Vorab sorry, dass ich deinen Text ein bisschen zerpflücke. Ich fand ihn wirklich interessant und er bietet eine gute Grundlage für Diskussion. Hat mich auch selbst nochmal dazu gebracht, ein paar Dinge zu reflektieren, also kein bad Blood.
In meiner Überzeugung sollten Emotionen nicht nur in der Politik, sondern in allen wesentlichen Fragen des menschlichen Zusammenlebens nicht das primäre Steuerungsinstrument sein.
Ehrlich gesagt finde ich nicht, dass Emotionen im Miteinander ein Defizit sind. Im Gegenteil, sie waren oft eine treibende Kraft für gesellschaftlichen und politischen Fortschritt. Bewegungen wie der Feminismus, Fridays for Future oder Black Lives Matter haben bei vielen ein Umdenken ausgelöst, gerade weil sie emotional berührt und mobilisiert haben. Natürlich hat Rationalität ihren Platz, aber ohne emotionales Engagement bleibt sie oft nüchtern und folgenlos.
Beides ergänzt sich. Emotion und Vernunft sind keine Gegensätze, sondern wirken im besten Fall zusammen. Wenn man eines davon zurückstellt oder priorisiert, erzeugt das oft eine Gegenbewegung des anderen. Deshalb denke ich eher, sie nicht in eine Rangordnung zu bringen, sondern als gleichwertige Kräfte zu verstehen, die gemeinsam wirken.
Die Vorstellung, dass Sachlichkeit und Emotion einander ausschließen, basiert auf einem idealisierten Bild von Rationalität. In Wirklichkeit steckt in jeder politischen Entscheidung ein Set von Werten, und diese sind immer auch emotional aufgeladen. Der Schlüssel liegt nicht darin, Emotionen auszuschließen, sondern darin, mit ihnen reflektiert und konstruktiv umzugehen.
Deshalb ist es essenziell, bereits früh in der Erziehung Werte wie Toleranz, Akzeptanz und die Fähigkeit zur Ambiguitätstoleranz zu vermitteln. Also die Kompetenz, unterschiedliche Meinungen auszuhalten, ohne sie sofort emotional zu bewerten oder abzulehnen. Es ist in Ordnung, wenn jemand eine andere Sichtweise vertritt, auch wenn diese provokativ oder unangenehm ist.
Hier verlagerst du aber die Verantwortung für einen respektvollen Umgang auf die Person, die Diskriminierung erlebt. Du sprichst von einem aufeinander Zugehen, auch wenn bei einer Machtungleichheit gar nicht die gleiche Grundlage vorhanden ist, um so eine Begegnung überhaupt möglich zu machen.
Wenn du Toleranz gegenüber Intoleranz zur Regel machst, überlässt du den Raum genau denen, die diese Toleranz abschaffen wollen. Es braucht keine Überschreitung der Gewaltgrenze, um zu erkennen, dass Toleranz gegenüber Intoleranz nicht dauerhaft tragbar ist.
Toleranz ist nicht grenzenlos. Genau deshalb gibt es in unserem Gesetz klare Linien, wie die Unantastbarkeit der Menschenwürde und das Recht auf Gleichbehandlung. Es ist nicht meine Aufgabe oder Verantwortung, auf einen Nazi zuzugehen, der mich von vornherein hasst und ablehnt. Ich schulde niemandem den Dialog, der mir das Menschsein abspricht.
Und ja ich habe ein wenig recherchiert und fand deshalb das Zitat von Karl Popper, welche das Toleranzparadoxon aufstellt sehr nett:
"Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die unbeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen."
In diesem Sinne besitzen extreme Gruppierungen keinen nennenswerten politischen Wert, da sie nicht zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen, sondern diese eher verschärfen.
Stimme nicht zu. „Extrem“ ist oft einfach ein Urteil des Zeitgeists. Was gestern als extrem galt, kann morgen ganz normal sein. Die erste Frauenbewegung wurde auch als extrem bezeichnet und hat nach und nach ein Umdenken ausgelöst. Genauso bei der Arbeiterbewegung oder der queeren Emanzipation. Natürlich gibt es destruktive Formen von Extremismus, aber sie pauschal als wertlos abzutun, blendet völlig aus, welche Rolle Protest, Reibung und klare Kritik für gesellschaftlichen Fortschritt haben.
Auch wirkt dein Text so, als würdest du rechte Positionen entschärfen, indem du sie als emotionale Angstreaktion darstellst, während linke Kritik eher abgewertet wird, als sei sie ein moralischer Ego-Trip.
Deine Gegenüberstellung von rechten und linken Extremen klingt zwar erstmal nett, ist aber letztlich doch eher emotional gefärbt und inhaltlich nicht wirklich haltbar. Rechtsextremismus basiert auf ethnischer Abwertung und führt oft zu echter Gewalt gegen Minderheiten. Linke Radikalität kann zwar überhöht auftreten, zielt aber auf Gleichheit, Teilhabe und auf den Erhalt demokratischer Werte. Das einfach gleichzusetzen geht am Kern vorbei.
Politik lebt nicht nur von der Mitte, sondern vom Druck, der von außen kommt. Und oft verschiebt sich genau dadurch die Mitte überhaupt erst.
Politische Relevanz beginnt dort, wo kollektiver Fortschritt ermöglicht wird – nicht für einzelne Gruppen, sondern für die Gesellschaft als Ganzes. Eine Partei, die lediglich bestehende Verhältnisse konserviert, zurück in die Vergangenheit blickt oder ausschließlich Partikularinteressen bedient, verliert langfristig an Bedeutung.
Jaein, auch da ist ein Zusammenspiel wichtig. Konservatives Denken hat schon auch seine Daseinsberechtigung. Gesellschaft ist eben keine homogene Masse, sondern eher ein Blob aus vielen verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten und Bedürfnissen.
Wenn Fortschritt nicht auch an den Rändern beginnt, also bei denen, die weniger gehört werden, bleibt er oft abstrakt. Und Fortschritt heißt nicht immer, dass man ständig etwas Neues schaffen muss. Manchmal bedeutet es einfach, das Bestehende zu stabilisieren, dort wo es trägt.