Wundermalerin
Die Sterne flimmern auf dem Dach,
Es ist schon spät, doch ich bin wach
Und schaue stumm den Spinnen zu,
Wie sie voll Weisheit, voller Ruh’
Mit ihren Seidenfäden malen.
Ich neig’ den Kopf zu beiden Seiten
Und lasse mich schon bald verleiten,
Dem Spiel der Spinnen beizutreten,
Dem wieder neuen, immer steten,
Und eile schon zu den Regalen.
Hier oben in der Giebelstube,
Da greif’ ich zu der bunten Tube
Und male Pinselstrich um –strich,
Ein wenig zart und zögerlich,
Eh’ ich gleich wieder innehalt’.
Der Pinsel streicht zart durch die Luft,
Berührt nur schwach den Tannenduft
Des kleinen Zimmers unter’m Dach,
In dem der Mond nur fein und schwach
Sein Licht an alle Wände malt.
Fast hilflos blick’ ich durch den Raum,
Wo sich so mancher schwere Traum
In Spinnennetzen einst verfing
Und dort in allen Farben hing,
In silberfeiner Schimmerwelt.
Und wieder greif’ ich zu den Farben,
Und schließ’ die Augen, die verdarben,
Was ich auch ohne Augen sehe:
Die Farben, denen ich vergehe,
Die jedes Wunder in sich hält.
Ich nehm’ die Pinsel, male blind,
Ich rate, wie die Farben sind,
Ich rate, wie die Muster stehen,
Und wende sie und will sie drehen,
Dass es ein neues Bild ergibt.
Aus meiner schwarzen Dunkelheit
Entsteht ein neues Farbenkleid
Und wirft sich auf die weiße Wand,
Auf die es sich erblühend spannt,
Umschwärmend, webend und geliebt.
Wie ein Kristall wirkt weißer Schimmer,
In gelb entsteht ein Blütenflimmer,
Das Grün, das Blau ein lautes Tosen
Des Meeres auf den hundert Rosen –
Das Rot als neuen Meeresgrund.
Mit Flügeln wie aus Farbkristallen,
Von denen Federn wirbelnd fallen,
Da fliegen Schwärme schwarzer Raben
Zu dem verlor’nen Bettelknaben
Mit seinem letzten Freund, dem Hund.
Es scheint, als würd’ im wilden Wind
Ein Drachen steigen für das Kind,
An den sich hundert Schleifen binden,
Die sich im Abendwinde winden
Und rauschend in die Höhe flattern.
Und dort im grünen Moose tuscheln
Die Stimmen bunter Zaubermuscheln
Und kriechen leise durch das Gras,
Wo fremd und wie aus gelbem Glas
Drei honigfarb’ne Gänse schnattern.
Der Ton, der Klang, das zarte Wehen,
Ich kann es hier im Dunkeln sehen,
Ich riech das Funkeln schwarzer Federn
Und spür’ den Atem dunkler Zedern
Bis in mein Zimmer unter’m Dach.
Ich möchte tausend Wunder malen
Aus den vermischten Idealen
Von einer längst vergess’nen Zeit,
Die sich aus ihrer Ewigkeit
In dieses dunkle Zimmer brach.
Und doch leg’ ich den Pinsel nieder
Und öffne meine Augen wieder
Und blinzel, lächel, kann erkennen,
Wie hundert bunte Feuer brennen,
Ganz ohne Weisung und Gesetz.
Doch in den Bildern drängt der Schlaf,
Der mich beim Malen nur nicht traf,
Verschließ mich vor der Wirklichkeit
Im tiefen Traum der Ewigkeit,
Und Farbe tropft vom Spinnennetz.