Kapitel 2 – „Reise nach Drugne“
Nachdem das Schiff sich in Bewegung gesetzt hatte, winkte Alba Samira erneut zu sich. Noch eine Standpauke?
Die Kommandantin verschränkte die Arme: „Ich werde ein besonderes Augenmerk auf dich legen.“
War ja klar…
„Wie aufmerksam von Ihnen, Kommandantin.“, Samira verdrehte die Augen, „Machen Sie sich Sorgen, dass ich ihnen den Rang ablaufe?“
Albas sah verachtend auf sie hinab: „Ich werde nicht zulassen, dass jemand wie du die Unternehmung durch waghalsige Aktionen gefährdet. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
Samira ließ das kalt. „Was wissen Sie schon von mir.“, sagte sie genervt und schulterte ihren Seesack.
„Mehr als du denkst. Indari hat dir vielleicht vergeben, Ich jedoch nicht.“
Samira blieb stehen: „Was haben Sie mit Kommandantin Indari zu tun?“
„Wir waren Kameradinnen.“, sagte Alba. Ihre knurrende Stimme klang nun seltsam hohl und ihr Gesicht nahm einen merkwürdig-verletzten Ausdruck an, der gar nicht zu der eisernen Soldatin zu passen schien.
Samira schwieg. Deswegen also…
Sie schloss die Augen, als die Erinnerung an den Tag, an dem sie ihr Auge verlor, sie wie ein Schlag traf.
Sie konnte das Donnern der Explosion noch immer hören, den Staub und das Blut riechen, als sie kopfüber ins Chaos stürzte. Ihr Körper war taub vor Adrenalin, als sie Indari in ihren Armen hielt und spürte, wie ihre Welt zerbrach. Sie hätte bei ihrer Truppe bleiben sollen. Wäre sie nur bei Indari geblieben... Als ihr Blick auf Indaris leere Beine fiel, wusste sie, dass sie Indaris Leben zerstören würde, wenn sie sie rettete. Noxus hatte keine Verwendung für verkrüppelte Soldaten. Sie wurden zwar als Kriegsveteranen gefeiert, doch was nütze das, wenn man nicht mehr gebraucht wurde?
"Lass mich zurück.", befahl die Kommandantin. Doch Samira konnte nicht anders. Kommandantin Indari war wie eine Mutter für sie!
Als sie nach Noxus zurückkehrten, wurde ihre Einheit aufgelöst und Indari in den Veteranenruhestand versetzt. Ohne Indaris Schutz und Unterstützung wäre sie verloren gewesen, das wusste Samira. Darum kehrte sie zunächst in ihre Heimat nach Shurima zurück.
Sie hatte alles verloren, was sie hatte – bis auf den Nervenkitzel und die Gefahr, die sie am Leben hielt.
In ihrer Heimat angekommen, hatte sie gespürt, dass sie nicht mehr dazugehörte. Sie war nicht mehr dieselbe Person wie vorher. Sie hatte eine Schwäche, eine Narbe, die sie daran erinnerte, dass sie versagt hatte. Sie konnte dieses langweilige, einfache Leben nicht mehr ertragen. Und vor allem hatte sie wieder dieses Gefühl der Angst und Schwäche verspürt, ein Gefühl, das sie doch ohnehin aus ihrem Leben verbannen wollte! Sie musste zurück nach Noxus. Um jeden Preis. Der Kampf war ihr Leben.
Und als sie Indari traf, wusste sie, dass sie endlich wieder zu Hause war. Ihre ehemalige Kommandantin verstand sie auf eine Art und Weise, die niemand sonst verstehen konnte. Samira war bereit, jedes Risiko einzugehen, um wieder in den Krieg zu ziehen. Die lukrativen Söldneraufträge waren nur ein Bonus. Auch wenn Indari ihr keinerlei Feldunterstützung gewährte, war Samira zufrieden – zumindest bis jetzt.
Die Aufträge wurden mittlerweile an Truppen mit vielen Kriegern verteilt, seit der schwarze Nebel aufgetaucht war. Sollte jemand von dieser dunklen Macht besessen sein, so lautete der Befehl, diese Person unverzüglich unschädlich zu machen. Doch das war nicht leicht. Samira hatte selbst erlebt, wie Darius, die Hand von Noxus, ein großer General und der regimetreuste Soldat den sie je getroffen hatte, vom schwarzen Nebel kontrolliert wurde. Er war nicht mehr er selbst und versuchte seine eigenen Kameraden abzuschlachten. Sie hatte gegen ihn gekämpft, bis sich der Nebel aus irgendeinem Grund verzogen hatte. Eine solche Macht hatte sie noch nie erlebt.
Als Kind hatte sie immer Geschichten vom schwarzen Nebel gehört. Sie erinnerte sich, wie ihre Mutter sie auf den Schoß nahm, ihr durchs Haar strich und mit sanfter Stimme zu erzählen begann:
"Es heißt, dort wo heute die Schatteninseln liegen, war einst ein blühender Ort des Wissens, der Magie und des Wohlstands. Die Menschen lebten geschützt durch den weißen Nebel, der die Inseln vor unerwünschten Besuchern verbarg, isoliert vom Rest der Welt. Dieser Ort war als die gesegneten Inseln bekannt und in ihrem Zentrum lag die Stadt Helia.
Zur selben Zeit kam ein junger König in ihrem Nachbarland Camavor an die Macht. Doch statt angemessen zu regieren, widmete er sein gesamtes Leben der Frau die er liebte. Seine Königin Isolde war alles für ihn. Er machte ihr viele Geschenke und tat alles, was sie verlangte. Königin Isolde selbst war nur eine einfache Näherin ohne adelige Abstammung und sie setzte sich sehr für das einfache Volk ein. Viele liebten sie, den König miteingeschlossen. So machte er sich jedoch viele Feinde und war blind für die Gefahr, in die er sich begab. Attentäter wurden geschickt und der vergiftete Dolch, der für ihn bestimmt war, verfehlte sein eigentliches Ziel und traf seine geliebte Königin.
Er tat alles, was möglich war, um ein Heilmittel zu finden. Sämtliche Schätze des Königreiches verkaufte er, nur um die Heiler und Scharlatane zu bezahlen, in der Hoffnung ein Gegengift zu finden. Doch es war zu spät. Als sie starb, schloss er sich tagelang mit ihr ein, dem Wahnsinn nahe. Er wollte ihren Tod nicht wahrhaben und richtete jeden hin, der ihn von der Wahrheit zu überzeugen versuchte.
Eines Tages hörte er von den gesegneten Inseln und den allheilenden Wassern, die dort verborgen seien. Mit seiner großen Armee fiel er brutal in das Land ein, streckte alle nieder, die ihm im Weg standen, und verschaffte sich schließlich gewaltsam Zutritt zum inneren Heiligtum, wo er seine Frau in das gesegnete Wasser tauchte. Er wollte sie wiederhaben und nahm dafür jegliche Zerstörung in Kauf. Der Preis, den er dafür bezahlen musste, spielte keine Rolle.
Und für einen kurzen Augenblick lang kehrte sie auch zu ihm zurück.
Sie erhob sich als schrecklicher Geist aus Finsternis und Zorn, und in ihrem Schmerz, ihrer Verwirrung und ihrer Wut darüber, dass man sie aus ihrem Totenschlaf gerissen hatte, rammte sie dem König seine eigene verzauberte Klinge mitten durchs Herz. Die Magie des Wassers und des uralten Schwertes stießen aufeinander und ließen die Energie der Kammer explodieren. Sie fegte über die Insel und verwandelte alle Lebewesen in gequälte Untote, die sich ihrer Lage schmerzlich bewusst waren. Der heilige weiße Nebel wurde schwarz und die reinigende Magie wurde zu einer finsteren Macht, die nach der Energie und den Seelen der Lebenden giert."
Bis zu jenem Tag, hatte Samira das nur für ein Ammenmärchen gehalten.
Erst als sie gegen Darius kämpfen musste, wurde ihr klar, dass es wahr ist. Er schien sie nicht einmal mehr erkannt zu haben. Wenn selbst so gewissenhafte Soldaten einfach so kontrolliert werden konnten – welche Chance hatten dann Söldner wie sie? Kein Wunder also, dass die Noxianer keine Alleingänge mehr duldeten. Es war wichtig, seine Kameraden töten zu können, wenn die Verluste zu groß würden. Aber war es das wert? Sie stellte sich Kommandantin Indari vom Nebel besessen vor, wahnsinnig darauf sie zu töten. Könnte sie ihre Lehrmeisterin umbringen?
Sie riss sich aus ihren Gedanken und wandte sich um, damit sie Alba eine Antwort ins Gesicht schmettern konnte – doch diese war bereits verschwunden.
Sie biss sich auf die Lippe, blickte sich um und versuchte die Lage an Bord zu analysieren. Der Rest ihrer Truppe war bereits in den dunklen Korridoren des Schiffsbauchs verschwunden, nur die Crew des Schiffes arbeitete vor sich hin. Die Luft war schwer, roch metallisch und salzig und die anderen Matrosen wirkten angespannt. Sie wechselten nervöse Blicke. Hatten sie noch nie Söldner transportiert? Das war möglich, wenn auch unwahrscheinlich. Noxus hatte viele Truppenschiffe, selbst welche, die für Flüsse gedacht waren. Warum sollten sie ein Handelsschiff dafür verwenden? Es sei denn… „…sie wollen keine Aufmerksamkeit erregen…“, flüsterte Samira.
Das ergab Sinn. Das Erz aus den Eisenstachelbergen war eine wichtige Ressource für Noxus. Die meisten Rüstungen der Elitesoldaten wurden daraus geschmiedet und waren widerstandsfähiger als alles andere. Aber wovor waren sie auf der Hut? Niemand der noch bei Sinnen war, würde den Zorn des noxianischen Oberkommandos auf sich ziehen wollen.
Ihr Gedankengang wurde von einem lauten Geräusch unterbrochen. „Also echt Flint! Kannst du nicht mal aufpassen?“
Samira entdeckte einen jungen Matrosen mit einem Mondgesicht und jeder Menge Sommersprossen. Sein Gesicht nahm dieselbe Farbe an, wie sein feuerrotes Haar. Er lag auf dem Boden, um ihn herum einige Kisten, deren Inhalt auf dem Boden verstreut war. „Ver-verzeihung!“
Unbeholfen und mit zitternden Händen sortierte er die Gegenstände wieder ein. Als er jedoch Samira erblickte, die in der Tür lehnte, ließ er die Flasche, die er gerade in der Hand hielt, fallen. Sie platzte auf und eine klebrige und stinkende Flüssigkeit ergoss sich über den Stahlboden. „Oh nein!“
Einer seiner Kameraden stöhnte auf und ein anderer meinte abschätzig: „Hey, vielleicht sollten wir ihn in Watte packen und in seiner Schlafkabine liegen lassen. Dann macht er uns weniger Probleme.“
Ihr Lachen wurde unterbrochen, als der Kapitän neben Samira auftauchte. Er war ein respekteinflößender Mann mit bereits ergrauten Haaren, stahlblauen Augen und wettergegerbten Gesicht. Er schaute grimmig zu den Matrosen und Samira beschloss, dass es besser sei zu gehen, bevor die Luft vor Anspannung explodierte.
Sie kannte sich bereits mit dem Aufbau der meisten noxianischen Schiffe aus und fand sofort den Gang, der zu den Schlafkabinen führte. Sie waren für jeweils zwei Personen ausgelegt, das bedeutete, dass sie sich ihre wohl mit irgendjemandem teilen musste. Aber das war ihr egal. Sie schmiss ihren Seesack in eine Ecke und legte sich auf eines der Betten, die in der Wand verschraubt waren und ließ den Blick durch den Raum schweifen.
Die Kabine war eng und stickig, aber Samira war es gewohnt, auf engstem Raum zu leben. Es war Teil des Söldnerlebens. Sie hatte ihre Sachen bereits auf dem schmalen Bett ausgebreitet und sich auf eine grob gewebte Decke gesetzt, als Rosie hereinkam.
„Hallo Mitbewohnerin!“, trällerte sie und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.
Samira konnte nicht umhin, zu grinsen. Rosie hatte eine wahnsinnig positive Ausstrahlung und die Energie, die sie umgab, war belebend.
Die Soldatin war beeindruckend groß, mit einer Statur, die sie über alle anderen auf dem Schiff erheben ließ. Sie hatte den Helm endlich abgenommen und legte die Rüstung ab. Ihr rotes Haar fiel in einem geflochtenen Zopf über ihre Schulter und umrahmte ihr ovales Gesicht. Sie hatte eine schmale Stupsnase und ihre blauen Perlenaugen waren warm und freundlich. Samira konnte jedoch nicht umhin, zu bemerken, dass Rosie ein eher männliches Kinn hatte und ihre Stimme tiefer war als erwartet. Auch die stark definierten Muskeln ließen sie eher wie eine Bodybuilderin, als eine Soldatin erscheinen.
Rosie zog ihre Tasche von der Schulter und legte sie behutsam auf das raue Bett. Samira beobachtete sie dabei, wie sie die Tasche öffnete und einen Schleifstein, ein paar Ersatzklingen und Schmierfett für ihre Stiefel auspackte. Sie schien gut vorbereitet zu sein.
Es war eine seltsame Stille zwischen ihnen, fast so, als ob sie sich gegenseitig einschüchterten. Schließlich drehte sich Samira auf den Bauch und fragte Rosie geradeheraus: „Sag schon. Wieso bist du hier?“
„Hm?“, machte Rosie überrascht. Dann ließ sie ein lautes Lachen ertönen: „Na aus demselben Grund wie du!“
Samira legte den Kopf schief. „Was soll das denn heißen?“
Oh“, wich Rosie aus, „Ich habe ganz vergessen, die Kommandantin zu fragen, wann wir wieder an Land sind!“ Sie entschuldigte sich und eilte davon. Seltsam...
Samira drehte sich wieder auf den Rücken und blieb noch eine Weile wach und dachte über ihre neue Mitstreiterin nach. Trotz ihrer kraftvollen Erscheinung und ihrer Tätigkeit als Söldnerin wirkte Rosie auf Samira ungemein liebenswert und warmherzig. Jemand wie sie hatte nicht den Schneid, um irgendwen umzubringen. Und ihre Reaktion vorhin war auch seltsam gewesen. Sie verbarg etwas und das ließ Samira vorsichtig werden. Nur was? Egal. Es war ohnehin besser, ihr erstmal aus dem Weg zu gehen.
Die nächsten Tage an Bord des Flussschiffs verbrachte Samira größtenteils damit, ihre Waffen und Ausrüstung zu überprüfen und ihre Kampftechniken zu perfektionieren. Sie vermied es, Rosie zu nahe zu kommen und gab sich Mühe, sich nicht allzu abweisend zu zeigen, wenn sie sich doch einmal über den Weg liefen. Schließlich hatte Kommandantin Indari ihr eingebläut, sich mit ihrer Truppe gut zu stellen. Die anderen Mitglieder ihrer Söldnertruppe hatte sie jedoch kaum zu Gesicht bekommen. Wahrscheinlich sparten sie ihre Kräfte, bis sie gebraucht wurden.
Samira war froh, wenn sie endlich das Flussschiff verlassen konnte. Auf dem Schiff wurde sie jedes Mal von Kommandantin Alba abgemahnt, wenn sie etwas Spaß hatte. Egal, ob sie auf der Reling einen Handstand vollführte oder die Matrosen durch einen Sprung von Deck in Angst und Schrecken versetzte, nur um am Bug wieder hinaufzuklettern. Außerdem sehnte sie sich nach frischer Luft und neuen Abenteuern.
Die Zeit verging quälend langsam und endlich, nach drei Tagen, erreichten sie die Stadt Drugne.
Samira war gerade von Board gegangen und sah sich neugierig um.
Drugne war eine kleine Stadt, inmitten der Steppe. Der überschaubare Hafen grenzte an einen breiten Stadtplatz, der auf kargen Boden gebaut worden, und von wenigen kleinen Geschäften umgeben war. Die Häuser waren gedrungen und aus Lehm gebaut, um den aufkommenden Winden zu widerstehen und breite, staubige Straßen verbanden die Stadt mit der Außenwelt. In der Mitte des Platzes war eine verwitterte Anschlagtafel aufgestellt, an der jede Menge Steckbriefe klebten. Ein paar wenige Händler hatten ihre Waren auf Planwagen ausgelegt und begrüßten die Neuankömmlinge mit einem mürrischen Kopfnicken und ein vertrocknetes Grasbüschel rollte vom Wind getrieben umher.
„Auf jedem Friedhof herrscht mehr Stimmung.“, murmelte Samira, woraufhin sie ein lautes, polterndes Lachen vernahm. Rosie war unbemerkt an ihre Seite getreten. Sie trug wieder ihre Axt auf dem Rücken und hatte wieder ihre schwere Rüstung angezogen. Erstaunlich, dass sie sich trotzdem so leise bewegen konnte.
Kommandantin Alba trat nun vor: „Besorgt euch das Nötigste. Heute Abend treffen wir uns am Gasthaus 'Zur heulenden Schlucht' um alles weitere zu besprechen und eine Nacht zu schlafen. Morgen früh“, sie deutete bei diesen Worten in die Ferne, wo man bereits die schemenhaften Umrisse der freljordischen Gebirgskette erkennen konnte, „Ziehen wir weiter nach Freljord. Wenn wir gut vorankommen, sind wir in zwei Tagen bei der Schürferfeste. Wegtreten!“
Die freie Zeit kam Samira sehr gelegen. Sie hatte keine Lust den ganzen Tag bei ihrer Truppe zu kleben, als wäre sie ein Kleinkind in einem Kindergarten. Die Stadt sah zwar nicht besonders einladend aus, aber was soll’s.
Doch Rosie hatte wohl andere Pläne. „Wo wollen wir als erstes hin? Ich war ewig nicht mehr shoppen!“
„Shoppen ist wohl übertrieben...“, sagte eine andere Stimme. Samira sah sich nach dem Sprecher um und erkannte eine junge Frau mit kurzen stacheligen blauen Haaren und seltsamen rötlich-braunen Augen. Sie hatte eine gelangweilt klingende Stimme und hielt ein paar fies aussehende Kunai in der Hand, mit denen sie herumspielte. Diese Waffen hatte Samira nur ein einziges Mal gesehen, bei einem Auftrag in Ionia. Das machte sie stutzig.
Die andere Frau schien ihren Blick zu bemerken: „Was? Nimmst du nie ein paar Souvenirs mit, wenn du deine Aufträge erfüllst?“
„Ich steche mir lieber Tattoos.“, erwiderte Samira und deutete auf eines auf ihrem Arm. Das schien der Soldatin zu gefallen. Ihre dünnen Lippen verbogen sich zu einem Lächeln: „Schätze, wir kennen uns noch nicht. Ich heiße Spinell. Schön, die große Wüstenrose kennenzulernen. Stimmt es, dass du in Drekan mit nur einem Schwerthieb einen Basilisken getötet hast?“
„Es waren zwei.“
„Beeindruckend.“
Spinell klang zwar begeistert, aber vielleicht war es ihr stechender Blick, oder ihre doch leicht hochnäsige Art, die Samira Unbehagen bereitete.
„Kommt ihr beiden!“, rief Rosie. Sie war bereits vor gegangen und wedelte mit der Hand.
Sie sahen einander an, seufzten zeitgleich und folgten Rosie in ein kleines Geschäft.
Kaum, dass sie den Laden betreten hatten, stutzten sie. Spinell sah sich kurz um und schüttelte den Kopf: „Sorry, aber ich bin raus.“, sie klopfte Samira auf die Schulter, „Viel Spaß mit Rosie.“
Dann verschwand sie. Samira konnte es ihr nicht verübeln. Rosie hatte sie in ein Spielzeugwarengeschäft gelockt.
„Was wollen wir hier? Sag bloß, du brauchst noch ein Kuscheltier zum Schlafen.“, sagte Samira und hob abschätzig eine grob gemachte Puppe mit zwei Fingern an ihren Fadenlocken hoch.
„Hast du keines?“, sagte Rosie überrascht, während sie vor einem Regal mit pinken Stoffhasen stand.
„Ich finde sie kindisch.“, erwiderte Samira. Doch der eigentliche Grund war ein anderer. Bei dem Angriff auf ihre Heimat hatten sie überstürzt fliehen müssen. Samira hatte all ihre Spielsachen dort gelassen und für etwas Neues hatte das Geld gefehlt. Während sie die kleine Stoffpuppe betrachtete, kam ihr zum ersten Mal in den Sinn, dass der Angriff sie nicht nur ihrer Heimat, sondern auch ihrer Kindheit beraubt hatte. Sie ließ die kleine Puppe fallen, als wäre sie eine Klapperschlange und wandte schnell den Blick ab.
„Nicht so der Puppentyp, was?“, lachte Rosie.
„Ich sagte doch, ich brauche sowas nicht. Keine Soldatin braucht sowas.“, sagte Samira genervt und verfluchte sich innerlich, weil sie gerade sehr wie Kommandantin Alba geklungen hatte.
Rosie wurde rot und in diesem Moment glich sie einem gewissen Matrosen aufs Haar. Das weckte Samiras Neugier: „Sag mal, bist du mit diesem einen Matrosen verwandt? Flint oder so?“
„Ja! Woher weißt du das?“, Rosie hatte ein Plüschtier von einem der Regale in die Hand genommen und hielt es sich schnell so vor das Gesicht, dass Samira die Röte nicht mehr erkennen konnte.
Irritiert auf den Stoffhasen starrend, schüttelte Samira den Kopf und erklärte: „Naja ihr seht euch ziemlich ähnlich. Ist er dein Bruder oder so?“
„Mein Cousin. Er ist der Grund, wieso ich hier bin.“, sagte Rosie und wedelte dabei so mit dem Hasen herum, dass es aussah, als würde Samira mit dem Hasen sprechen, statt mit ihr.
„Kannst du das lassen?“, fragte Samira genervt und deutete auf das Plüschtier.
„Entschuldige.“, kicherte Rosie und legte den Hasen weg, „Ich habe wohl zu viel mit den Kindern gespielt. Da wird man das nicht so schnell los.“
„Kinder?“ Was in aller Welt...?
„Ja! Die Kleinen sind so goldig. Weißt du, ich habe vorher im Waisenhaus gearbeitet. Aber als Flint mir erzählte, dass er sich für diese Reise gemeldet hat, konnte ich nicht anders, als ihn zu begleiten. Ich habe gehört, dass es in letzter Zeit vermehrt Angriffe auf Flussschiffe gegeben hat.“
„Also bist du gar keine Soldatin?“, hakte Samira fassungslos nach.
„Nnnnein.", gab Rosie zu und legte den rosa Plüschhasen wieder auf das Regal. Man sah ihr an, dass sie sich schämte. „Ich... Flint ist die einzige Familie, die ich noch habe. Als ich hörte, dass er auch noch einen Haufen Söldner und Soldaten transportieren würde, dachte ich, dass es vielleicht zu gefährlich für ihn sei, euch herzubringen... also... hab ich mich als Söldnerin ausgegeben, um ihn zu beschützen."
Samira schüttelte den Kopf. Das kann doch nicht wahr sein...
Andererseits konnte sie Rosie auch irgendwie verstehen. Würden sich ihre Eltern in Gefahr begeben, würde Samira ihnen auch folgen, egal was auf sie lauert.
„...verpfeifst du mich jetzt?“, fragte Rosie traurig.
Samira sah Rosie in die blauen Augen. Die große Frau schien den Tränen nahe. Sie seufzte: „Nein."
„Oh DANNNKE!"
Plötzlich wurde Samira so fest umarmt, dass ihr für einen Augenblick die Luft wegblieb, und hochgehoben. Auch wenn sie keine Soldatin war, so war Rosie beeindruckend stark. Vielleicht ist sie doch noch nützlich für die Mission.
Rosie setzte Samira wieder auf den Boden ab und strahlte, „Ich werde mein Bestes geben, versprochen!“
„Wo hast du die Rüstung und die Axt eigentlich her?“, fragte Samira und brachte ihre Kleider wieder in Ordnung.
„Oh! Die stammt von meinem Vater. Er... war Soldat. Kam bei einem Einsatz in Basilich ums Leben.“, sagte Rosie mit belegter Stimme.
„Verstehe...“, sagte Samira. Sie wandte sich wieder den Stoffpuppen zu, „Weißt du was? Ich glaube, ich nehm die hier.“