Kill la Kill ist alles, was ich mir von einem Anime wünschen kann. Hier im Thread wurde schon viel darüber gesagt, dass die Serie ausgezeichnete Action und Comedy hat, und sich nicht besonders ernst nimmt, sodass man sie sehr einfach schauen kann. Und das stimmt auch, aber es ist letztlich nur ein kleiner Teil davon, was Kill la Kill zu so einem absoluten Meisterwerk macht. Purple hat schon ganz richtig gesagt, dass die Serie sehr wohl auch inhaltlich etwas zu bieten hat, und darauf will ich hier eingehen.
Handlung:
Die Story von Kill la Kill fängt sehr simpel an. Ryuko will herausfinden, warum ihr Vater umgebracht wurde und muss dafür die Honnouji-Akademie unter Satsuki im Alleingang erobern. In der ersten Hälfte der Serie geht es hauptsächlich um Ryukos persönliche Entwicklung und ihre Beziehung zu Mako und Senketsu. Den ersten Durchbruch erzielt sie schon in Episode 3, wo sie ihre Scham ablegt, die sie dafür empfindet in Senketsus freizügigem Stil kämpfen zu müssen. Sexualität und Scham sind für mich von besonderem Interesse, weil ich selbst ein sehr gehemmter Mensch bin. Deshalb fand ich es so faszinierend zu sehen, wie Satsuki ihr Junketsu sofort ohne jegliches Schamgefühl trägt und Ryuko unter diesem Druck und mit Makos Unterstützung letztlich der Befreiungsschlag gelingt die Kontrolle über ihren eigenen Körper zurückzugewinnen. Schon hier deutet sich auch die Dualität des Themas Nacktheit an. Zum einen ist sie sexuell, zum anderen aber auch künstlerisch, weil sie Authentitzität vermittelt.
Im weiteren Verlauf des ersten großen Arcs rückt der Fokus immer mehr auf Satsuki und die Elite 4. In den direkten Kämpfen gegen Sanageyama, Gamagori, Inumuta und Jakuzure geht es viel mehr um die Bösewichte als um Ryuko. Mithilfe von Rückblenden wird erklärt, warum die Elite 4 ihrer Anführerin Satsuki so treu ergeben sind. Das ist alles Teil der Vorbereitung auf den großen Plottwist beim Kultur- und Sportfest. Schon beim 3-Städte Feldzug war ich mir gar nicht mehr so sicher, auf welcher Seite ich eigentlich stehen sollte. Satsuki und ihre Gefolgschaft schienen im Vergleich zu Harime Nuis reiner, unausstehlicher Boshaftigkeit schon deutlich sympathischer.
Zweiter Arc
Erst beim Kultur- und Sportfest wird wirklich klar, wie komplex die Handlung tatsächlich ist. Satsuki und ihre Honnouji-Akademie waren nie wirklich die Bösen. Ich verstehe nicht, wie man diese Episoden gesehen haben kann, und trotzdem meinen kann, dass die Handlung nichts zu bieten hat. Der Moment in dem Satsuki ihrer Mutter das Schwert durch den Rücken sticht und daraufhin ihre grandiose Rebellionserklärung macht, war absolute Gänsehaut für mich. In dem Moment konnte ich spüren, dass Kill la Kill nicht einfach nur gut, sondern großartig ist. In der darauf folgenden zweiten Hälfte rücken die Ideologien, mit denen die Serie sich befasst, mehr in den Mittelpunkt: Anarchie und Gehorsam. Wer Imaishis vorheriges Werk, Panty & Stocking with Garterbelt gesehen hat, dem dürften diese Konzepte bekannt sein. Ich verlinke an der Stelle mal zu meinem Review von PSG.
Satsuki erkennt, dass ihre Strategie falsch war und dass man Faschismus (Gehorsam) nicht mit Faschismus bekämpfen kann. Ryukos Versuch, Ragyo und Nui im Alleingang nur mit der Kraft ihrer Wut (Anarchie) zu besiegen, schlägt miserabel fehl, und sie wird zu einem Instrument ihrer Gegner. Die sonst so eigenwillige Harime Nui (Anarchie) unterwirft sich gänzlich Ragyos Willen (Gehorsam). Im letzten Kampf zwischen Ryuko und Ragyo lehnt die erstere das ganze Konzept von Gegensätzen und Dualitäten ab. "Ich bin weder Mensch noch Kleidung, aber gleichzeitig bin ich sowohl Mensch als auch Kleidung." Das sind die wichtigen Eckpfeiler dieses Arcs, mithilfe derer man verstehen kann, was die Serie vermitteln will.
Motive:
In Kill la Kill kommt alles in Paaren und Gegensätzen. Ryuko gegen Satsuki, Chaos gegen Ordnung, Senketsu gegen Junketsu, schwarz gegen weiß, rot gegen blau, Nacktheit als Fanservice gegen Nacktheit als künstlerisches Mittel, Comedy gegen Drama. An der Stelle gehe ich gerne auf meinen Vorposter ein.
Was war es denn nun? Fighting? Drama? Alttagsdingsbums? Comedy? oder doch ein verkappter Ecchi? Es ist einfach nichts halbes und nichts ganzes. Der Anime will lustig sein und gleichzeitig spritzt da Blut ohne Ende, bzw die Verwandlungszene von
Ryūko und Satsuki waren auch mal gar nichts für unschuldige Kinder .
Es ist all das, aber es steht in keinerlei Gegensatz zu sich selbst. Für mich fühlt sich Kill la Kill vollkommen konsistent an, weil es all diese verschiedenen Dinge mit derselben Einstellung angeht: Ganz oder gar nicht. Wenn es lustig ist, ist es zum Schreien komisch. Wenn es traurig ist, ist mir zum Heulen zumute. Wenn Ryuko kämpft, geht die Animation total ab. Wenn sie einfach mit Mako interagiert, kann sie die letztere wie einen 2-dimensionalen Pappaufsteller bewegen. Es versucht all diese verschiedenen Emotionen zu vermitteln und trifft jede davon nahezu perfekt. Und da hört es nicht einmal auf. Diese Emotionen existieren nicht vollkommen getrennt voneinander, sondern sie werden effektiv kombiniert. Beispiel: Harime Nui ist die angsteinflößendste Kämpferin, schon von ihrem ersten Auftritt her, weil sie so lustig animiert ist, wie es normalerweise Mako vorbehalten ist. Diese Diskrepanz zwischen ihrem niedlichen Äußeren und ihrem grausamen Charakter ist tief verstörend und essenziell wichtig für ihre ganze Präsenz in der Serie.
Diese Dualität deutet auf Absicht der Serie hin: Gegensätze aufzulösen.
Spoiler anzeigen
Ryuko und Satsuki scheinen von Anfang an komplette Gegensätze zu sein, aber am Ende kämpfen sie Seite an Seite für dasselbe Ziel. Ryuko und Senketsu, Mensch und Kleidung, stellen sich beide als Mensch-Kleidungs-Hybride heraus. Harime Nui, die absolutes Chaos verbreitet, allein durch ihre Präsenz, ist letztlich nur ein Werkzeug von Ragyo, die absoluten Gehorsam verkörpert.
Besonders dieser Gegensatz von Ordnung und Chaos ist interessant, weil er den Gedanken aus PSG weiterdenkt, wonach Anarchie das einzige Mittel gegen die freiheitsraubende Tyrannei ist. Kill la Kill hat erkannt, dass auch Anarchie keine Freiheit bringt. Ryuko ist diejenige, die am meisten damit zu kämpfen hat. Jedes Mal, wenn sie in Wut verfällt, scheitert sie dabei, ihren Willen durchzusetzen. Denn Anarchie ist letztlich nur eine andere Form der Tyrannei.
Also, womit kann man dann Freiheit erreichen? Die Antwort gibt Kill la Kill in der letzten Szene. Alle Hauptcharaktere splitterfasernackt in einem großen Haufen, ohne jegliche sexuelle Implikationen. Einfach nur menschliche Wärme und Gutherzigkeit. Eine Antwort so simpel wie sie wunderschön ist und tief in mir widerhallt. Ich kann mir keine bessere Antwort vorstellen.
Schlusswort:
Das Genie von Kill la Kill ist, dass die Serie genau das ist, was sie predigt. Sie ist schön und grotesk, sie ist lustig und tragisch, sie ist sexy und tiefgründig. Man kann sie genießen, sowohl als dumme Action-Serie mit cooler Animation und witziger Comedy, aber sie beleidigt nie die Intelligenz des Zuschauers, wenn er versucht mehr darin zu finden. Kill la Kill ist intelligent, aber es nimmt sich nicht so furchtbar ernst, dass es Leute abschreckt, die einfach nur ein bisschen Spaß haben wollen. Es passt in keine Schublade, bietet aber trotzdem für jeden etwas. "Weder Mensch noch Kleidung, aber sowohl Mensch als auch Kleidung."
Das soll nicht heißen, dass Kill la Kill jedem gefallen wird. Wer dem Stil nichts abgewinnen kann, wird auch die zentralen Motive uninteressant finden, weil Präsentation und Story so untrennbar verbunden sind. Mich aber hat die Serie auf so vielen Ebenen so gut angesprochen, dass sie mein absoluter Favorit ist. Ich kann Kill la Kill nur als absolutes Meisterwerk beschreiben.
10/10
Nachwort:
Ich bin selbst kein Genie oder so und viele der Aspekte in diesem Review habe ich nur realisiert, weil schlauere Leute sie schon in Worte gefasst haben. Die wichtigsten Einflüsse für dieses Review sind dieser Blog-Post und diverse Videos von Digibro.