Die Story ist sehr vielschichtig, vielleicht ein bisschen zu viel. Sie zieht alle Register, um die Motivationen der Bösewichte möglichst kompliziert und undurchsichtig zu machen. Gehirnwäsche, Drogen, geheime Regierungsorganisationen, eine uralte Prophezeiung, gezüchtete übermenschliche Waffen und innerhalb dieses Chaos sind fast alle Antagonisten klinisch wahnsinnig. Der Großteil davon dient allerdings nur zur Ablenkung. Letztlich lässt sich die Story auf zwei Hauptkonflikte reduzieren. Minatsuki will Koku töten, um Gott zu werden, oder so etwas in der Art, und Gilbert will Keith seinen zwanghaften Morddrang erklären, indem er ihn dazu bringt, ihn selbst umzubringen. Und das bringt uns zu einem der größten Schwachpunkte der Serie: die Charaktere.
Die Charaktere mit übernatürlichen Kräften sind allesamt nahezu vollkommen uninteressant. Sie existieren nur für das Spektakel ihrer Kämpfe und haben kaum Persönlichkeit. Koku ist zumindest noch soweit nachvollziehbar, dass er nach seiner Kindheitsfreundin Yuna sucht, zu der man in den Rückblicken einen Bezug bekommt, aber die Gruppe um Minatsuki ist im Prinzip nur ein Haufen psychopathischer Mörder-Clowns. Keith ist der weitaus interessantere der Hauptcharaktere, insbesondere in seinen Beziehungen zu Lily und Gilbert. Hier ist so etwas wie ein Charakter-Arc zu erkennen. Passend dazu ist Gilbert auch der interessantere der Bösewichte. Man bekommt zumindest ein paar Einblicke darein, wie er tickt. Er weist starke Ähnlichkeiten zu Yoshikage Kira aus JoJo's Bizarre Adventure auf. Ein zurückhaltender Mann, der zwanghaft attraktive Frauen ermordet, ohne von seinem Umfeld bemerkt zu werden. Die beiden haben sogar dieselbe Frisur und denselben Voice Actor! Freilich kommt Gilbert in diesem Vergleich nicht gut weg. Kira ist einer der besten Anime-Bösewichte aller Zeiten. Gilbert ist einfach nicht so exzentrisch oder furchteinflößend.
Der letzte Charakter über den ich noch reden möchte, ist Lily. Laut MAL ist sie der dritte Hauptcharakter und ich würde gewissermaßen zustimmen. Ihre Rolle in der Story ist sehr interessant. Auf der direkten Ebene bringt sie eine Energie und eine Portion Humor, die den beiden ruhigen, todernsten männlichen Hauptcharakteren Koku und Keith fehlt. Insbesondere fordert sie Keiths eigenbrötlerische Einstellung heraus und treibt damit seinen Charakter-Arc voran. Aber sie leistet auch eigene Beiträge zur Lösung des Falls und die Story legt großen Wert darauf ihre Intelligenz und ihren Mut trotz ihres unseriösen Verhaltens zu betonen. Umso mehr war ich darüber enttäuscht, wie passiv ihre Rolle in den finalen Episoden wurde. Aber sei das, wie es ist.
Auf einer Meta-Ebene stellt Lily das Verbindungsstück zwischen den beiden Handlungssträngen dar. Sie kennt sowohl Koku als auch Keith, auch wenn ihre Verbindung zu Koku für die Story so irrelevant ist, dass ich mich gar nicht mehr erinnere, was die Verbindung überhaupt ist. Die Zweiteilung der Story is dabei symbolisch für die Produktion der Serie selbst, als Koproduktion zwischen Netflix und Production I.G. Die übernatürliche Handlung um Koku fühlt sich deutlich japanischer an und die Charaktere haben japanische Namen, während die Kriminalhandlung an amerikanische Cop-Dramen erinnert mit eher westlichen Namen. Die Zweiteilung geht sogar bis zur Zahlensymbolik. Die Markierung von Killer B besteht aus einer 13, im Westen als Unglückszahl bekannt, und einer 4, die für Japaner den Tod repräsentiert. Das fand ich ganz nett. (Auch wenn 4/13 mich unweigerlich an Homestuck erinnert hat... AHHH! Ich werde nie frei von Andrew Hussie sein!) Hmm, je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger Vertrauen habe ich in die Theorie, dass Lily das Verbindungsstück sein soll. Keith hat viel mehr mit der ganzen Market Maker Geschichte zu tun. Aber vom Setup her würde Lily mehr Sinn machen. Es fühlt sich so an, als sollte sie noch mehr mit Koku's Geschichte zu tun haben, aber es ist nichts draus geworden. Der Moment, wo sie Koku's Kampfform zum ersten Mal sieht, wirkt wie ein wichtiger Moment, der die Beziehung der beiden nachhaltig verändern sollte, aber danach sieht sie ihn bis zum Ende nicht mehr wieder. Ich glaube da hat irgendetwas nicht mehr ins Skript gepasst.
Eine letzte Sache, die ich noch seltsam fand, war das Finale mit Keith und Gilbert, wo Keith ihn erschießt. Ich verstehe die prinzipiellen Mechaniken hier. Gilbert will Keith dazu bringen, ihn zu töten, um ihm zu beweisen, dass Mord nicht so unlogisch ist, wie er denkt. Und Keith tut es, um Lily zu retten. Aber die Sache ist, er stand direkt vor ihm, er hätte ihn einfach körperlich angreifen können: Schlag ins Gesicht, Schlag auf die Waffenhand, ein Tackle. Egal wie schwach Keith körperlich ist, das hätte alles locker gereicht, um Gilbert davon abzuhalten mit irgendeiner Genauigkeit zu schießen. Kein Mensch kann zielen, während er aus nächster Nähe angegriffen wird. Wenn Keith 10 Meter weiter weg gestanden hätte, okay, dann vielleicht. Aber so macht es nicht wirklich Sinn. Und selbst wenn man das akzeptiert, würde ich immer noch sagen, dass es wohl kaum als Mord gelten kann einen bekannten Mörder zu erschießen, der akut die Absicht hat jemanden zu töten, wenn das wie die einzige Möglichkeit scheint, diesen Mord zu verhindern. Es ist jedenfalls nichts, was man mit Gilberts Taten vergleichen könnte.