Liebes Tagebuch,
Wir...und ich... haben tonguecat aufgehängt. Ich dachte immer, ich hätte mich an den Anblick längst gewöhnt; An die kraftvollen, gelenkigen Glieder eines Hasen in der Blüte seines Lebens, die so schlaff am Körper herunterhängen, als wären sie nicht mehr wirklich Teil von ihm. An am Morgen noch so sorgfältig gebürstete, glänzende Felle - Abends lediert und zerzaust; Verschwitzt von den Anstrengungen und dem Entsetzen einer Verurteilung - und den vergeblichen Versuchen einer solchen zu entgehen. An wache Augen und von Schalk, Spässen und Heiterkeit gezeichnete Mienen - durch den Strick um den Hals schlagartig verzaubert in Fratzen voll giftigen Wutes und ungläubiger Enttäuschung. Ja, ich dachte immer, ich hätte mich an solche Anblicke gewöhnt... und das hab ich auch!
Trotzdem hängt das Bild mir im Kopf nach, während ich hier am Schreibtisch sitze und mir die müden Augen reibe. Vielleicht liegt das Jucken darin an dem dünnen Kerzenstummel neben mir (denn Lampenöl ist teuer...) dessen Schein mir nur wenig Licht spendet. Vielleicht auch an dem Versuch mich durch die dutzenden Folianten zu arbeiten, die ich mir aus Bibliothek und Archiv auslieh, und in denen ich nun seit Stunden und Tagen nach Antworten suche.
In diesen Wälzern sind die Ereignisse von Äonen aufbewahrt, doch vieles ist durcheinander, und es ist schwer, Geschichte von Legende zu unterscheiden, Faktenvon Fiktionen. Und manchmal, wenn ich zwischendurch den Blick hebe und ihn wandern lasse um meine Augen etwas auszuruhen, dann scheinen sich die tanzenden Schatten, die das Kerzenlicht um mich herum an meine Zimmerwände wirft plötzlich in allerlei seltsame, bedrohliche Kreaturen zu verwandeln. Und ich werde mir unsicher, ob ich Wahrheit und Einbildung denn mittlerweile überhaupt noch unterscheiden kann. Hier,vor meinen Augen, in meinem Zimmer; Und in Seiten voller Worte vor mir.
Und was ist mit der Gegenwart? Mit Sicherheit liegen auch in ihr Geheimnisse verborgen, doch Wo liegen sie? Denn ich erzähl dir was: Vorhin, während ich mich zurücklehnte um einen Schluck verdünnten Möhrenschnapses(Möhrenschnaps ist auch teuer...) zu trinken und meinen Rücken zu entspannen wanderten meine Gedanken den Weg von hier zurück zum Galgen.
So schnell, wie wir uns auf der Anhöhe versammelten verstreuten wir uns wieder, seltsam genug, für sich schon. Ich kreuzte den Weg danach nur mit der Assistentin des Sheriffs, die eine Flinte geschultert hatte, und es sah nicht danach aus, als wollte sie damit auf Geisterjagd gehen. Ausserdem gibt es auch kaum einen Grund dazu, denn wie es sich nach all der Verwunderung herausstellte war Dinah selbst es, die den Wolfsalarm schlug. "Warum?" Darauf gab sie mir keine verständliche Antwort... wobei, sie meine Gegenwart generell immer irgendwie wortkarg macht.
Und Katsu bemerkte ich auf dem Heimweg; Sie stand nur da, einen Steinwurf von mir entfernt und kritzelte offenbar etwas in ein kleines Büchlein. So reglos und konzentriert in ihrer Körperspannung stand sie da, dass ihr Umhang, der plötzlich von einer kleinen Böe bewegt wirkte, als wäre er an einer Statue befestigt. Sie hielt den Kopf gesenkt und ihr etwas zu grosser Lederhut (der mich von der Machart her immer etwas an den des Sheriffs erinnert!) verbarg ihren Blick im Schatten - dann aber hielt sie einen Moment lang mit dem Schreiben inne, ohne aber den Kopf zu heben. Man könnte meinen, sie hätte nur eine Sekunde lang nachdenken müssen - aber ich kenne ihre Art! Ich bin mir sehr sicher, dass sie mich in diesem Moment genau beobachtete.
Aber macht sie das zum Wolf? Nur weil sie in ihrer Aufmachung immer etwas unnahbar, mysteriös und gefährlich scheint? (Unter uns beiden! - Ich habe letze Woche nicht schlecht gestaunt, als Katsu doch tatsächlich irgendwie Interesse an einer meiner Versicherungen hatte? Wurde Katsu vielleicht doch nicht einfach aus Teilen alter Maschinen und Knochen aus in der Prärie verhungerten Hasencowboys zusammengeschraubt? Hat sie vielleicht tatsächlich sowas wie Verwandte, Freunde - und ein Herz?)
Verzeih mir, ich schweife ab. Die Frage war, ob etwas, dass gefährlich aussieht auch gefährlich ist? Oder liegt das Geheimnis darin, dass man umso gefährlicher sein kann, je harmloser man aussieht? Was meinst du?
...
Du hast Recht, mich in Grübeleien zu verlieren hilft weder jemandem, noch bewahrt es mich selbst vor unliebsamem Besuch. Ich gehe mir etwas die Beine vertreten, vielleicht komme ich auf andere Gedanken. Ich könnte dabei auch die alte Mascha besuchen und mir die Zukunft vorhersagen lassen - und je nach Ausgang mit ihr darüber verhandeln wann ich ihr endlich die Miete für dieses Büro vorbeibringe... ;)
Wünsch mir Glück, liebes Tagebuch!