrnahmen und jene, die sich meiner unterordneten.
    Du warst keiner dieser Gruppen zuzuordnen.
    Du hast mich nie gesehen, aber dennoch von Anfang an wahrgenommen und gleichzeitig gehasst. Du warst nicht mit Sybils Augenbinde versehen. Obwohl mein Psycho-Pass sauber war, wolltest du mir meine gerechte Strafe zukommen lassen.
    ‚Gerechtigkeit.’
    Kaum jemand nahm dieses Wort noch in den Mund. Sybil entschied, was in dieser Welt legal war. Ein einzelner Mensch besaß nicht mehr das Recht, ein solches Urteil zu fällen. Du wolltest dich jedoch über diese Grundfeste unserer Gesellschaft hinwegsetzen.
    Du warst nicht blind gegenüber meiner Taten. Du warst nicht blind gegenüber Sybil. Du hast diese Welt verstanden, wurdest von ihr sogar teilweise ausgelesen und bewegtest dich trotzdem in ihrem Gefüge.
    Und du wolltest mich verurteilt sehen.
    Wahrscheinlich bist du der erste Mensch, der tatsächlich einen Blick in meine schneeweiße, rot-schwarze Biografie geworfen hatte.
    Du machtest für mich keine Ausnahme. Du wolltest mich wie jeden anderen Verbrecher behandeln und dafür liebte ich dich auf eine groteske, verrückte Art. Mein ganzes tristes Leben hatte ich damit verbracht, unbewusst nach dir zu suchen. Dir, der mit seiner Andersartigkeit und seinem Mut mein wahres Ich sehen konnte.


    Kapitel 14 - The End!~
    Viel zu selten war unser Aufeinandertreffen.
    Viel zu kurz berührten sich unsere Welten.
    Wenn ich nun zurückblicke und ehrlich zu mir bin, schaue ich auf ein langweiliges, fades Leben. Die Zeit war für mich – ähnlich wie das Wassers in einem kleinen Bach – bloß dahingeplätschert. Ziellos und ohne eine besondere Richtung. Es war nichts weiter als eine Ansammlung von Eindrücken gewesen und ich hatte mein Glück stets von anderen abhängig gemacht.
    Nun jedoch verwandelte sich dieses Rinnsal in einen schnellen Strom. In einen reißenden Fluss, dessen Ufer übertraten und sogar mich mitrissen. Und das, obwohl ich stets auf einem sicheren Felsen gestanden hatte.
    Ich mochte das Gefühl der Flut. Dieses Spiel zwischen uns, das seinesgleichen suchte. Wir waren zwei ebenbürtige Gegner, die sich keine Zugeständnisse machen würden.


    Zu jener Zeit begann es auch, dass ich erstmalig von dir träumte.
    Das schockierte mich zu Beginn, weil ich seit jeher einen unruhigen Schlaf besessen hatte. Manche Nächte hielt es mich nur wenige Stunden im Bett. Das war nichts Besonderes.
    Meine Träume waren jedoch etwas Besonderes.
    Geträumt hatte ich bis zu jenem Zeitpunkt nämlich noch nie.


    In meinen Träumen gab es nur uns beide und du warst sehr ruhig. Dein Verhalten war so anders als das des Kogamis, der mir tagtäglich nachjagte. Ich liebte diesen ruhigen Kogami genauso wie dein wahres Ich.
    Irgendwann begriff ich, dass ihr tatsächlich eine einzige Person wart.
    Dieser stille, nachdenkliche Kogami ist ein Teil von dir und er gehört all jenen Menschen, die nicht deinen Hass auf sich gezogen haben. Das war durchaus schade, doch mein Verdruss darüber legte sich bald. All diese Menschen mussten sich diese Seite von dir teilen, während dein Hass nur mir allein galt.
    Das war in Ordnung.


    Wie du sicherlich siehst, sind meine Aufzeichnungen an dieser Stelle nicht mehr sehr umfangreich.
    So vieles beschäftigte mich, doch es fehlte die Zeit, um all diese Dinge in Worte zu fassen. Es stand eine große Wende in meinem Leben bevor.
    Du warst zur richtigen Zeit auf der Bildfläche erschienen, denn du würdest nun Augenzeuge meines einen, großen Planes werden.
    Entweder würde ich dabei das Sybil System tatsächlich vernichten oder du würdest mich zur Strecke bringen. Beide Varianten wurden Tag für Tag wahrscheinlicher und ich war mir lange nicht über den Ausgang unseres Spieles sicher.


    Es tat weh, dass du mir meist so fern warst. Deswegen opferte ich Senguji bereitwillig, um dir wenigstens für eine kurze Zeitspanne bei deinem Überlebenskampf zuzuschauen. Es war der Preis, damit ich für eine Weile den echten Kogami sehen durfte.


    Zusammen mit Choe brachte ich danach die Helme in Umlauf, die wir in den letzten Monaten in mühsamer Kleinarbeit und mit Hilfe vieler Selbstversuche entwickelt hatten.
    Chaos brach aus und die Gesellschaft reagierte genauso, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Das war gleichermaßen beruhigend, wie es auch traurig war.


    Ich wusste, dass ich dich nicht lange hinters Licht führen konnte. Du würdest auf die eine oder andere Art deinen Weg zu mir finden. Deswegen entschied ich an jenem Tag, dass Choe in den Keller gehen sollte, während ich selbst die Spitze des Ministeriums bestieg.
    Zweifelsohne war meine Obsession nicht einseitig. Denn auch du warst nicht in der Lage dazu, dich meinem Bann zu entziehen und deswegen wusste ich, dass du mir folgen würdest. Und obwohl ich Sybil gerne mit eigenen Augen gesehen hätte, ermöglichte diese Konstellation die höchste Erfolgsrate.
    Choe würde in Ruhe dieses verhasste System zerstören und ich würde dir endlich Auge in Auge gegenüberstehen.
    Ich freute mich.


    Der Ausgang dieses ersten Treffens war eine Versinnbildlichung unserer Wesen.
    Ich war defensiv und du warst offensiv. Wären es nur wir beide gewesen, hätte meine kühle Berechnung dein Temperament bezwungen. Du besaßt jedoch etwas, was ich niemals mein Eigen nennen konnte: Du warst umgeben von anderen Menschen, die vollkommen hinter dir standen. Das war bis dato eine Variable gewesen, die sich meines Verständnisses entzog.
    Es ist bitter das so zu sagen, aber ich verlor bei dieser Gegenüberstellung.
    Doch damit kann ich leben.
    Viel mehr bereute ich, dass wir an jenem Tag nicht länger miteinander reden konnten. Ich hätte so gerne für immer deiner Stimme gelauscht. Weißt du, dass ich all deine Worte, nicht mit Gold aufwiegen könnte?
    Auch dein Mund, dein energiegeladener Körper, deine glänzenden Augen. Du warst so andersartig, dass mir alleine dein Anblick eine erneute Gänsehaut bescherte. Mit Freude saugte ich in jenen Minuten deine kalten Blicke in mich auf, denn auch sie gehörten ganz allein mir.
    Du machtest mich lebendig. Ich, der die Schreibfeder nicht an Sybil abgegeben hatte, fand endlich einen Leser meiner Biografie.
    Ich fand meinen Andersdenker.
    Wir waren gleich und verschieden.
    Denn wir waren beide die rebellischen Hauptakteure einer Geschichte.
    Und wir waren beide der Leser, der sich mit der jeweils anderen Geschichte befasste.
    Mit diesen Worten möchte ich unser Verhältnis zueinander hier festhalten.
    Wahrscheinlich ist diese Formulierung immer noch sehr ungenau und manche Leute müssen wohl zwei- oder dreimal über deren Bedeutung nachdenken. Anderen wird das Gewicht dieser Erkenntnisse niemals verständlich werden.
    Doch ich bin mir sicher, dass du es begriffen hast, Kogami.


    Ich war seit jeher ein realistischer Mensch.
    Somit wünschte ich mir zwar insgeheim, dass du dir dieser Verbindung zwischen uns beiden eingestehen würdest, doch ich wollte es niemals von dir verlangen.


    Weil meine Zeit mittlerweile knapp wird, kann ich nicht mehr alles aufschreiben, was mir in den Sinn kommt. Das ist unglaublich schade, denn gerade jetzt erfahre ich so viele neue Dinge. Ich lerne viel über die Menschen und ich glaube meine Wertschätzung ihnen gegenüber steigt wieder.
    Auch daran bist du irgendwie schuld.
    Mein Weg ist nun unabänderlich geworden. Ich werde das Chaos weiterführen. Weder mein Wiedersehen mit Toma, noch mein neues Wissen über Sybil haben daran etwas geändert. Ich werde jetzt zum nächsten großen Schritt übergehen. Ich vermute, dass du bereits herausgefunden hast, dass ich es auf die Lebensmittelindustrie abgesehen habe.
    Dieser alte Mann wird sich leicht Honig um den Mund schmieren lassen. Pensionäre sind immer etwas eigen, weißt du? Sie klammern sich an ihre frühere Anerkennung und freuen sich, wenn jemand ihre Arbeit auch nach ihrem Ausscheiden noch zu schätzen weiß.


    ~*~


    Mittlerweile hast du dich wohl von deinen Ketten losgerissen.
    Das war eine gute Entscheidung.
    Deshalb bist du immer nur einen ganz kleinen Schritt hinter mir.
    Das macht es spannend.
    Und gleichzeitig läutet es den Schlussakkord ein.
    Unsere beiden Geschichten werden bald ihren Höhepunkt erreichen. Einleitung, Höhepunkt und Schluss. So sind die Regeln eines guten Buches. Auch wir werden uns aller Voraussicht nach diesen Grundregeln unterwerfen müssen.


    Ich weiß nicht, ob dir meine Geschichte zusagt, aber ich werde diese Aufzeichnungen in wenigen Stunden dem Bureau zuschicken. Ich bin mir sicher, dass sie Mittel und Wege finden, um es dir zukommen zu lassen. Deine Kollegen stehen nach wie vor hinter dir – obwohl du dich nun jenseits von Sybils akzeptablem Weltbild befindest.
    Du bist beneidenswert.


    Diese Biografie schicke ich dir nicht, weil ich deine Verständnis oder deine Vergebung erbitten möchte.
    Ich will lediglich, dass du meine Geschichte zur Kenntnis nimmst.
    Ich wünsche mir, dass ich für dich immer etwas Einzigartiges bleibe. Bitte ersetze mich nicht. Tausche mich in dieser schnellen, trostlosen Gesellschaft nicht durch einen anderen Widersacher aus. Lass deinen Hass für immer bei mir.
    Ich mache mich jetzt auf den Weg.


    ~*~ Goodbye ~*~


    Hiermit setze ich das letzte Mal meine Feder auf diese Seiten.
    Leider wird somit ein Teil meiner Geschichte fehlen, doch das muss ich in Kauf nehmen.
    Ist es nicht so, dass ein offenes Ende viel interessanter als ein abgeschlossenes ist? Es lässt Raum für Spekulationen, Analysen und Gedankenspiele.
    Vielleicht ist es wirklich besser so.



    Ich habe nun alles beisammen, was ich für den Einbruch in das Institut benötige.
    Der alte Mann ist tot.
    Kennst du auch dieses Gefühl? Wenn es plötzlich leichter wird, Menschen zu töten?



    Ich weiß nicht, wo du dich gerade befindest, aber ich werde nun zu diesem vorsintflutlichen Forschungsinstitut aufbrechen. Bald wird dafür gesorgt sein, dass die Menschen dieses Landes wieder lernen, was Hunger bedeutet.
    Danach werde ich beobachten, wie sie notgedrungen die Grenzen öffnen.
    Ich werde in der ersten Reihe sitzen und lachen, wenn zusammen mit den importierten Lebensmitteln die illegalen Einwanderer ins Land kommen.
    Das Sybil System wird wegen der schieren Masse an Menschen vollkommen überfordert sein. Das ist eine schöne Vorstellung, oder?



    Wirst du mich das noch sehen lassen? Oder wirst du mich vorher finden?
    Leider kann ich darüber keine genaue Prognose anstellen.
    Aber es gibt etwas anderes, was ich – unabhängig des Zeitpunktes – mit Sicherheit sagen kann:
    Ich wünsche mir aus ganzem Herzen, dass du derjenige bist, der mein Leben beendet. Niemand anderem möchte ich diese Aufgabe überlassen.
    Denn du hast mich lebendig gemacht. Du warst das erste und einzige Publikum meiner Geschichte. Du hast sie analysiert und schließlich kritisiert. Durch dich entstand der erste Knick im Einband und du warst es, der kleine Knoten in das Lesebändchen machte.
    Durch dich bekam ich endlich das Gefühl, wirklich existiert zu haben.
    Und im Austausch dafür bin ich bereit dir alles zu geben.
    Alles.
    Ich bereue nichts.




    Makishima Shogo:
    Die Schöpferkraft eines Autors folgt leider nicht immer seinem Willen; das Werk gerät, wie es kann, und stellt sich dem Verfasser oft wie unabhängig, ja wie fremd, gegenüber.

    Sigmund Freud (1856 - 1939), eigentlich Sigismund Schlomo Freud, österreichischer Psychiater und Begründer der Psychoanalyse

    Einmal editiert, zuletzt von Yukiko Suzuki ()