Inwiefern sollen Weltereignisse beeinflussen, ob ich mich als Mensch sehe?
Keine Ahnung, inwiefern haben Kopernikus, Freud und Marx das verändert, was du Mensch nennst?
Man könnte (kann?) Gurkenzellen bestimmt synthetisch herstellen und zu einer Gurke formen und diese wohlmöglich auch Gurke nennen.
Selbstverständlich.
Ein menschliches Bewusstsein könnte aber etwas komplizierter sein.
Bewusstsein ist ja nochmal eine gänzlich andere Diskussion. Wie und warum Bewusstsein emergiert, was genau es ist - das führt hier zu weit.
Was aber keine Zukunftsmusik ist, ist die Tatsache, dass du mit mir hier innerhalb dieser virtuellen Räume kommunizierst. Wo wir uns unterscheiden, ist, dass ich diese technologischen Erweiterungen nicht vom Menschsein abkoppeln möchte, sondern sie als Elemente eines Ganzen betrachte, die gemeinsam das ausmachen, was hier Mensch genannt wird. Ich bleibe bei meinen greifbaren Beispielen: Bei einer künstlichen Herzklappe, Brille, Insulinpumpe, Rollstuhl, Prothese funktioniert der Essenzbegriff noch, da dann schlicht ausgeklammert wird, was hier eigentlich geschieht. Nach dem Prinzip "Es ist noch mehr natürlicher Leib als künstlicher Eingriff vorhanden" kann dann gesagt werden: Ja gut, das ist ein Leib, der hat zwar eine Prothese, Herzklappe und Brille, aber er ist zu 95% "natürlicher" Leib. Was aber, wenn wir diesen Anteil - nur hypothetisch, und darum geht es in der Argumentation - hochschrauben? Was sagt uns das grundsätzlich über das Wesen des Menschseins, über Kategorien und Begriffe?
Folglich wäre alles andere anzunehmen, als das im hier und jetzt biologische Frauen und Männer existieren, aus meiner Sicht reine Spinnerei.
Es existieren Männer und Frauen, aber nicht absolut. Versuch einfach, für meine Perspektive das Sein nicht als etwas fixiertes und autonom existentes zu betrachten, sondern als relationales dynamisches Werden, ähnlich wie Wörter bei De Saussures Semiotik immer relativ zu anderen Wörtern und sich in ihrer Bedeutung verändernd begriffen werden müssen. So wie sich Gene über die Evolution verändern, mutieren, sogar durch Strahlung ihren Code innerhalb der Lebzeit verändern können, sind zwar "Mann und Frau" biologisch im Moment für uns definierbare Phänomene, wenn man so will, aber sie sind nicht "natürlich" und dadurch statisch und fixiert, noch sind sie unveränderlich. Auch wenn wir die Technologie noch nicht besitzen, spielt das für den Gedankengang keine Rolle: Ob Chromosome oder Geschlechtsteile - nichts ist statisch. Und wenn alles prozessual ist, dynamisch, adaptiv, wie es die Evolutionstheorie immerhin vertritt, abhängig von der Umwelt und ihren Faktoren, Anpassung stattfindet, stetige Veränderung, dann sind auch Geschlechter nicht statisch, sondern fluide. Klar kannst du versuchen, sie über sprachliche Repräsentationen dingfest zu machen, aber wozu?
Elefanten verlieren ihre Stoßzähne in bestimmten Gebieten, da dort aufgrund von Bürgerkriege vermehrt Jagd auf sie gemacht wurde. Neuere Elefantengenerationen besitzen aus Anpassung daher keine mehr. Wo sind Stoßzähne weniger integral, natürlich, fixiert als Geschlecht?
Und zum Thema Diskurs / Materie: Habitustheorien beschreiben seit jeher, wie Diskurs auf Materie einwirkt. Judith Butler beschreibt, wie Geschlecht, auch in seiner körperlichen Materialisierung, performativ ist, d.h. über sich über ein stetiges Tun in die Welt bringt. Würden wir Dinge anders tun, eingreifen, verändern, unseren Habitus wechseln, wären die angeblich so prädeterminierten Körper vermutlich völlig andere.
Alles worum es hier geht, ist anzuerkennen, dass Geschlecht nicht fixiert, absolut, statisch und autonom ist, weil nichts im Universum das ist. Und wenn das gelingt, dann hindert nichts, absolut nichts daran, die Grenze "biologisch/sozial Mann/Frau" aufzulösen, da sie nicht existiert. Was es gibt, sind aktuelle Zustände, Phänomene, Ereignisse. Wir können diese Ereignisse beeinflussen.