Ich will nicht! Ich will nicht so sein wie sie! Ich will nicht verglichen werden mit diesen ach so perfekten Lebewesen auf diesem Planeten. Ich will nicht das Resultat einer einheitlichen Schablone sein, die jedem einzelnen hier als Messlatte dienen soll für das, was richtig oder falsch ist. Ich will nicht! Und ich bin auch nicht so. Ich bin nicht wie die anderen
Rückblick: Zwei Wochen zuvor//Vorsterben:
Mein schmerzender Nacken zog mich so langsam in die echte Welt zurück und die kühle Realität sickerte allmählich in meinen Kopf. Ich lag hier. Ich lag in meinem Bett. Am völlig falschen Platz. Und das schon viel zu lange Ich lag noch immer unter unzähligen Kissen begraben, um nur keinen Lichtstrahl zuviel in meine Augen lassen zu müssen. Das Licht tut mir weh. Die strahlende Sonne verletzt mein Gemüt. Und der Straßenlärm der durch die Fenster dröhnt… er dringt nicht einmal mehr wirklich zu mir durch. Da draußen tobt das Leben. Jeden morgen quälen sich unzählige Menschen aus ihren Betten. Wie kleine Ameisen. Alle strömen sie aus ihrem Bau um fleißig irgendwem zu dienen. Sie alle haben eine Aufgabe… irgendetwas in ihrem Leben das sie als ihre Bestimmung bezeichnen können. Wie das wohl ist? Wie fühlt es sich wohl an wirklich gebraucht zu werden? Was muss das für ein Gefühl sein gerne für etwas zu leben? Ich erinnere mich nicht.
In meinem Inneren hatte sich ein Gefühl von Leere breit gemacht. Meine Freunde waren alle beschäftigt. Niemand hier. Nur ich alleine. Jana hatte selbst genug mit sich zu tun. Sie war immerzu am ringen, immerzu Geldnöte. Von ihr konnte ich nicht erwarten, dass sie meinem bitterkaltem Herzen wieder Wärme einflößt. Ich wollte nicht so egoistisch sein und sie für mich benutzen, wenn sie selbst kaum Luft für sich selbst hatte. Mina war ebenfalls viel zu beschäftigt. Alles was für sie von Bedeutung war, war ihre Schule. Abgesehen davon verstanden wir uns im letzten Jahr immer schlechter. Kurz nachdem sie ihren Freund hatte, war sie für mich wie vom Erdboden verschluckt. Ich erreichte sie nicht mehr und Zeit hatte sie für mich sowieso keine. Die Beziehung mit ihrem Freund hielt nicht lange. Aber seit diese Sache gelaufen war, war alles was wir konnten nur noch ein Wortgefecht. Von ihr konnte ich genauso wenig erwarten, dass sie mich auffängt. Für sie war ich nicht wichtig. Was uns einst verbunden hatte, existierte nicht mehr. Und Cat… naja, Cat war zwar hier, aber sie schaffte es im richtigen Augenblick bestehende Wunden erst richtig aufzureißen. Im Endeffekt stand ich also ziemlich alleine hier. Mein liebster Freund war mein Zimmer geworden. Anfangs, als meine Eltern und ich in dieses Haus gezogen waren, hasste ich es. Ich hasste es wegen seiner Dunkelheit. Ich hasste es, weil kein Licht fähig war dieser Dunkelheit ein wenig Licht zu schenken. Aber es war alles was mir geblieben war. Hier konnte ich mich verkriechen. Niemand zwang mich zu reden wenn ich es nicht wollte. Und ich fühlte mich, als wenn ich selbst ein Stück dieser Dunkelheit war, die einfach nicht aus diesem Zimmer wich. Ja, das war es. Während alle anderen wie bunte Farbflecken waren, umringt von Licht und Schönheit, so war ich doch nur eine Schattenexistenz. Und ich brauchte kein Licht.
Lustlos befreite ich mich aus den Kissenfluten die schützend über mir lagen. Es war zu spät um sich noch weiter zu verstecken. Und die Szenarien in meinem Kopf wurden nicht besser vom rumliegen. Ich streckte mich und ließ meine Halswirbel knacken. Manchmal half es um die Schmerzen loszuwerden. Aber eben nur manchmal. Ich schlich aus dem Zimmer und musterte den Hund der freundlich schwänzelnd zu meinen Füßen lag. Ich bückte mich und streichelte flüchtig den kräftigen Kopf von Shila, ehe ich über sie hinweg meinen Weg ins Bad fortsetzte. Doch wie üblich, auch der zweite Hund machte sich extra breit auf dem Gangboden. Morgana war sehr gemütlich. Sie blickte mich müde an, registrierte das ich weiter ging und schnaubte entnervt über die Unruhe die ich mit mir trug. Das klicken des Badezimmerschlosses war angenehm. Isolation. Ich liebte sie. Hinter verschlossenen Türen konnte keiner erblicken ob man gerade zufrieden in den Spiegel lächelte, oder ob man sich angewidert wieder abwandte weil man sein Ebenbild einfach nur zum brechen fand. Keine 10 Minuten später verließ ich halbwegs gebändigt das Bad.
Der Tag verging schleppend. Viel zu langsam. Unerfüllt. Nach dem Frühstück verzog sich jeder dort hin wo man am meißten Unterhaltung finden konnte. Mum verschwand in ihr Zimmer, zu ihrem heiß geliebten, aufgetunten Computer. Paps und ich blieben im Wohnzimmer und verbrachten Zeit an unseren Laptops. Und als Nebengeräusch lief der Fernseher. Bis hin zum Abend veränderte sich nichts an dieser Situation. Ich wartete seit Stunden darauf, dass irgendjemand in der virtuellen Welt auftauchte und sich mit mir unterhielt. Irgendjemand. Irgendwer der einfach dazu im Stande war diese Stille in meinem Kopf auszumerzen. Aber da war niemand. Und irgendwann hatte ich genug. Ein paar klicks und der Laptop brauchte keinen Strom mehr. Ich packte mein Handy und steuerte in Richtung Wohnungstür.
„Lucy?“ hörte ich aus dem Wohnzimmer rufen
„Ja Paps?“
„Was machst du denn?“
„Och nichts, ich verschwinde nur ein bisschen in mein Zimmer. Bisschen Musik hörn.“
„Heißt also man sieht wieder lange nichts von dir?“ Ein resignierendes Seufzen gab zu verstehen, dass er nicht all zu begeistert darüber war, dass ich mich schon wieder verdrücken wollte.
„Nein, nein. Keine Panik. So lang mach ich nicht“
Ohne auf eine weitere Antwort zu warten verließ ich die Wohnung meiner Eltern und wanderte hinauf in mein kleines Arial das bei Oma und Opa untergebracht war. Mein Zimmer… meines ganz alleine. Ich öffnete die Tür und tastete nach dem altmodischen kleinen Lichtschalter. Eine Sekunde nach dem Klicken wurde der kleine Raum mit schwachem Licht geflutet. Es reichte gerade mal dazu aus, um das mit Holz verkleidete Zimmer so auszuleuchten, das die nötigsten Dinge zu sehen waren. Hier war alles aus Holz. Bis auf die kleine Ecke in der ein Waschbecken stand. Der kleine Spiegel der darüber hing, hatte schon ein paar blinde Flecken. Ich konnte mir nicht erklären welchen Sinn es machte in einem Schlafzimmer ein Waschbecken zu montieren. Die altweißen Fließen die das Waschbecken umspielten, waren der einzige Fleck an dem Licht wohnen konnte. Alles andere war notorisch von Schatten verseucht. Ganz gleich wie viele Lampen man hier auch installierte, ganz gleich wie viele bunten Flecke man auch an die Wände klatschte… es gab nichts, wirklich überhaupt nichts, was diesem Raum auch nur einen Hauch von Freundlichkeit verleihen konnte.