Ich habe die Serien erst gesehen, als ich sie zufällig im Fernsehen entdeckte. Vorher dachte ich: "den psychischen Zustand eines Menschen messen - nee klar; das kann nur Unfug geben". Aber wie das funktionieren soll, wird zum Glück gar nicht thematisiert bzw. auf die Art des Sybil-Systems abgewälzt und nicht weiter erklärt.
Ein Überwachungsstaat, wenn auch die "Unterdrückung" oder "Bevormundung" recht weit im Hintergrund steht; es scheint mehr die kollektive Entscheidung dahinter zu stehen, sich diesem Diktat zu beugen. Folglich ist da kein großes Unrechtsbewußtsein - weder bei den Bürgern noch bei der "Herrschenden" (sofern es die überhaupt gibt).
Dass das alles auf tönernen Füßen steht, kommt erst recht spät heraus - und erlangt doch angesichts der (vermutlichen) Legitimation keine rechte Bedeutung.
Denn im Kern geht es um brutale, grausame Verbrechen, die im Wesentlichen von je einem Individuum (pro Staffel) ausgehen.
Man könnte sagen, die beiden Handlungsbögen (Staffeln) nutzen das Potenzial des Settings nicht aus. Ich denke eher, das Setting hat einfach zu viel Potenzial, um es mit gerade mal zwei Fällen abzudecken.
Insgesamt sind beide Staffeln ziemlich brutal; befremdlich ist auch, das ein guter Teil der Gewalt von der Staatsmacht (via "Dominator") ausgeübt wird - aber obwohl sie da in der ersten Folge einen vernünftigen Anfang macht, ändert auch das Fräulein Inspektoren, Akane Tsunemori, daran herzlich wenig.
Mein Liebling ist Shinya Kogami in Staffel eins, weil er einerseits den Eindruck hinterläßt, das ganze ziemlich gut zu verstehen, andererseits einfach "sein Ding" durchzieht - auch, wenn er selbst damit zum Gesetzlosen wird. In Staffel zwei ist es Joji Saiga. Ich kann's auch nicht recht erklären, aber ich denke, teils ist es, wie ruhig er es hinzunehmen scheint, ein "latenter Verbrecher" geworden zu sein, andererseits seine psychologische Expertise - und dass er halt nicht bemüht ist, sich damit zu produzieren.
Die beiden Bösewichte freilich unterscheiden sich subtil, aber doch erheblich.
Shogo Makishima sieht vor allem eine Unterdrückung des freien Willens und damit einen Verstoß gegen die Menschenrechte, den er mit allen Mitteln zum Fall zu bringen versucht. Er würde vermutlich noch nicht einmal bestreiten, ein Terrorist zu sein. Aber obwohl er ein begnadeter Verführer ist und durchaus versteht, Menschen zu instrumentalisieren (wie die Schülerin/"Künstlerin", die die ersten Morde beging) - was eigentlich seine ganze Intention ad absurdum führen müßte (darauf geht die Geschichte leider nicht ein), scheut er auch nicht im Mindesten vor persönlichem Einsatz zurück - und gibt auch nicht auf, als er einsieht, dass er verloren hat. Und er betrachtet sich als über Moral und Gesetz stehend. Teils hat er damit ja Recht: Der von ihm behauptete Verstoß gegen die Menschlichkeit ist kein Hirngespinst. Und vielleicht entspringt die Konsequenz, dafür auch Menschenleben zu opfern, ja auch seiner eigenen Bereitschaft, für das hehre Ziel alles zu geben. Aber ich stimme ihm da nicht zu. Daneben hat er zumindest zu Beginn auch selbstverliebte Züge und konstruiert sich Bezüge, die nur oberflächlich intellektuell wirken, beim zweiten Hinhören aber wie absurde Legitimationsversuche erscheinen. Tja, und eigentlich kann man seine "Selbstbegnadende Konstitution" auch so interpretieren, dass er einfach nur arrognat ist - so extrem, dass er bei seinen Greueltaten wahrlich kein Unrecht ''empfindet''.
Kirito Kamui hat im Gegensatz zu Makishima eine persönliche Vergangenheit. Aber obwohl er zu guten Teilen nur auf Rache aus ist - und dabei durchaus bereit ist, eine ganze Gesellschaft ins Chaos einer Revolution zu stürzen - wird ihm anfangs auch zugesprochen, er könne den Psycho-Pass Anderer aufhellen. Ob das wirklich wahr ist oder ob die jeweils Betroffenen es nur glauben, ist für mich leider überhaupt nicht klar, aber die Betroffenen/Opfer fühlen sich zumindest erlöst. Da bekommt Kamui durchaus einen Messias-Funktion, die freilich nicht ausgebaut wird.
Und schließlich geht es in der zweiten Staffel auch um die Toganes. Mutter Misako scheint als Mitglied des Systems sowohl selbst Intrigen wider das System spinnen kann als auch ihren verzogenen, sadistischen Sohn Sakuya vor Verfolgung schützen. Es wäre interessant gewesen, dazu mehr aus Sicht des Sybil-Systems zu erfahren: Wußte es nichts oder hat es toleriert ... womöglich, weil es nicht bestehen kann, weil es ja nur aus "extravaganten" Mitgliedern besteht?
Makishima, das intellektuelle Mastermind (nun, er sieht sich so; der Rest zählt für ihn wohl kaum), eigentlich aber nur ein Psychopath. Von Sybil auf Grund seiner eigenen Überheblichkeit als "gerecht" fehlklassifiziert.
Kamui, das Opfer, blind vor Rachegelüsten. Nur durch eine Ironie des Schicksals für Sybil wahrhaft unsichtbar.
Insgesamt hat die Serie mich mit ihrer Mischung von Action, ein wenig Sci-Fi, intellektuellen Einwürfen, Psychologie/Philosophie und den Mastermind-Terroristen - nein, eigentlich: mit vielen Charakteren - überraschend gut unterhalten. Die Brutalität war subjektiv übertrieben, aber sie "unpassend" zu nennen, fände ich übertrieben.