Ich denke, der Fokus auf Qualitätskriterien wechselt mit dem Erwachsenwerden. Als Kleinkind zum Beispiel mochte ich vor allem märchenhafte Anime sehr gerne. Als ich zur Grundschule ging wuchs mein Interesse an Science Fiction, einem Genre, was in den 80ern in so ziemlich jedem Medium recht populär gehandelt wurde. So waren Titel wie "Warriors of the Wind", "Space Firebird", "Die Königin der Tausend Jahre" und der zweigeteilte Cyborg 009-Movie ein paar meiner Favoriten. Auch die beiden in Deutschland erhältlichen Ultraman-Anime mochte ich sehr.
Als ich so langsam in die Pubertät kam und immer mehr Zugriff auf ein immer breiter werdendes Spektrum von Anime in Deutschland bekommen konnte, wurde ich natürlich auch auf Gewaltfilme und Hentai aufmerksam und kann nicht leugnen, dass ich eine große Faszination dem gegenüber entwickelte. Es reizte mich sehr, Gewalt und Sex in einem Medium dargestellt zu bekommen, dass oberflächlich gesehen nur als Kinderkram tituliert wurde. Umso brutaler ein Anime war, desto besser fand ich ihn auch. Heute weiss ich, dass Gewaltanteile nichts sind, was einen Anime inhaltlich aufwertet. Im Gegenteil!
Ich schwor mir sogar "Wenn ich 18 bin, dann werde ich nur noch ausschliesslich Horror und Hentai als Anime-Genre bevorzugen"...doch es kam ganz anders. Denn sobald ich tatsächlich volljährig wurde, schwand jegliches Interesse an Anime mit solchen Inhalten, da der Reiz des Verbotenen nicht mehr gegeben war. Und so begann ich tatsächlich erst mit meiner Volljährigkeit über die Definition von Qualitätskriterien von Anime so richtig nachzudenken.
Mein heutiger Erkenntnisstand resümiert sich wie folgt:
1) Abwechslung:
Umso mehr Abwechslung in einem Anime erkennbar ist und er auf verschiedenen Ebenen oder gar genreübergreifend funktioniert, ist das schonmal ein großer Pluspunkt. Ein repetitives Konzept, in dem jede Folge nach dem selben Konzept funktioniert und vorhersehbar ist, wäre aus meiner Sicht absolut kontraproduktiv. Eine Serie wie "Death Note" zum Beispiel hätte im schlimmsten Fall wie eine Magical-Girl-Serie konzipiert und strukturiert sein, von wegen, dass Light in jeder Folge einen Namen in sein Büchlein schreibt und L das verhindern möchte. Doch darauf lief es nicht hinaus, auch wenn ich das zum Beispiel im Falle dieser Serie vorher vermutete, weil man durch sich ständig wiederholende Konzepte bereits Vorbehalte und Erwartungen entwickelt hat. Und leider ist es heutzutage so, dass ein erfolgreiches Konzept im übertragenen Sinne auf andere Serien angewandt wird. Zum Beispiel funktionieren nach meiner groben Schätzung mindestens 90% aller Magical Girl-Serien nach ein und dem selben immer wiederzuerkennenden Schema, unabhängig von der Grundprämisse. Womit wir zum nächsten Punkt kommen:
2) Die Grundprämisse
Ist jemandem von Euch schon mal aufgefallen, wie viele Geschichten mit der selben Grundprämisse (also Vorraussetzung) beginnen und letztendlich einen ähnlichen Handlungsverlauf oder immer wiederkehrende Gemeinsamkeiten vorweisen können? Wie viele Geschichten laufen darauf hinaus, dass der Hauptdarsteller ein Waisenkind ist? Wieviele Geschichten beginnen damit, dass der Hauptdarsteller anfangs bei seinen Eltern oder Vormund lebt und dieser bereits kurz nach Beginn getötet wird und das Element der Resignation und daraus erfolgendem Ergebnis, ein Rachegefühl entsteht? Was will ich damit sagen? Ich stelle fest, dass bei mir mehr Interesse an einem Anime besteht, wenn ich den ersten Punkt "Abwechslung" bereits in den ersten Minuten durch eine Grundprämisse erkenne, die ich eben nicht erkenne! Sobald ich nach wenigen Minuten das Gefühl habe "Das ist neu! Das habe ich so noch nicht gesehen! -> mal sehen was jetzt kommt!", dann haben die ersten beiden Qualitätskriterien bislang Fuß gefasst. Aber nun kommt nämlich einer der Knackpunkte, an dem es leider oft scheitern kann...
3) Überraschungsmomente
Manchmal ist es so, dass unsere Erfahrung mit Geschichten uns eine Vorannahme geben, in welche Richtung sich ein Anime entwickeln wird. Nicht wenige Anime leben von Geheimnissen um die ein immer größeres Netzwerk gesponnen wird. Bei einigen davon bekommt man das Gefühl "Hey, die wissen doch selber nicht, wo die Geschichte hingehen soll"...und dann bestätigt sich das ganze, indem man dem Zuschauer keine Antworten liefert und ihn mit einem offenen Ende zurücklässt. Man kann aus der Not eine Tugend machen und behaupten, dass dann noch "Raum zum Interpretieren" übrig bleibt. Ich will auch nicht behaupten, dass es keine Anime gibt, die nach diesem Muster funktionieren können...aber ich bin mir sicher in den meisten Fällen steckt mangelnde Einfallslosigkeit dahinter.
Und dann gibt es aber auch Anime, in denen man wirklich noch überrascht wird. Ich denke, die Produzenten sind gut, wenn sie sich auf die Ebene des Zuschauers bewegen und überlegen "Was erwartet er jetzt? Aha, er wird Schema ABC erwarten, aber JETZT ERST RECHT bringen wir das genaue Gegenteil und bieten ihm XYZ". Sofern die Idee in sich schlüssig ist und keine Lücken aufweist, eine wunderbare Idee um Überraschungseffekte zu erzeugen.
Aber ein Überraschungseffekt kann vor allem nur von den Charakteren und ihren Verhaltensweisen leben. Und die Verhaltensweisen von Charakteren sind wichtig für mein nächstes Qualitätskriterium....
4) Schwarz? Weiss? Schwarzweiss? Oder doch lieber Grau?
Es gibt aus meiner Sicht vier Arten von Charakter-Dominanz in Anime. Es gibt immer eine bestimmte Richtung, in die die meisten Charaktere pro Anime tendieren.
- Die erste und klassischste Sorte wäre das einfache Schwarz/Weiss-Muster. Gut kämpft gegen Böse. Und Gut gewinnt am Ende auch, egal wie düster es noch aussehen mag!
- Die zweite wäre einfach nur weiss. Alle sind fröhlich, alle sind heiter, eine Bedrohung ist wenn überhaupt nur sekundär, wenn nicht tertiär erkennbar, aber um eine Bedrohung geht es auch gar nicht.
- Die dritte wäre schwarz. Alles Scheisse, alles Mist. Depression. Eventuell Weltuntergang? Die Bösen sind am Gewinnen und werden es auch. Es geht weniger um Unterhaltung sondern um das Was-wäre-Wenn...aber Schwarz kann natürlich auch bezogen sein auf Anti-Helden, wie Gokudo-kun aus der gleichnamigen Serie, die einen unkonventionellen Weg einschlagen, als es der weisse Charaktertypus tun würde.
- Tja und die vierte wäre grau. Gut und Böse sind nicht klar definierbar oder aber es werden zwischendurch (sehr beliebt) die Seiten gewechselt und Gute werden zu Bösen und Böse werden zu Guten. Aber grau kann auch heissen, dass niemand perfekt ist. Dass jeder in besagtem Anime differenziert dargestellt wird und man mehrere Seiten der meisten Charaktere geboten bekommt. Satoshi Kon oder Naoki Urasawa spicken ihre Anime und Manga regelmäßig mit interessant strukturierten Charakterstudien.
Was will ich damit sagen? Ich denke, dass die Charakterdominanz nicht entscheidend ist für die Qualität aber zumindest richtungsweisend. Es gibt in jedem Anime unabhängig von der Charakterdominanz gute, wie auch schlechte Vertreter. Ich drösele das einfach so für mich auf.
5) Fazit
Ich erhebe keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Generalismus meiner persönlichen Qualitätskriterien. Ich habe sie genannt, weil danach gefragt wurde.