Götterwinde
Kapitel 1 - Das Tsagaan Sar
Kahkol Iloh liegt im südöstlichen Teil der Azim-Steppe. Dieser Teil wird auch das Grüne Meer genannt. Lange Grüne Wiesen dessen Horizont nur zu erahnen ist. Die geringe Vegetation und die leichten Felserhöhungen zeichnen die Landschaft aus. Das Dorf liegt zwischen den beiden Flüssen dem Nem Khaal im Norden und dem Yat Khaal im Süden. Diese grenzen auch das Gebiet der Kahkol ein das sich der Stamm vor langer Zeit zu eigen machte.
Die Vorbereitungen des Tsagaan Sar Festes sind voll im Gange. Die dicht aneinander stehenden Zelte werden mit rotem Stoff geschmückt und die Türen der Zelte mit Blumen dekoriert. Kinder toben zwischen den Zelten und der Geruch von Dzofleisch liegt in der Luft. Frohes Gelächter und eine gute Stimmung durchdringt das Dorf. Auf einem freien Platz inmitten des Dorfes sitzt ein junges Xaela Mädchen. Vor ihr Körbe mit Blumen, die auf dem Boden ausgebreitet sind. Den Kopf leicht auf den Boden gerichtet und langsam eingedämmt, hält sie noch eine angefangene Blumenkette in der Hand, obwohl um sie herum ein reges treiben herrscht finden viele Augen ihren Weg zu ihr. Ihre langen schneeweißen Haare und ihre eisblauen Augen haben so manchen Kahkol-Krieger schon an ihre Nhaama glauben lassen. Ihre Gesichtszüge heben sich von anderen Xaela-Frauen ab, schon fast wie eine Prinzessin aus einem fernen Land saß sie regungslos da und machte den Anschein, als würde die Zeit für sie still stehen. Ihr schneeweißes Haar hüllt sich langsam in einen Schatten, der sich hinter ihr aufzieht. Der Schatten wurde zu einem Gesicht, einem sehr unzufriedenen Gesicht.
"Ich glaub das jetzt nicht! Sharina! Wach auf!"
Sharina noch ganz benommen, sieht mit halb geschlossenen Augen hoch zu dem erzürnten Mädchen.
"J.. ja? Wahaa! Ein Feuer-Exergon! H.. hilfe!", schreit sie entsetzt.
Wie aus einem Reflex heraus schlägt sie Sharina auf den Kopf.
"Sag mal, bist du blöd?", fragt sie verblüffenderweise in einem ruhigen und fast schon verständnisvollen Ton.
Sie beugte sich vor und blickt Sharina wie eine besorgte Mutter an.
"Naaah, autschi!", gibt Sharina unter Schmerzen wieder.
Sie reibt sich den Kopf und versucht ihren Blick durch den Schleier der Sonnenstrahlen zu bringen, "Och, Hera... Warum musst du mich immer zu schlagen? Das tut echt super weh.", erwidert sie fast weinerlich.
Hera schüttelt den Kopf, "Immer wieder das Gleiche mit dir, kleine Prinzessin."
Sie geht auf die Knie und sammelt die Blütenblätter ein, die der Wind langsam in alle Richtungen wegweht.
"Ich habe gehofft, dass du mir helfen würdest, wenn schon die Jungs mich in Stich gelassen haben.", fügt sie bedrückt hinzu.
Anstatt zuzuhören, richtet Sharina ihre Haare und zupf ihre Kleidung zurecht.
"Nenn mich nicht klein, ich bin zwei Jahre älter, Hera!", gibt sie stolz von sich, "Außerdem auch größer.", fügt sie neckisch hinzu und schaut dabei auf Hera's Brust.
Hera schaut nur unbeeindruckt und rollt mit den Augen. Sharina steht langsam auf und macht den Eindruck, als hätte sie einen Kampf gewonnen.
Hera blickt kurz herauf, "Sag mal... Hast du die Jungs eigentlich gesehen?"
"Du meinst diese zwei Chaochus?", fragt sie etwas angewidert, "Nein, bestimmt nicht."
Sharina verschwindet kurz danach im Gewusel der Vorbereitungen.
Bevor Hera alle Blüten zusammengesammelt hat, rennt eine Gruppe von Kindern ihr entgegen. Ganz vorne dabei ein kleiner Xaela, mit breitem Grinsen und einem zuversichtlichen Blick, der genau wusste, was er will. Kurz vor ihr springt dieser hoch in die Lüfte wie ein junger Yol, der zum ersten Mal zu den Wolken greift, zumindest fühlt er sich in diesem Moment so und überrumpelt Hera mit einer großen Umarmung. Beide fallen zu Boden und fangen an zu lachen und zu kichern. Am Rand des Platzes beobachten einige Xaela dieses entzückende Spektakel und halten kurz inne, um sich von der Glückseligkeit, die sich auf dem Hauptplatz des Dorfes für sie bietet, einen kurzen Moment anstecken zu lassen. Sie lachen und grinsen und für einen kurzen Moment scheint die Welt so wie sie ist, perfekt.
Hera richtet sich auf die Knie und pattet den kleinen Xaela.
"Nave, irgendwann kannst du mich nicht mehr so an hüpfen, ohne mich nicht zu heiraten.", bedauert sie mit einem breiten Grinsen.
Nave spring auf und ist voller Enthusiasmus.
"Hera! Schau, was ich heute zum Geburtstag bekommen habe!"
Er zeigt ihr voller Stolz ein stumpfen kleinen Dolch.
"Den hat mir gerade Dahan gegeben! Er will mit mir später üben!", erzählt er voller Vorfreunde.
Er fuchtelt etwas ungeschickt damit herum, bis Hera ihm den Dolch aus der Hand nimmt. Sie begutachtet das Geschenk und stellt fest, dass man mit diesem Dolch wohl nicht mal ein Yat-Grundel aufschneiden kann. Sie streichelt ihm über seinen Kopf und gibt den Dolch zurück.
"Du bist jetzt 10 Jahre alt und bald ein Krieger, du hast dir diese Waffe wirklich verdient.", stimmt sie grinsend zu.
Sie streckt ihren Zeigefinger aus und legt diesen auf die Nasenspitze von Nave.
"Aber gib gut acht! Eine Waffe birgt auch eine große Verantwortung, egal wie ungefährlich sie auch aussehen mag!", führt sie bemutternd aus.
Er schaut auf sein Dolch und greift diesen fest. Das glitzern in seinen Augen verrät, dass er es kaum erwarten konnte. Hera blickt ihn erstaunt an. So einen ähnlichen Blick sah sie nur einmal, damals bei Loct, als sie beide von den Kahkol gefunden wurden. Sie schwelgt kurz in Erinnerung, als Nave sich wieder zu Wort meldet.
"Hera! Ich werde ein großer Krieger, ja! Und dann werde ich zurückkommen und dich heiraten!", sagt er mit einer gewissen Ernsthaftigkeit.
Bevor Hera etwas sagen kann, läuft dieser schon los und hat ein Entschluss gefasst. Sie schaut ihm mit einem Lächeln hinterher, dass einerseits Freude als auch Trauer vereint. In Gedanken versunken schweift ihr Blick über den Platz bis sie in der Ferne zwei, ihr sehr gut bekannte, Silhouetten erkennt. Ihre Augen werden groß. Sie steht auf und macht sich zügig auf den Weg.
Auf halber Strecke wird sie von einem jungen Mann, der eine Menge Fische dabei hat, angesprochen.
"Na, hey Hera! Du siehst heute mal wieder..."
Noch bevor er zu Ende sprechen kann, wird er schon unterbrochen.
"Hey, Dahan! Gerade ist schlecht, wir sehen uns auf dem Fest, okay?!", ruft Hera am Vorbeilaufen.
Wie ein tosender Orkan schneiden ihre kurzen roten Haare den Wind hinter ihr. Ihre rotbraunen Bernsteinaugen treffen sich nur kurz mit den von Dahan, aber es genügt, um ihn etwas in Verlegenheit zu bringen. Er scheint etwas enttäuscht zu sein und macht sich auf den Weg zum Hauptplatz. Dort angekommen erwartet ihn schon ein streng aussehender älterer Mann mit hellbraunen Augen sowie braune Haare, die als Zopf nach hinten gekämmt sind. Trotz seines hohen Alters und der Tatsache, dass die besten Jahre als Krieger hinter ihm liegen, hat er ein starkes Erscheinungsbild. Von außen ist es leicht zu erkennen, dass es sich hier um Vater und Sohn handelt. Dahan's hellbraune Augen sowie die braunen Haare, die er ähnlich wie sein Vater trägt, verraten dies. Er legt die Fische ab, nimmt ein Bündel davon und geht zu seinem Vater. Dieser überwacht die Vorbereitungen des Festes und lässt sein Blick nur selten davon ab.
"Na, alter Mann!", ruft er lautstark seinem Vater entgegen.
Er klopft ihm auf die Schulter und hält ihm die Fische vor die Nase.
"Sieh her, frische Yat Khagan's! Ich hatte großes Glück, dass gerade die Orben den Khaal entlang fuhren!", gibt er frohen Mutes wieder.
Er grinst wie ein kleines Kind.
Der Vater sah ihn nur streng an und fragt ihn skeptisch, "Die sind doch sicher sehr teuer gewesen, hm? Zumindest erklärt es, wo du seit heute Morgen warst. Ich wollte mit dir reden."
Er spricht mit einem gewissen Ernst in der Stimme, was sehr untypisch für ihn ist.
Dahan's Blick passt sich seinem Vater an, als er leise hinzufügte, "Vater, ich muss auch mit dir reden. Ich war nicht nur wegen des Fisches bei den Orben."
Der Vater nickt und legt seinen Arm um die Schultern seines Sohnes.
"Wir sprechen im Haus weiter, komm. Um den Fisch kannst du dich gleich noch kümmern."
Beide gehen in das große, bereits festlich geschmückte Zelt. Es hebt sich deutlich von anderen Zelten ab. Es ist nicht nur die Größe, sondern verzieren auch Banner und Knochen das Dach. Dort lebt der Khan Bolan dessen Stamm seit Generationen schon Waisen und Flüchtlinge besiegter und vernichteter Stämme aufnimmt.
Hera, endlich bei den Silhouetten angekommen, holt kurz Luft und bevor sie anfängt diese zu rügen, wird ihr Kopf ganz rot vor Wut.
"Wo zum heiligen Azim wart ihr die ganze Zeit?!", fragt sie wütend, "Habt ihr vergessen was heute für ein Tag ist, Häh?", fügt sie nicht zimperlich hinzu.
Sie schaut Loct und Skol abwechselnd an, als will sie von irgendjemanden eine Antwort bekommen. Beide schweigen und schauen sich nur etwas lächelnd an.
"Und du?!"
Sie guckt Loct kritisierend an und dieser zuckt vor Schreck etwas.
"J.. ja!", erwidert er aus der Überforderung heraus.
"Solltest du Skol nicht schon am frühen Morgen suchen gehen? Was hast du die ganze Zeit getrieben?", fragt sie äußerst nachdrücklich.
Er beginnt etwas nervös zu werden, dass nun sogar Skol ihn verwundert ansieht, hilft ihm nicht gerade dabei einen klaren Gedanken zu fassen.
"N.. nun, ich... Ähh...", stottert er los, "Ich machte mich ja auf den Weg, nur... ALSO pass auf! Ich wollte ja Skol suchen gehen, aber dann wollte Nave mit seinen Freunden Steppenkrieger spielen, also spielte ich mit ihnen etwas. Danach war ich so drin, dass ich noch etwas mit dem Schwert trainiert habe! Ja und nach dem Training...", pausierte er etwas lachend, "Du weißt wie schnell ich ja dann müde werde,... aalsooo hab ich mich noch etwas hingelegt...", führt er kleinlaut aus und schaut etwas beschämt zur Seite.
Hera, die mittlerweile ihre Finger zwischen den Augen hat und versucht keine Kopfschmerzen zu bekommen, wird sogleich aus ihrer Gedankenwelt gerissen, als Skol lautstark anfängt zu lachen. Beide schauen ihn verblüfft an, da er sonst nur äußerst selten lacht und mehr der stille, besonnene Typ ist. Er tritt vor und legt seine Hand auf den Kopf von Hera und lächelt sie liebevoll an.
"Es ist doch ein besonderer Tag heute, ich geh schon einmal vor, kommst du nach, ja?", sagt er mit einer angenehm ruhigen Stimme und geht seines Weges.
Sie wird rot und vergräbt vor lauter Scham ihr Gesicht in ihrem Oberteil, so wie ein kleines Mädchen, das gerade ein Liebesgeständnis macht. Für ihre 16 Jahre ist sie sehr erwachsen und übernimmt viele Aufgaben im Stamm und das bewusst, da sie dem ein Jahr älteren Loct und dem zwei Jahre älteren Skol in nichts nachstehen möchte. Loct nutzt währenddessen die Chance von ihr zu fliehen und läuft Skol nach. Hera verweilt kurz, als sie sich fäng und den beiden langsamen Schrittes hinterher schlendert.
Als die drei am Hauptplatz ankommen, staunen Loct und Skol nur, wie schön das Fest dieses Jahr vorbereitet wurde. Da langsam Abend ist, wird das große Lagerfeuer entzündet. Der Platz ist gehüllt in einem warmen rot-orangen Schleier. Der liebliche Duft von Blumen und leckerem Essen liegt in der Luft. Viele der Dorfbewohner bedienen sich bereits, unterhalten sich und lachen miteinander. Abgerundet wird das ganze mit wunderschönen Klängen aus den Morin Khuur, die einige dazu verleitet zu tanzen, darunter auch Sharina, die wie hypnotisiert für sich selbst tanzt. Aus dem rot-orangenen Schleier läuft Nave mit Dzo-Steak im Mund an den drei vorbei und lächelt sie nur an. Loct dessen Leuchten in den Augen nur noch von seinem lauten Magenknurren übertroffen wird, macht sich ohne ein Wort auf den Weg, um es Nave gleichzutun. Skol und Hera folgen ihm. Skol nimmt sich den selbstgebrauten Met und setzt sich mit seiner gewohnten ernsten Mimik auf einen Korb neben Loct, der gerade fast ganz allein das Buffet vom fest beansprucht. Hera, die immer noch etwas zurückhaltend ist, setzt sich mit einem Steppen-Tee neben den beiden. Die drei schauen sich das fest an und genießen die gute Laune, nur darauf wartend, bis die alljährliche Zeremonie stattfinden kann, um die Feier dann in die Nacht zu entlassen.
Währenddessen sprechen sich Bolan und Dahan immer noch über die aktuelle Situation aus.
"... und du bist dir sicher, dass es nicht nur Gerüchte sind?", fragt Bolan seinen Sohn skeptisch.
"Sie sind sich zwar selbst nicht sicher, aber die Orben haben nie Grund zur Lüge. Außerdem vertraue ich meinem Kontakt. Wir sollten es also ernst nehmen...", erwidert er nachdenklich.
Bolan schließt die Augen. Nach einer Weile Bedenkzeit dreht er sich zu seinem Sohn und legt seine Hände auf seine Schultern.
"Gut, wir bringen das Fest heute zu Ende. Morgen werden wir umsiedeln... Da sie erst im nördlichen Teil des Grünen Meeres sind, haben wir noch paar Tage Zeit. Ich bin mir nicht sicher, warum sie kommen. Vielleicht ist auch nichts, aber wir sollten auf Nummer sicher gehen.", sagt er mit einem hauch Enttäuschung in seiner Stimme.
Der Khan wollte nur ungern woanders hin, da die Kahkol endlich seit langem ein zu Hause gefunden haben, wo sie länger verweilen können. Er wusste, dass die Enttäuschung im Dorf groß sein wird, aber ihm geht das Wohlbefinden und die Sicherheit seines Stammes vor.
Dahan sieht seinen Vater verständnislos an. Er missbilligt seine Entscheidung. Dieser dreht sich um und wollt langsam zur Tür gehen.
"Vater, bist du dir sicher, dass wir einfach davonlaufen sollten?", sagt er etwas entsetzt, "Ich zweifle zwar nicht an den Informationen, aber wir sind doch schon seit Generationen hier! Willst du das einfach aufgeben für eine Situation, die wir noch nicht richtig einschätzen können?", gibt er zu bedenken.
Er tritt näher an seinen Vater.
"Gibt mir Pferd und zwei gute Krieger. Ich finde heraus, was es mit den Gerüchten auf sich hat!", versichert er.
Bolan dreht sich zu seinem Sohn um und legt seine Hand auf seine Schulter.
"Du bist der zukünftige Khan dieses Stammes und ein tapferer und fähiger Krieger geworden. Als Khan und als Vater bin ich sehr stolz auf dich, Dahan. Doch gibt es dinge, die du noch nicht verstehst. Dinge von denen ich uns fern gehalten habe...", gestand er ein, "Ich weiß nicht, ob es richtig war oder falsch, aber ich tat dies aus Überzeugung und zum Wohle unseres Stammes.", ergänzt er, "Wenn die Zeit gekommen ist, wirst du diese Last tragen müssen, aber jetzt habe ich gesprochen."
Er nickt seinem Sohn zu und gibt ihm zu verstehen, dass alles gut werden wird.
"Feier die Nacht und lass es dir gut gehen, wir kommen vielleicht lange Zeit nicht mehr dazu.", fordert er ihn auf, "Ach ja und du solltest ihr endlich deine Gefühle offenbaren. Dein Geschenk liegt hier die ganze Zeit herum, deine Mutter denkt schon ich hätte eine Geliebte.", fügt er lächelnd hinzu.
Dahan räuspert sich etwas verlegen. Bolan dreht sich um und macht sich auf den Weg, um die Zeremonie zu beginnen. Dahan, der immer noch nicht ganz einverstanden ist, akzeptiert die Entscheidung seines Vaters, nicht nur aus Respekt zu ihm, sondern auch aus der Zuversicht, die er ausstrahlt.
"Vater, warte... Was ist mit dem Jungen?", wirft er ein, "Er fängt langsam an... Bald wird er die Kontrolle verlieren. Wenn es nicht beim Training ist, dann...", er vermag nicht weiterzusprechen.
Der Vater hält kurz inne. Er schaut leicht zur Seite und erwidert nur, "Wenn wir abgereist sind, werden wir ihm alles erzählen. Er ist langsam alt genug, um zu entscheiden, welchen Weg er gehen möchte."
Dahan nickt nur zustimmend und folgt seinem Vater nach draußen.
Draußen herrscht reges Treiben. Als Skol langsam aufsteht, um sich wie immer ein etwas ruhigeren Ort zu suchen, kommen schon Bolan und Dahan aus dem Zelt heraus. Es wurde schnell still auf dem Platz. Alle schauen die beiden an, wie sie zur Dorfmitte gehen. Loct der mittlerweile für drei gegessen hat, sieht Dahan und rennt ihm entgegen.
"Hey! Dahan! Sag mal, ich weiß ab morgen beginnen die Festtage, aber können wir trotzdem weiter trainieren?", fragt er fast schon fordernd, "Ich merke einfach langsam, dass ich stärker werde und es fühlt sich gut an!"
Dahen wuschelt ihm durch sein kurzes braunes Haar und als er in die ebenso braunen Augen blickt, muss er sich sehr anstrengen seinen aktuellen Gemütszustand zu verbergen.
"Klar, was denkst du denn.", lächelt er und geht ohne große Umschweife seinem Vater nach.
Loct etwas überrascht von dem kühlen aufeinander treffen, aber schon voller Vorfreunde auf das morgige Training, rennt zurück zu den anderen beiden. Das ganze Dorf stoppt kurz mit den Feierlichkeiten und setzt sich um das große Lagerfeuer. Bolan hebt die Arme hoch und winkt fünf Xaela unterschiedlichsten Alters zu. Diese kommen nach vorne und stellen sich in eine Reihe auf. Er begibt sich vor ihnen und dreht sich zur Menge um.
"Familie, ein Wort, das für viele mit Blutsverwandtschaft verbunden ist. Doch ist Familie viel mehr als das!", spricht er in die Runde und dreht sich zu den aufgereihten Xaela um.
Dahan überreicht ihm die Blumenketten. Bolan übergibt diese den fünf Xaela und nach jeder Blumenkette drückt er seine Stirn an dessen Stirn und spricht der Menge zugewandt, eine Tugend aus.
"Glaube,... Mut,... Entschlossenheit,... Opferbereitschaft,... Einigkeit!"
Er blickt allen fünf noch einmal in die Augen und spricht, "Ihr seit nun ein Teil der Familie, egal ob ausgestoßen, Flüchtling oder Weise spielt nun keine Rolle mehr, jetzt seit ihr Kahkol!", gibt er stolz von sich.
Die wenigen Krieger, die um das Festgeschehen Wache halten, schlagen synchron mit ihren Speeren fünfmal auf den Boden. Das dumpfe Geräusch ist eine Ehrengabe, nun auch ein Teil von stolzen Kriegern zu sein. Sichtlich froh sind die fünf Xaela als sie sich in die Arme der Menge begeben.
Glückwünsche und Umarmungen müssen sich nun die Neuankömmlinge über sich ergehen lassen, als der Khan laut verkündet, "Nun, lasst uns mit dem Tsagaan Sar beginnen!"
Auf dem Hauptplatz beginnt wieder das rege Treiben wie vor der Zeremonie. Dahan, der sich nur schwertut alles auszublenden, setzt sich neben seinem Vater ans Feuer. Sein Vater lächelt ihn nur verständnisvoll an und beide essen und trinken etwas.
Skol, der sich nun endlich vom Trubel losreißen kann, macht sich auf den Weg, um den Abend in aller Stille zu beenden, wie er es schon immer tat. Wie auch an den Jahren zuvor, folgen Loct und Hera ihm, wie ein unausgesprochenes Versprechen, was sie sich gaben, setzen sie sich am Rand des Dorfes an einem Felsvorsprung, an dem man weit in das Meer aus Grün blicken kann, so weit, dass der Horizont schier unendlich wirkt. Der klare Himmel über ihren Köpfen erstrahlt im Sternenlicht. Es ist eine friedliche Nacht, die Steppe schläft und ein angenehm kühler Wind weht gen Westen. Weit abseits der drei, ist nur das leise Geräusch der Feier zu vernehmen.
Sie blicken auf den Horizont, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken.
"Wisst ihr...", unterbricht Hera die gedankliche Einsamkeit der drei, "Ich wünschte, wir könnten für immer hier sitzen und einfach in diesem Moment bleiben.", eröffnete sie melancholisch.
Loct schaut Hera mit einem Lächeln an. Er verstand die beiden nicht oft, aber in diesem Augenblick fühlt er genau das gleiche, "Abgemacht!", schrie er fast schon mit einem breiten Grinsen im Gesicht, "Wir bleiben zusammen, Hera! Für immer!", er schaut Hera schon fast lüstern an.
Sie erwidert sein Blick mit einem skeptischen Grinsen und schaut sehnsüchtig zu Skol, als wollt sie von ihm eine Antwort erflehen. Dieser blickt mit einem nicht definierbaren Zwiespalt in seinem Gesicht, in die Ferne. Hera empfindet es als ein weinendes Gesicht, das keine Tränen beinhaltet. Sie wundert sich etwas, als Loct beginnt zu sprechen, verliert sie den flüchtigen Gedanken.
"Wooow, sagt mal...", erkennt er erstaunt, "Waren das schon die ganze Zeit so viele Sterne?"
Die drei blicken zum Sternenhimmel, als sie erkennen, dass es sich nicht um Sterne handelt, spielt sich entsetzen, Furcht und grauen in den Gesichtern der drei wieder. Nach dieser vom Schicksal geplackter Nacht, sollte am nächsten Morgen schon der Wind die traurige Geschichte der zurückgebliebenen Asche über die ganze Steppe tragen. Lieder der Trauer, Tage des Gedenkens und ein Schmerz, der größer ist, als der Tod selbst, soll von nun an das Schicksal derer sein, die zurückbleiben.
Kahkol.png