Klippensegler
Spring! Und lass die hohen Klippen dieser Welten hinter dir,
Die zerklüftet Schatten zeichnen und verborg’ne Linien zieh’n.
Breite deine Flügel aus und schwebe so weit weg von hier,
Gleite auf den hohen Winden, die der Dunkelheit entflieh’n,
Warmer Wind wird dich begleiten, trägt dich in die Einsamkeit,
Die von gold’nen Sonnenstrahlen wundersam geflutet wird.
Tanze auf den Wolkenschuh’n im cyanfarb’nen Himmelskleid,
Über allen Ätherhöh’n, auf denen dir kein Leid passiert.
Schließe deine beiden Augen, trau’ dem freien Flug der Welt,
Der dich über allen Gründen niemals einmal wanken lässt.
Scheint es auch, dass manches Mal die Luft scharf bis zum Abgrund fällt,
Reicht für dich ein Flügelschlag und trägt dich fort vom Felsennest.
Manches Blitzen dort im Stein, ein Augenfunkeln, das dich jagt,
Legt sich kalt an deine Brust und schüttelt dich, ein Hauch von Eis,
Lässt dein Herz zum Halse schlagen, ist es, was dich grausam plagt,
Rot wie ein Dämonenblick und schlimmer noch: ein menschlich’ Weiß.
Dünne Lederhaut greift gierend nach dem hellen Federflug,
Blanke Krallen kratzen kreischend, wütend auf dem dunklen Stein.
Flieg im Sich’ren! Bleibe fern der Niedertracht und ihrem Trug,
Blicke nicht hinab und schaue niemals in den Grund hinein!
Denn dort unten lauern Lügen, lauern Hass und Eitelkeit,
In den steinernen Verliesen einer wohlversteckten Welt.
Unverhohlen prangern dort Verrat, Intrigen, alles Leid
In der bitt’ren Seelenlandschaft, die dort jeder in sich hält.
Gleich dem Klippensegler schwebe, ruhe nur auf dem Geäst,
Das sich über allen Schluchten trostlos in den Himmel reckt.
Traue nicht dem kalten Blick, der dich so kalt erfrieren lässt,
Der all’ deine Ängste riecht, die Hoffnung spürt, die Schwächen schmeckt.
Doch hast du dich schon verloren in der Neugier, die dich trieb,
Wolltest du die Schatten sehen, die in Schluchten dicht gedrängt,
Die in Klippen düster stehen, wie ein nachtverliebter Dieb,
Über dem mit kalten Klauen schon das letzte Schicksal hängt?
Pass nur auf, dass deine Seele in der Kälte nicht zerreißt!
Bete nur, dass deine Schwingen niemand dort im Grund zerfetzt!
Fliegen wirst du niemals mehr, wenn sich der Schatten fest verbeißt,
Wenn sich alles, alles Böse tief in deinem Herz vernetzt.
Dann bist du im Nichts verloren, lebst verdorben ohne Zeit,
Bist geschlungen in die Fessel, die dein Innerstes zerdrückt.
Glaub mir, es wird niemand kommen, der dich von dir selbst befreit,
Der die Wände deines Abgrunds weiter auseinander rückt.