Teil 2
Der Riegel wurde kurzerhand mit einer Laserwaffe aufgeschweißt. Blendende grelle Funken stoben hoch und wirkten fremd inmitten der Eiswüste. Jean Yves verschwand in dem freigelegten Loch. Ich sah noch kurz seine an der Kante klammernden, behandschuhten Finger. Dann hörte man ein schuffendes Geräusch, gefolgt von heftigem Gepolter. Ich hörte ihn unten heftig fluchen. Wir folgten, und rutschten ebenfalls den schrägen Gang nach unten. Dort war es stockdunkel, aber wesentlich wärmer als oben. Es gab allerdings kein Zurück mehr, der Gang war zu steil geneigt! Treppe oder Leiter fand ich keine. Es gab zwar optische Hinweise auf möglicherweise ausfahrbare Stufen oder Sprossen. Von woher die aber betätigt wurden, war nicht zu erkennen. Kein Knopf, kein Hebel, nichts. Jedenfalls nicht hier im Bereich des Geheimganges. Es gab im Moment auch keinerlei Gründe dafür, umzukehren. Wir mussten zum Bunker.
Wir stolperten vorwärts. Ich riss eine Fackel an, um zu sehen, was passiert war: Yves war seitlich von der Schräge abgeglitten und hatte dadurch einen Stapel leerer Munitionskisten zum Einsturz gebracht. Er zog gerade sein rechtes Bein unter mehreren Kisten hervor. Erneut schepperte und krachte es. Mehrere leere Ölfässer kippten um. Sie standen vermutlich schon vorher sehr wackelig. Chaotisch genug sah der Raum allemal aus!
Zum Glück war Yves unversehrt geblieben. Wütend gab er einem solchen Fass einen Fußtritt, so dass es um die eigene Achse wirbelte und dann mit lautem Donnern gegen ein anderes Fass knallte:
“ Ramschkasten ...! “
Das Fass rollte polternd in einen Seitengang und krachte mit einem heftigen Rums gegen die Wand, wo es liegen blieb.
Ich betrachtete die auffällige Nische genauer. Sehr richtig fand ich einen Schacht, der senkrecht in ungeheure Tiefe zu führen schien. Der Widerhall eines hinuntergeschickten Schreis deutete darauf hin. Ich zog das Fass zur Seite, zündete eine weitere Fackel und warf sie hinunter. Rund 30 Meter tief fiel sie und traf dann definitiv auf einen Wasserspiegel. Das war eindeutig zu sehen.
30 Meter? Dann deutete der lange ferne Widerhall auf weit ausgedehnte, eventuell mehrere Seitengänge oder gar auf eine nahe, mit dem Schacht direkt verbundene Höhle hin.
Ich beugte mich über die Kante, um zu sehen, ob es eine Leiter auf der mir abgewandten Innenfläche des Schachtes gab. Bevor ich aber eine weitere Fackel zünden und etwas erkennen konnte, war Lara mit einem Riesensatz an meiner Seite und packte mich derb am Kragen:
“ Bist du noch zu retten! ” fauchte sie verhalten. “ Willst du abstürzen?! Und das gilt auch für dich, Jean! So wie du lärmst, hört man uns auf dem ganzen Polarkreis! Ich fordere ungeteilte Disziplin! ”
Jean Yves winkte verächtlich ab. Lara ignorierte es mit einem bösen Blick und stürmte voraus. Sie zog ihre Laserwaffe und zündete einen großen Magnesiumstab an. Der war wirksamer als jede noch so gute Akku-Leuchte. Taghelles Licht gloste in den Gang der an einer soliden Stahltür endete. Wir ließen die Soldaten mit ihrem Hyperraum-Ortungsgerät vorausgehen. Es stellte sich heraus, dass der unterirdische Bunker mit einem Labyrinth langer, verwinkelter Gänge und Eishöhlen verbunden war. Genau so, wie ich es vermutet hatte! Das Verlies befand sich in weit größerer Entfernung von ihrem Einstiegsort, als sie zuerst angenommen hatten.
Jean Yves drängelte sich vor und zückte einen silbrigen Gegenstand. Ein Chip!
“ Woher?! ” platzte Lara heraus. Sie ließ die schon auf die Stahltür gerichtete Laserwaffe wieder sinken.
“ Na, unter diesen verfluchten Kisten! Wenn er hier passt, kommen wir ein ganzes Stück weiter! Weg da! ”
Yves schob den Chip in den Schlitz am Schließapparat: Pling...Plihihing... Klack-Bumm!...Kreischschsch! Und schon war Rom offen! Wie es den Geisel-Kindern da unten erging, konnte nur vermutet werden. Die Luft war feucht, kalt und stickig. Da lauerte eine schwere Grippe an jeder Ecke.
Dass der Tür eine Falle folgen konnte, auf diesen Grips kam lausigerweise keiner von uns. Und - Hei! - ging sie ab, die Post, und zwar schräg nach unten! Hart prallten wir gegen eine morsche Wand. Ziegelsteine und Mörtelbrocken polterten zu Boden. Holz splitterte mit gellendem Lärm. Einer der Söldner war gegen eine leichte Holztüre geprallt und hatte sie dabei “zerkleinert”. Der andere rappelte sich stöhnend und fluchend aus einer stockdunklen Ecke auf, in die er unsanft gestürzt war. Zu allem Überfluss näherten sich von rechts aus einem weiteren Gang vier Gestalten. Wachposten!
Zum Überlegen blieb keine Zeit. Lara gab einen langen Feuerstoß mit dem Strahler in Richtung des Ganges ab. Zurück blieb ein Trümmerfeld aus glühenden Steinen und ausgebrannten Knochen. Ich schüttelte mich, war noch nie ernsthaft im Krieg! Der Gang glühte wie ein Flammrohr im Kraftwerkskessel.
Töten - um Leben zu retten! Was war das bloß für eine Welt?
Lara fand hinter der umgebrochenen Wand eine Art Etui aus Stahl. Was sich darin befand, konnte sie jetzt nicht erkennen. Die Luft war glühend heiß geworden. Und nun zeigte der Kampfanzug eine weitere Qualität: Er versperrte nicht nur der Körperwärme den Weg nach draußen; er verhinderte auch das vordringen äußerer Hitze nach innen! Ein Energieschild schützte das Gesicht. Das bemerkte ich selbst aber erst, als ich mir Schweiß von der Stirn wischen wollte und statt dessen auf einen gummiartigen Widerstand stieß. Ich wusste, wie das Feld desaktiviert wurde. Aber in dieser Situation ließ ich das schön bleiben.
“Gut, das wir die haben!” hörte ich Lara schreien.
"WAS haben?!" schrie ich zurück, als Lara ganz vorn in einem Nebengang mit einer Panzerfaust ein wahres Inferno veranstaltete. Laras Antwort, falls von ihr eine kam, ging im Explosionslärm unter. Falls sie meine Frage überhaupt gehört hatte. Die Druckwelle fegte mich von beinahe den Beinen, obwohl ich weiter entfernt stand und nach dem Abfeuern der Hohlladung hinter einer Biegung Deckung suchte. Fast taub auf den Ohren, rappelte ich mich wieder hoch und stürmte ich in Richtung der Explosion. Dabei stolperte ich über Steine und herumliegende Bretter. Die Panzerfaust musste eine ganz ordentliche Bresche geschlagen haben, wenn so viele Trümmer zurück blieben.
“ Die könnten ruhig auch mal aufräumen! ” hörte ich aus großer Entfernung jemanden brüllen. “ So ein Chaos! ”
Niemand reagierte darauf. Das war keiner von uns gewesen. Ich bekam auch jetzt keine Antwort von Lara. Sie war viel zu beschäftigt.
Die Hohlgranate hatte eine massive Betonwand durchschlagen. Dabei war ein Stahlschrank aus der Betonwand gerissen und dabei zertrümmert worden. Weißes Pulver bedeckte wie Puderzucker das Gestein und den Boden. Lara fand einen Lageplan vor und jede Menge Plastikbeutel. Sie waren prall mit einem weißen Pulver gefüllt. Viele von ihnen waren unter der Wucht der Explosion zerplatzt. Hastig riss Lara einen Beutel auf und kostete eine winzige Prise von dem Pulver..
“ Heroin! ” Durchzuckte es sie. “ Also hatte Jean doch Recht! Und nun also her mit der Karte ... “
Der zerstörte Schrank und die durchschlagene Wand hatten einen engen Durchgang freigegeben. Gleich zwei Medopacks waren von irgendwo her heruntergefallen. Lara sackte sie hastig ein.
Ihre Absicht war es gewesen, einen hier vermuteten Nebengang aufzusprengen. Den Stahlspind, der offenbar getarnt war, hatte sie überhaupt nicht wahrgenommen in der Dunkelheit. Sie leuchtete mit der Maglite in die Bresche. In dem grellen Lichtstrahl tanzte der Staub. Lara stieß, als sie dem engen kurzen Gang folgte, auf einen Tunnel mit einem Gleis in der Mitte. Als sie den nächsten Schritt machte, trat ihr Fuß ins Leere. Lara glitt aus und rutschte mit einem erstickten Schrei vier Meter tief ab. Damit gab es kein Zurück mehr in das aufgesprengte Loch. Aber der Rutsch selbst war glimpflich verlaufen.
Laras Maglite ließ kein Ende des Tunnels erkennen. Der Staub hing noch immer in dem Gangsystem und versperrte die Sicht. Schnell faltete Lara den Lageplan auseinander, fand dort den Tunnel mit der Schienenstrecke verzeichnet und schwang sich auf eine Draisine, die sie schon bald mit dem Licht der gezündeten Magnesiumfackel entdeckte. Die Gleise führten direkt zu der großen Luke mit dem Dreifachschloss, falls die kleine Karte stimmte. Sie war recht sauber und detailliert skizziert, aber sicher nicht Maßstabsgerecht. Das konnte zu bösen Überraschungen beim Abschätzen der Entfernungen führen.
Lara konnte im Licht des Magnesiumstabes bis zu einer Biegung sehen, hinter der das Gleis verschwand. Dabei fand sie netterweise noch ein Energiemagazin für ihre Laserwaffe und ein großes Medopack. Beides steckte Lara in ihr Inventory. Lara musste mit den Magnesiumstäben sparsam umgehen; sie hatte nicht all zu viele dabei. Die kleinen Magnesiumfackeln dagegen waren reichlich vorhanden, leuchteten aber nicht weit.
Lara sprang kurz entschlossen auf das Schienenfahrzeug. Lärmend polterte das zum Glück gummigefederte Gefährt über die Schienen. Und da erst dachte sie an ihre zwei Gefährten. Die Draisine wurde schneller und kreischte um die besagte Kurve. Lara flog die Fackel aus der Hand. Die Draisine verschwand in einem Durchbruch am Ende des Tunnels, das vorher im Licht der ersten Fackel nicht einzusehen war. Lara duckte sich geistesgegenwärtig. Zum Glück hatte der Handantrieb einen Freilauf.
Bevor Lara eine neue Fackel anzünden und den Bremshebel ziehen konnte, segelte der Schienenkarren ein Stück durch die Luft und krachte mit voller Wucht zurück auf den Boden. Dort verfehlte das Fahrzeug die Schienen. Es holperte mit ohrenbetäubendem Lärm über die Stahlschwellen, knallte gegen herabgestürztes Gestein und kippte um. Lara wurde heftig gegen eine Kiste geschleudert, deren rostige Nägel und Schrauben dabei ihren Geist aufgaben. Überrascht fand Lara eine schweren Granatwerfer mit zehn Granaten zwischen den Kistenteilen. Ohne Federlesen verfrachtete sie das Ding ins Inventory. Irgendwo musste auch weitere Munition dafür zu finden sein. Ob sie das Monstrum wirklich benötigte, ob es überhaupt funktionierte, das war die andere Frage. Das Gewicht der schweren Waffe spürte sie nicht mehr, als sie im Hyperdim-Feld des Inventorys verschwunden war. Die Waffe musste schon längere Zeit hier gelegen haben. Der Zustand der Kiste deutete darauf hin, dass der Granatwerfer hier schlicht und einfach vergessen worden war.
Nach dem metallischen Lärm war es plötzlich totenstill geworden. Nur weit weg, tief drin in dem Labyrinth, hörte Lara ein fernes Rauschen.
“ Rheda...! Jean...! Hört mich einer ... ?! ”
Gespenstisch hallte das Echo wieder. Lara zwang sich zur Ruhe. Nur keine Panik, sonst konnten sie gleich einpacken. Die Wachen, oder die automatischen Sensoren würden ihr Eindringen in das Labyrinth ohnehin bemerkt und sie vielleicht schon geortet haben. Jede Minute war kostbar! Lara wusste nicht, wie weit sie wirklich mit dieser ‘Achterbahn’ gefahren war. Die deutlich höhere Temperatur und das Felsgestein deuteten auf größere Tiefe hin. Aber die Karte stimmte. Es gab nur dieses eine Gleis mit einem einzigen Abzweig nach links. Die Weiche musste gradeaus gestanden haben. Lara hätte sonst den Richtungswechsel bemerkt. Eine Kamera, die sie plötzlich aus einer Ecke auf sich gerichtet sah, legte sie mit ein paar Pistolenschüssen kurzerhand lahm. Metallstücke und Glassplitter flogen in alle Richtungen, ließen sie aber unverletzt.
“Wo ist nur dieser verdammte Steg...” fluchte Lara, nahm schnell ein Medopack zu sich und tastete sich im Halbdunkel voran. Hier brannte eine schwache Notbeleuchtung. Wo allerdings Strom war, konnte der Energieerzeuger nicht mehr weit sein. Lara fand den Steg und hangelte sich unter ihm auf die andere Seite des Trümmerhaufens, der die Schienen verschüttet hatte. Der Tunnel war weiter hinten völlig zusammengebrochen. Lara konnte es im Lichtkegel ihrer Maglite gut erkennen. Damit konnten sie den ersten Zugangsweg, den die Karte verzeichnete, vergessen.
Lara hatte gerade eine dritte Fackel angerissen, da erfolgte dicht über ihr eine weitere, diesmal sehr schwere Explosion. Sie brachte das ganze Labyrinth zum Erbeben. Steine und Eisbrocken fielen herunter. Lara rannte um ihr Leben, fürchtete den Einsturz der Decke. Laras Augen wurden von gleißender Glut geblendet, obwohl ihr Blick in Richtung des Ganges gerichtet war. Musste eine Thermobombe gewesen sein! Noch ein Poltern, ein paar herunterkullernde Brocken. Dann wurde es ruhig. Lara war völlig geblendet. Zum Zerschneiden dick hing der Staub in der Luft. Lara hustete, rotzte und spuckte. Sie hatte vergessen, das Schutzfeld vor ihrem Gesicht zu schließen.
“ Damit hat Rheda endlich eine Chance, mir auch mal einen begründeten Vorwurf zu machen... ” dachte sie grimmig.
Erst nach über einer Minute, als die Blendwirkung des Explosionsblitzes nachgelassen hatte, erblickte sie trübes Tageslicht über der Stelle, wo die Bombe hoch gegangen sein musste.. Eisiger Wind riss die Archäologin beinahe von den Beinen. Der vermutete Quertunnel erwies sich als größere Kaverne, die bis dicht unter das Eis nach oben reichte. Yves’ Sprengung hatte die relativ dünne Decke hinweg gefegt und das ganze Ding damit unter freien Himmel gesetzt. Hier passte sogar der Flugpanzer rein, dachte Lara und musterte mit abschätzenden Blicken das Ausmaß der freigelegten Hohlraumes. Zwei schwere Kisten kippten von oben herunter und brachen in Stücke. Lara konnte ihnen im letzten Moment durch einen beherzten Seitwärtssalto ausweichen.
Granaten? Sogar passende für den Werfer? Laras Annahme bestätigte sich, als sie die Dinger abschätzend in den Händen wog und die Aufschriften las. Lara steckte sofort noch mehrere davon ein. Sie wunderte sich zwar, dass die Munition nicht gleich mit in die Luft gegangen war. Aber das war auch der Beweis, daß man gefahrlos damit hantieren konnte. Sie kletterte nach oben und traf auf Yves.
“ Ruhe! Ich bin’s, hier oben! Ich hab’ die Chips für das zweite Luk! ” hörte ich Yves' Stimme wie Musik in ihren Ohren. Er und Lara schlitterten auf einer Schräge wieder von oben herunter. “ Die Soldaten sind durch und haben das Versteck. Aber alle Vier werden von den Kerlen dort fest gehalten. Damit haben wir ein Problem. Was tun wir jetzt, Lara? ”
“ Den Laden aufkochen, was sonst! ”
“ Und die Soldaten und die Kinder? Willst du dort etwa einfach so mit einer schweren Waffe reinrotzen?! ”
“ Karte her, Jean! ” befahl sie an Stelle einer Antwort kurz. “ Hier also ist der Tunnel, das ist soweit klar. Das hier ist die Stelle, wo der Tunnel zusammengestürzt ist. Und das hier ist der Hohlraum, den du mit deiner Bombe gesprengt hast. Und hier vorn ist die Stahltür mit den drei Schlössern! Nur über sie kommen wir unbemerkt an das Verlies! Ich habe nämlich auch Öffnungschips gefunden! “
"Wo hast du die gefunden?! “ fuhr Jean Yves erstaunt hoch. " Noch mehr Zufälle heut'? "
" Ich hab' sie halt gefunden, und das genügt doch, oder? Wer weiß, was diese Schurken noch so alles verloren und liegen gelassen haben in dem Labyrinth. Wir sollten noch ein wenig suchen! ”
Ich winkte ab: “ Keine Muse dafür, Lara! Dazu fehlt uns die Zeit! ”
“ Also, wenn wir hier an der Seite diese Luke öffnen ”, fuhr Lara ohne sichtliche Hast fort, “ kommen wir in einen Seitengang, der hier knapp hinter dem Bunker in das Eis gehauen und ausgemauert ist. Von da aus brechen wir über die Rückwand in den eigentlichen Bunker ein. Denke an den Schockeffekt! Den Kindern können wir den Schock leider auch nicht ersparen. Und die vier Kämpfermannen stecken mit drin. Sie kommen nicht an ihre Strahler, weil die Wachposten ihre Waffen schon im Anschlag haben. Die Kinder liegen apathisch auf völlig verschmutzten Lagern! Jedenfalls, soweit die Angaben der Ortungsgeräte es erkennen ließen. Deine Fähigkeiten als Präzisionsspreng-Spezialist sind dort wieder mal gefragt, Jean! ”
“ Dann kann der Schreck sie aber töten! “ gab Yves zu bedenken. “ Die Öffnung der Stahlluke wird sicher auch bemerkt werden. Wir müssen ein Mega-Tempo vorlegen, wenn wir das schaffen wollen! ”
“ Lähmgas. ” machte ich den letzten Vorschlag. “ Alles einnebeln. Damit erledigen wir die Wache, ohne viel Krach zu machen. “
Bisher hatte ich nur schweigend die Rolle des Wache stehenden übernommen. Jetzt schien das allerdings anders zu werden.
” Dann haben wir unter Umständen vier betäubte eigene Leute, die erst nach einer Stunde wieder voll aktionsfähig sind." bemerkte Yves skeptisch und rieb sich das Kinn. "Sie, und auch noch die Kinder fast einen Kilometer weit durch den Schnee ... Ob ihr Schutzschirm...? “
Lara hörte es, nickte aber nur knapp, während sie im Inventory die Patronen mit dem Betäubungsgas aufrief und entnahm. " Hier, Rheda, deine Aufgabe! Und nun ab durch die Mitte! "
“ Das ist die letzte Möglichkeit. ” überging Lara Yves' Bedenken. “Zu allererst hauen wir die Kinder raus! Ich klettere jetzt wieder hoch. Die Luft ist rein. Ich rase so schnell ich kann zum Kampfgleiter und fliege ihn her. Von da aus brenne ich mich mit dem Desintegrator durch den Schnee, egal was kommt. Wenn mir ein Angreifer dazwischen kommt, wird er mit abgeräuchert! Nur so komme ich schnell genug zum Kampfgleiter! Weil ich den Desi ja zugleich als Waffe benutzen kann. Wir müssen dann unsere Soldaten mit paralysieren, weil wir sie nicht warnen können. Es sei denn, ihr Schutzfeld ist eingeschaltet! “
“ Hoffentlich sind sie schlau genug ... ”, setzte Yves hinzu. “Wenn du aber den Desi nimmst, dann lass’ gefälligst die Landestützen meines Shifts heil! Falls wir es überhaupt noch schaffen! “
Lara widersprach nicht. Sie musste selber einsehen, dass sie schon viel zu viel Zeit verloren hatten. Vielleicht hatte ihnen nur der Schneesturm etwas Spielraum verschafft. Sonst wären die gegnerischen Gleiter, besetzt mit schwer bewaffneten Ganoven, vermutlich längst eingefallen.
Ich ergriff die Lähmpatronen und stürmte wieder in den Gang und den ganzen weiten Weg zurück, um den auf der Karte ausgewiesenen Seitengang aufzusuchen. Hier bohrte ich mit der Laserwaffe unter aller Vorsicht ein kleines Loch in die Wand. Dann holte ich die Gaspatronen mit dem Lähmgas aus dem Inventory. Einen Dichtungsstöpsel in das Loch, den Kegel der Gaspatrone hinein und abdrücken! ... Tschschsch ....!!
Weiter passierte scheinbar nichts. Ich hörte keine Schreie, keinen Schuss, nichts. Man konnte nur hoffen, dass das Lähmgas dort hingelangte, wo es sollte.
Die zweite Patrone: Tschschsch ...!! Mit zwei solchen Dingern konnte man ein vollbesetztes Kino ins Reich der Träume schicken. Das wusste ich noch aus meiner Zeit bei der Bundeswehr. Es musste auf jeden Fall reichen.
Wenn ich nicht selber eine Ladung dieses Teufelszeugs abkriegen wollte, musste dich die Patronen fest gegen den Latex-Dichtring pressen. Das Betäubungsgas stand unter sehr hohem Druck. Nur so war es möglich, dass auch ein größerer Raum schnell und vollständig mit dem Gas geflutet werden konnte.
Ich schmiss die leeren Patronen fort und rannte los. Überrascht stieß ich auf Yves, der gerade mit einer dicken Wurst aus TNT-Sprengstoff hantierte und sie Stück für Stück an eine Wand pappte.
In diesem Moment kam Lara zurück gestürmt und deckte sofort die andere Seite mit ihrer Laserwaffe. Wie sie es geschafft hatte, so schnell wieder herunter zu kommen, wusste ich nicht. Von den Motoren des Kampfgleiters hatte ich auch nichts gehört.
“ Toll, Ihr Freunde... ! ” rief Lara verhalten, und blickte liebevoll auf. " Ihr werdet ........... “
Yves' Sprengladung detonierte. Ein erstickter Schrei wie von einer getretenen Katze wurde laut. Die Detonation hatte vermutlich einen herumlungernden Wachposten mit ins Jenseits geschickt.
In Mitten des Rumpelns fallender Betonstücke verdeckte eine Staubwolke vorübergehend wieder jegliche Sicht. Yves’ sorgfältig angebrachte Sprengstoff-Wurst hatte ein sauberes Quadrat aus der Mauer herausgeschlagen. Bildhübsche Präzisions-Sprengung! Damit war der eingebrochene Bereich des Tunnels umgangen. Yves erblickte im Licht seiner Fackel sehr richtig die Schienen! Allerdings war auch der Gang, durch den er gekommen war, durch die Wucht der Explosion eingebrochen. Yves konnte ihn nur noch kriechend passieren.
In dem Moment entdeckte ich Licht auf meiner Seite des Ganges!
“ Achtung, weitere Angreifer von rechts! ” schrie ich. “ Holt alles raus, was ihr könnt! Nehmt die Schwebeplattform aus dem Flugpanzer, aber dalli! Ich geb’ Dauerfeuer! ”
“ Und die Hitze?! ” Lara guckte mich erschrocken an.
“ Ich geb’ Dauerfeuer! Beeilt Euch! Ich habe keine andere Wahl! Oder wollt ihr als Fleischsalat enden?! “
Ich hielt die Strahlerwaffe auf den Gang drauf und drückte ab. Die erste Angriffswelle wurde wie von einem glühenden Hammer zerstäubt, die Nachfolgenen wurden allein durch die Hitze außer Gefecht gesetzt und prallten bei ihrer panischen Flucht mit weiteren Nachrückenden zusammen. Ein Chaos entstand. Und nach wenigen Minuten sah der Gang aus wie ein brodelnder Vulkan.
Die Hitze drang jetzt durch den Kampfanzug. Schnell nahm ich ein Medopack und musste dann zusehen, dass ich von hier weg kam, wenn ich nicht als Broiler enden wollte. Meine Kampfstiefel qualmten. Der Schutzanzug schmorte stellenweise. Die Luft musste wirklich brennend heiß geworden sein. Als ich auf eine Grube mit Wasser traf, warf ich mich kurz entschlossen hinein. Die Abkühlung in dem eisigen Wasser erfolgte zum Glück sehr schnell.
Jean Yves war inzwischen an Laras Stelle nach oben gestürmt, die den Shift direkt neben den Explosionstrichter geparkt und die Schwebeplattform hinuntergelassen hatte. Also war sie nicht direkt mit dem Shift herabgeschwebt, womit sich auch meine Frage erübrigte, warum ich kein Triebwerksgeräusch gehört hatte. Ein großer qualmender Riss zierte Yves' Spezialanzug. Endlich saß er in seinem Kampfgleiter ließ ihn mit dem Heck direkt über dem Loch schweben. Er musste ebenfalls ein weiteres Medopack benutzen. Damit wurde auch seine leichte Betäubung endlich beseitigt, so dass er wieder klar denken und handeln konnte. Genau in dem Moment hörte er das bösartige Summen anfliegender Kampfgleiter!
“ Beeilung, alle Mann! " schrie er in den Sturm. " Jäger im Anfluge! "
Endlich kam Lara mit dem ersten Kind auf den Armen angelaufen. Die Kleine trug nur noch Lumpen auf der Haut, aber zum Einpacken fehlte die Zeit. Es ging jetzt um Leben und Tod! Ich selbst hatte keine Angst. Wir würden es schaffen. Man musste nur fest daran glauben Es war ein seltsames Gefühl der Ruhe, dass ich nicht zu beschreiben vermochte.
Der Kampfgleiter feuerte automatisch die ersten Salven in Richtung Himmel. Zwei heftige Explosionen erschütterten die Luft. Ich konnte nur ein diffuses Wabern sehen. Der Schneesturm verschluckte die Lichtblitze der offenbar in größerer Höhe erfolgten Detonationen der gegnerischen Maschinen zum großen Teil. Die Trümmer schlugen irgendwo mit dumpfem Rumsen in die Erde. Ein weiteres Stück kam in nächster Nähe herunter. Ich hoffte nur, dass kein solches Trumm direkt auf den Kampfgleiter fiel.
Jetzt wurde es wieder still. Nur der Sturm pfiff weiter. In der Ferne verklang das Fauchen anderer Jagdmaschinen, die offenbar nicht mit solche massiver Abwehr gerechnet und lieber ihr Heil in der Flucht gesucht hatten. Ein Flugpanzer wie der von Yves geflogene stellte eine fliegende Festung dar, die sogar vom Boden aus noch wirksam zuschlagen konnte. Vermutlich hatten nur eine oder zwei Maschinen ernsthaft anzugreifen versucht, wurden aber geortet, bevor sie das Feuer eröffnen konnten.
Das Flackern eines Brandes durchdrang weiterhin den dichten Nebel. Ich schleppte das zweite Kind nach draußen, während mir eine heftige Sturmböe den Schnee gleich Dezitonnen-weise über den Körper schüttete. Aber ich fand den Zugang zum Kampfgleiter und war geborgen. Lara stürzte mit einem langen Hechtsprung als Letzte herein, als sich die Heckluke schon schloss. Zzzzz ... PLANG!
Lara fiel mir erschöpft in die Arme, als ich ihr helfen wollte. Spontan erwiderte ich die Umarmung mit aller Zärtlichkeit, die ich hinein zu legen vermochte. Soweit das eine Kampfmontur eben ermöglichte. Die Individualschirme waren jetzt abgeschaltet.
“Meine Lara ... “
Lara lächelte und küsste mich sanft. Sie war völlig ausgereizt und wurde kurze Zeit ohnmächtig. Der Shift wurde offenbar erneut von Jägern attackiert. Mehrere Strahlenbahnen schlugen in den Schutzschirm des Flugpanzers ein. Einige verfehlten das Ziel und verwandelten auf dem Boden Eis und Schnee in wütend auffauchende Fontänen aus Dampf und kochendem Wasser. Yves vezichtete auf eine aktive Abwehr und jagte den Flugpanzer mit einem Alarmstart in den Himmel. Die Antriebsaggregate heulten protestierend auf.
Es zeigte sich, dass die Angreifer ihr Feuer auf Lara am Boden zurückgebliebenden Kampfgleiter konzentrierten. Dieser explodierte schon nach wenigen Sekunden. Die Druckwelle des berstenden Energonenreaktors donnerte heran, Sie fegte die gegnerischen Maschinen, die sich noch in nächster Nähe befanden, vom Himmel. Eine schwere Erschütterung traf auch den Shift mit voller Gewalt. Er kippte auf die Seite und bäumte sich zugleich im Sechzig-Grad-Winkel nach oben auf. Yves verlor für einen Moment jede Kontrolle über die Maschine. Krampfhaft hielt ich mich an einem Rumpfspant fest und klammerte mich mit den Füßen an die Sitzbank. Zu Anschnallen war ich überhaupt nicht mehr gekommen. Der Kampfgleiter trudelte wie ein welkes Blatt, rutschte jäh über die linke Tragfläche. Schier endlos dauerte es, bis es der Maschine gelang, mit bösartigem Aufheulen der Triebwerke in einen stabilen Sturzflug mit Ausleiten in den Normalflug überzugehen, ganze Vierhundert Meter über der Erde ......
Alles, was nicht befestigt war, flog durch die Kabine. Yves saß zwar sicher in seiner Pilotenkanzel, kriegte aber auch einiges um die Ohren. Lara konnte sich gerade noch festhalten. Einer der Soldaten, ein junger Farbiger, wurde in der Ladebucht in Richtung Heck geschleudert und von einer nachrutschenden Kiste getroffen. Danach konnte er das rechte Bein nicht mehr bewegen. Ein greller Schmerz zuckte auf, als er es trotzdem versuchte, gefolgt von seinem erstickten Aufschrei. Lara wurde von einer Schraube am Kopf getroffen, konnte sich aber mit einem kleinen Medopack selbst versorgen.
Innerhalb der Kampfmaschine herrschte jetzt das nackte Chaos.
Lara schüttelte nur den Kopf. Wieso befanden sich lose Gegenstände im Kampfgleiter, während dieser sich im Einsatz befand? Wieso waren die Soldaten nicht angeschnallt? Folgenschwerer Leichtsinn!
Der Schwarze blickte mich dankend an, als ich ihm behutsam einen Stützverband anlegte. Blitzschnell, bei der Armee tausendfach geübt. Lara winkte ab, als ich ihr ebenfalls Hilfe anbot.
“ Nun ja, mein Gleiter ist hinüber! ” bemerkte sie sarkastisch, ohne ihre übrigen Gedanken auszusprechen. “ Aber lieber die Maschine, als wir. Vielleicht haben die ja zuerst meinen leeren Gleiter angegriffen und uns damit Zeit verschafft, wer weiß. Die Jäger waren offenbar nur drei oder vier, nur zwei haben angegriffen. Was mich eigentlich wundert. Ob das Schutzfeld eines solchen Flugpanzers einem Punktbeschuss durch mehrere Kampfgleiter standhält? “
“ Schon. ” meinte Jean Yves. “ Aber nicht ewig lange. Dann wird’s ungemütlich heiß hier drin. Danke für deine Hilfe, Rheda! Wir essen heute Abend zusammen und trinken Tee. Willst du jetzt welchen? Ihr auch? ”
“ O, vielen Dank, Jean! Ich mag dich! Dieses schöne Gesicht, die schönen Haare.... ”
“Nicht so viel schleimen, Rheda.” bemerkte Jean Yves und blickte energisch auf. “Du kannst und sollst deine Gefühle ja nicht verbergen. Aber so wie eben, das klingt blöd, bitte entschuldige. Na, ist nicht so gemeint. Wir fliegen jetzt direkt nach Hamburg in unsere Klinik. Die gleiche, in der wir dich auch geheilt haben. Alles andere später. Hier, dein Tee. Mit Zucker oder ohne? ”
“ Mit. Schönen Dank! ”
Die anderen schmunzelten.
Jetzt, wo unser Shift wieder “sicheres Fahrwasser” erreicht hatte, konnten die Kampfmonturen endlich runter. Nur die leichten Thermo-Suits bedeckten noch unsere Körper und ließen so manche ästhetische “Rundung” sichtbar werden.
Ich griff nach dem Feldgeschirr mit dem belebenden Gewürztee. Ein großer brauner Kandis-Brocken schwamm darin. Vorher nahm ich noch einen endlos langen Zug aus der Mineralwasserflasche, die Lara mir hinhielt. Ich rührte in dem Feldgeschirr, bis sich der Zucker im heißen Getränk gelöst hatte, und fischte dann den Faden heraus.
Die beiden Kinder standen immer noch unter dem Einfluss der Paralysepatronen. Aber der Medoroboter führte ihnen bereits parenteral Medikamente, Wasser, Mineralien, Vitamine und Nährstoffe zu. Die aufgesprungenen Lippen behandelte er mit Salbe und Spray.
Ich legte erschöpft meinen Kopf in Laras Schoß. Sie ließ es kommentarlos geschehen. Die anderen tranken auch einen Tee. Lara strich mir wieder so sanft über die Haare. Dann massierte sie mir den Nacken. Buchstäblich schnurrend, streckte ich mich unter ihren zärtlichen kleinen Händen aus.
Wie konnte so ein zartes Ding nur solche Belastungen ertragen und schwere Waffen handhaben?
Ich betrachtete die beiden Kinder. Sie waren verschmutzt, zerlumpt, mit blutverkrusteten Wunden übersät. Es muffelte in der ganzen Maschine. Irgendein hirntoter Mörder hatte bei dem kleineren der beiden Kinder, einem blonden Mädchen, glühende Kippen auf der bloßen Haut ausgedrückt. Die typischen Brandflecke waren nicht zu übersehen. Solche Grausamkeiten kannte ich bisher nur von den Faschisten, den SS-Schergen aus dem Konzentrationslagern. Die Haare des Mädchens waren blutverschmiert und angesengt...
Lara weinte! Sie zeigte Gefühle, wie sie nur eine Frau haben konnte. Eine Frau - Quelle des Lebens, der Liebe und des Lichts! Aller Waffen und aller Äußerlichkeiten zum Trotz!
Die Tränen perlten über ihr Gesicht und fielen mir auf die Wange. Sie stellte den Tee beiseite und schluchzte zum Erbarmen, als sie den misshandelten kleinen Mädchen über das verschmierte Haar strich: “Das Menschen so etwas fertig bringen ... !”
Mir wurde bewusst, wie feinfühlig Lara wirklich war. Lara Croft war streitbar. Aber jetzt kehrte sie wieder unübersehbar die empfindende Frau mit Fürsorgeinstinkt heraus. Eine Frau blieb FRAU und konnte auch als Kampf-Amazone ihre Natur nicht verleugnen.
Das hier, dass war jedenfalls kein martialischer Kampfdrachen mehr...
Die anderen schüttelten Köpfe, während Lara sich um die Erstversorgung der Kinder kümmerte, so weit der Luftpanzer und der mitfliegende Medo-Roboter das ermöglichten.
Jean Yves, der die Schnauze gestrichen voll hatte, winkte nur erschöpft ab. Er musste ja noch den Flugpanzer fliegen.
“ Lasst mich bitte jetzt ganz in Ruhe! ” sagte er barsch. “Meine Aufgabe ist jetzt das Fliegen und nichts anderes! Gefährlich genug, was ich jetzt gleich tun werde! Geradeausflug nach Hamburg! Ohne Rücksicht auf andere! I am Sorry... “
Ich schaute noch mal nach dem Soldaten. Er wand sich stöhnend. Seine Schmerzen hatten noch zugenommen. In der Klinik würde er vermutlich sofort operiert werden müssen. Welcher Art die Beinverletzung war, vermochte ich nicht zu erkennen. Das ganze Bein war dick geschwollen. Ich musste den Verband lockern, was den Verwundeten sichtlich erleichterte.
“Habt ihr denn kein Notfallpack da, verdammt noch mal!” rief ich nach vorn.
“Ja doch!” Lara setzte dem Soldaten schnell eine Spritze und nahm seinen Kopf auf ihren Schoß.
Ich richtete mich wieder auf und trank vorsichtig weiter. Auch der verletzte Soldat hatte starken Durst und trank sehr viel.
Heftige Böen ließen die schwere Maschine schwanken und stampfen. Yves steuerte sie steil nach oben, um über die Sturmwolken hinweg schnellstens auf Reiseflughöhe zu kommen. Lara kümmerte sich behutsam um die kleinen Mädchen. Sie tupfte ihre Wunden sauber und desinfizierte sie. Der an Bord befindliche Medo-Roboter behandelte die Brandverletzungen, die teilweise fast an den dritten Grad heran reichten. Beide Kinder würden den nächsten Tag nicht mehr sehen, wenn nicht sofort eine adäquate Intensivtherapie bei ihnen einsetzte.
Jean Yves blickte sich kurz um und zögerte nicht länger. Er riss dem Kampfgleiter aus dem von der Luftraumüberwachung vorgegebenen Kurs und aktivierte einen entsprechenden Dauerfunkspruch an alle im Luftraum befindlichen Maschinen. Dann setzte er einen gnadenlosen Direktkurs in Richtung Hamburg, gab vollen Schub und knallte durch die Schallmauer. Er ignorierte alle Warte- und Kursänderungs-Aufforderungen und umflog ankommende Verkehrsmaschinen mit aktivierter Allround-Ortung in weiträumigen Bögen, damit sie nicht durch die Überschall-Kopfwelle des Shifts gefährdet wurden. Er wollte direkt auf dem Heli-Landeplatz der Uni-Klinik aufsetzen. Im Direktanflug auch über dem Hamburger Großraum. Ohne Rücksicht auf Verluste! Für Verzögerungen oder gar ‘Umbootungs-Aktionen” wäre keine Zeit mehr verblieben. Schließlich musste das auch der Hamburger Tower einsehen, wo der Shift zuerst für einen Amokflieger gehalten wurde. Jetzt erhielten sie freies Geleit. Der Zustand der jetzt vor Schmerzen wimmernden Kinder verschlechterte sich zusehends. Sanft streichelte Lara über die wenigen Flecken unverletzter Haut, die ihnen noch geblieben waren.
Die angeforderten Jagdmaschinen eskortierten jetzt den Kampfgleiter. Ich war sehr erleichtert darüber, dass Yves' Kamikaze-Anflug auf Hamburg zu keinen ernstlichen Zwischenfällen oder gar Beschuss durch Armeegleiter geführt hatte. Ein Schusswechsel über bewohntem Gebiet hätte auch unten auf dem Boden allerhand Schaden gestiftet.
Alles harrte seiner Gedanken innerhalb der Maschine, über der bereits wieder blauer Himmel strahlte. Die Triebwerke gaben jetzt im Überschallflug ein helles, heulendes Dröhnen von sich. Der verwundete Soldat stöhnte bei jeder Bewegung leise. Lara hielt seinen Kopf sanft in ihren Armen. Essen wollte er nicht. Nur Durst, Durst ...
Die beiden Kinder waren inzwischen betäubt. Lara hatte ihnen einen Schuss Morphium gegeben. Denn allein die Schmerzen konnten sie umbringen.
Ich war an Laras Seite eingeschlafen und kam erst nach der Landung auf dem Helikopter-Landefeld der Klinik wieder zu mir. Aber alles Weitere erlebte ich wie durch einen Nebel. Ich war so erschöpft, dass ich wieder einschlief und noch mitkriegte, wie die beiden Mädchen über die Heckluke ins Freie getragen und vom Turbolift nach unten ins Gebäude befördert wurden. Wir durften nicht mit. Die Mädchen schwebten in akuter Lebensgefahr.
Erst auf Laras Anwesen wurde mein Kopf endlich wieder klarer. Ich fühlte mich ein wenig ausgeruht und fand endlich wieder Entspannung.
“ Die beiden Kleinen und der Schwarze sind in der Klinik jetzt gut aufgehoben. ” Bemerkte Jean Yves sanft. “ Mache dir bitte keine Sorgen, Rheda. Wir besuchen unsere neuen Freunde, sobald es ihnen etwas besser geht. ”
“Leider, Rheda!” bemerkte Lara mit Bedauern. “Die Pummelchen sind in so kritischem Zustand, dass sie auf die Spezialstation für Brandverletzte verlegt werden mussten. Aber die unmittelbare Lebensbedrohung hat man hoffentlich schon im Griff. Wir treffen uns noch, wenn der Soldat und die Kinder wieder gesund sind. Dann machen wir aber einen drauf!”
Lara lächelte und bedachte mich mit einem sanften Wisch über meinen Kopf. Ich kriegte schon wieder Herzklopfen, als ich ihren angenehmen Duft spürte, ihre unvergleichlichen Lippen sah, ihre großen Kulleraugen mich eingehend musterten.
Ich hatte Hunger und schon wieder Durst, und winkte genervt ab, als Lara mich wieder ermahnen wollte, meine Gefühle zu kontrollieren.
Lara und Jean, der für die Nacht mit auf dem Anwesen bleiben wollte, versorgten mich dafür reichlich.
Eigentlich wollte ich noch ein Wenig mit meiner neuen, geheimnisvollen Freundin allein sein. Aber dazu kam ich nicht mehr bewusst. Nach dem Duschen nahm mich Lara sanft in die Arme. Der Fernseher lief. EURO News berichtete bereits von dem Geiseldrama und unserem Kampfeinsatz.
Lara nahm mich noch inniger in die Arme. Es war mir bei ihr so warm und weich, ihre heißen Lippen liebkosten meine Stirn. Sollte ich nicht Disziplin wahren? Und jetzt war es Lara, die sich mir annäherte? Was stimmte hier überhaupt noch?
Laras kleine Hand sanft in meinen Haaren spürend, nahm ich diese Gedanken mit in einen tiefen, gesunden Schlaf ......
* “Shift” heißt so viel wie “Versetzen”. Ein Shift ist ein schwer bewaffneter, fast in jedem Gelände einsatzfähiger gepanzerter Kampfgleiter zum raschen Ein- und Ausfliegen von kleinen Spezialeinheiten. (Ursprung der Bezeichnung: PERRY RHODAN-Heftreihe)