Es ist zu einfach gedacht, allen AfD-Wählenden Rassismus vorzuwerfen.
Meines Erachtens lässt sich der Erfolg der AfD multifaktoriell begründen. Dazu würde ich hier mal drei Punkte nennen:
1. Unsicherheit
Lange Zeit war klar, dass es den eigenen Kindern einmal besser gehen wird, als einem selbst. Man blickte zuversichtlich in die Zukunft und die Wirtschaft wuchs stetig. Man wusste, mit genügend Fleiß, kann man sich und seine Familie ernähren, ein Haus oder eine Wohnung kaufen und ein Urlaub pro Jahr war für viele auch noch locker drin.
Seit den 90ern sind allerdings die Mieten deutlich stärker gestiegen als die Löhne, so dass man heute deutlich mehr seines Einkommens nur für den Wohnraum aufwenden muss. Haus- oder Wohnungseigentum ist für sehr viele Menschen nicht mehr zu erreichen und auch die Lebensmittelpreise sind spätestens seit der Invasion Russlands in die Ukraine extrem gestiegen. Das sorgt für eine große Unsicherheit bezüglich der mittel- und langfristigen Zukunft für sich und die eigenen Kinder. Die Altparteien scheinen sich jedoch um alles zu kümmern, nur nicht um die Probleme der einfachen Bürger. Politisch zankt man sich um Klimapolitik, Gendern, Energieversorgung und vieles mehr, das zumeist aber schlecht kommuniziert wird und durch die Eskapaden der FDP auch immer schnell unkoordiniert und uneinig wirkt. Das Vertrauen in die Regierung fehlt, weil sich die drei Parteien nicht einmal untereinander einig sind und somit absolut kein Sicherheitsgefühl vermitteln.
Die AfD nutzt diese Streitigkeiten und greift mit ihren einfachen, volksnahen Parolen genau jene Sorgen der Menschen auf, die von den Altparteien scheinbar so rigoros ignoriert werden. Dass diese einfachen Lösungen und die Stammtischparolen auf dem politischen Parkett nicht funktionieren und im Parteiprogramm der AfD auch häufig genau das Gegenteil von dem steht, was sie auf den Marktplätzen verkünden, wird da schlicht ignoriert, weil man dem Mann auf dem Marktplatz mehr vertraut als den politischen Gegnern, die vor der eigentlichen Agenda der AfD warnen.
2. Identifikation
Gerade junge Männer sind anfällig, den Narrativen der AfD anheimzufallen, weil sie sich in einer Welt wiederfinden, die das Mannsein, wie man es bisher kannte, in weiten Teilen dekonstruiert hat. Vorherige Generationen von Jungs hatten mit Schwarzenegger, Stallone und anderen etliche Rollenbilder, die ihnen gezeigt haben, was Männlichkeit bedeutet. "Männer weinen nicht", "Männer sind stark und dominant" und all die anderen Merkmale von Männlichkeit waren damals klar und die meisten Jungs wussten, was sie zukünftig sein wollten.
Heute gelten fast alle althergebrachten männlichen Attribute als falsch. Wer sich noch als klassischen Mann definiert, ist toxisch, sexistisch und misogyn. Man mansplaint, manspreaded und ist als weißer, heterosexueller Cis-Mann sowieso an allem schuld und hat am besten zu nichts etwas zu sagen. Das ist jetzt natürlich etwas überspitzt formuliert, doch bricht durch all diese negativen Konnotationen der Männlichkeit ein Ideal zusammen, dem viele junge Männer früher gefolgt sind. Wer heute ein guter Mann sein will, darf Gefühle zeigen, einfühlsam sein und auch mal schwache Momente haben. Man darf Lippenstift, Nagellack und Kleider tragen und im besten Fall ist man auch noch ein Unterstützer des Feminismus. Allerdings gilt das nicht für alle Echokammern. In anderen gelten noch die alten Werte, in wieder anderen gibt es eine Verschmelzung der beiden Vorstellungen von Männlichkeit und wieder andere wollen Geschlechterrollen gänzlich abschaffen. Das sorgt für Verwirrung und auch dafür, dass junge Kerle ihren Kompass verlieren. Was und wie soll ich denn nun sein, um ein Mann zu werden? Es fehlt schlicht ein klares Bild von Männlichkeit, das es für Frauen auch heute noch gibt.
Auch hier greift die AfD die Sorgen auf - insbesondere auf Tiktok, wo sie mehr Follower hat als alle Altparteien zusammen. Dort werden in kurzen Videos alte Männlichkeitsbilder romantisiert, Frauen in bekannte untergeordnete Rollen zurückmanövriert et voilà: Identitätsstiftung und ein erstrebenswertes Bild von "echten Männern".
3. Komplexe und fehlendes Vertrauen
Wir beobachten, dass die AfD vor allem in der ehemaligen DDR stark ist und von den Menschen gewählt wird. Das liegt meiner Auffassung nach vor allem daran, dass Westdeutschland seit der Wende gefühlt alles unternommen hat, um der Bevölkerung in den ostdeutschen Bundesländern die Würde zu nehmen. Die maroden Unternehmen wurden von Westfirmen gewinnbringend abgewickelt, während man die Rückständigkeit der Technik belächelt hatte. Es wurde "den Ossis" häufig die komplette Lebensleistung aberkannt, indem man ihnen lange keine Renten zugestanden hatte, ihre Arbeitsleistung schlechtgeredet und ihr komplettes Leben im System abgewertet hat. Dankbar sollten sie sein, dass der tolle Westen sie aus den Fängen des Sozialismus befreit hat - und wehe jemand beschwert sich! Die Infrastrukturprojekte im Osten begrenzten sich auf die großen Ballungsräume Dresden, Leipzig und vielleicht noch Chemnitz, doch auf dem Land lebte man zunehmend rückständiger. Man geriet quasi in Vergessenheit. Arztpraxen schlossen, Supermärkte machten dicht und der Bus kam immer seltener. Es fehlten Arbeitsplätze, also zogen die Jungen, Qualifizierten weg und die einfacheren Leute wurden schlicht ihrem Schicksal überlassen.
Dieser Verfall der ländlichen Gebiete in Ostdeutschland wurde von nahezu allen Parteien vorangetrieben, weshalb das Vertrauen darin, "endlich mal gesehen zu werden" in vielen Gebieten gegen Null geht. Auch die Ministerien wurden nahezu ausschließlich mit "Westpersonal" besetzt, sodass es auch dort quasi keine Repräsentanz für die Menschen in Ostdeutschland gab und bis heute gibt.
Auch hier hat die AfD leichtes Spiel, weil sie sich auf den Marktplätzen dieser Gemeinden eben den Sorgen und Themen der Menschen anzunehmen scheint. (Was natürlich nichts als Taktik ist - die Sorgen der Menschen im Osten sind der AfD ebenso egal wie jene der Menschen des Westens. Es geht hier einzig und allein um Machtgewinn) Und um ein Feindbild zu generieren, dem man die Schuld am eigenen Elend zuschieben kann, eignen sich neben den etablierten Parteien, die ja tatsächlich Schuld an vielen Missständen im Osten haben, natürlich auch die faulen und kriminellen Geflüchteten. Und weil wir in Deutschland, und sehr stark eben auch in Ostdeutschland, ein Problem mit Rassismus haben, stoßen die einfachen, rassistischen Parolen der AfD dort eben auch auf offene Ohren.
Fazit:
Ja, viele Politiker und Politikerinnen in der AfD sind rechtsextrem und ja, viele der sie Wählenden auch. Es sind aber bei weitem nicht alle und ihnen per se Ignoranz oder Dummheit vorzuwerfen, oder sie alle als Nazis zu diskreditieren, stärkt die AfD mehr, als dass es ihr schadet.