Gestern habe ich endlich Pyre durchgespielt. Schon Bastion fand ich genial, und spätestens seit Transistor ist Supergiant Games mein absolutes Lieblingsentwicklerstudio.
Auch mit ihrem dritten Spiel haben die Entwickler bei Supergiant wieder bewiesen, dass sie die ästhetisch besten Spiele auf dem Markt produzieren. Auf der visuellen Seite glänzt das Spiel mit wunderschönen Farben und Animationen. Sowohl die Charakterdesigns als auch die Hintergründe haben einen mystischen Charme. Der Soundtrack ist wieder vom genialen Darren Korb und trägt fundamental zur Atmosphäre des Spiels bei.
Soweit zu den Ähnlichkeiten mit Bastion und Transistor, das eigentliche Gameplay ist radikal anders als bei den Vorgängern. Die Hauptmechanik ist ein 3-gegen-3 Sportspiel, ähnlich zu Basketball, mit Kampfelementen in Form von Auren, mit denen man Mitglieder des gegnerischen Teams zeitweise aus dem Spiel nehmen kann. Diese Matches sind Teil eines Turniers, verbunden durch eine Art Visual Novel bzw Choose-your-own-Adventure, während derer man Zeit hat, die Charaktere und Welt von Pyre besser kennenzulernen. Ich muss zugeben, dass ich das "Kampf"system lange als sehr ungewohnt empfand, mitunter sogar frustrierend, weil es so anders war als alles, was ich bisher gespielt hatte. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt, aber einige Mechaniken, insbesondere das Werfen und die Sprungabwehr, habe ich bis zum Ende nicht gemeistert. Das System hat ein hohes Maß an Tiefe, aber es ist nicht so intuitiv wie etwa Bastion oder Transistor.
Ein weiterer großer Unterschied zu den anderen Supergiant-Spielen ist der Fokus der Story. Bastion und Transistor haben sehr viel Zeit damit verbracht die Geschichten ihrer fantastischen Welten zu erzählen. Direkte Gespräche zwischen Charakteren waren aber sehr selten. Pyre dagegen konzentriert sich ganz auf seine Charaktere, ihre Geschichten, Ambitionen und Träume, Fehler und Ängste, und wie sie miteinander interagieren. Das soll nicht heißen, dass die Welt von Pyre weniger interessant wäre, als bei den bisherigen Supergiant-Titeln. Im Gegenteil, das Mythologie-durchtränkte Setting von Pyre fühlt sich detaillierter und besser durchdacht an, aber die meisten dieser Details sind nur in optionalen Texten zu finden. Pyre hat nicht den omnipräsenten Erzähler von Bastion oder Transistor, der die Welt und ihre Geschichte ganz natürlich während des Spielens erklärt, sondern man muss diese selbst zwischendurch lesen, wenn man mehr darüber wissen will.
Das wirklich geniale an Pyre ist die Art, wie es den Entscheidungen des Spielers Bedeutung verleiht. Erstmal ein bisschen Kontext: In Pyre spielt man einen Ausgestoßenen, der aus dem Commonwealth in die Downside verbannt wurde. Zusammen mit einer Gruppe weiterer Ausgestoßener versucht man seine Freiheit zurückzugewinnen, um ins Commonwealth zurückkehren zu können. Die einzige Möglichkeit dazu stellt das oben genannte Sport-Turnier dar. Nur wer sich in den sogenannten Riten beweist, wird befreit. Das besondere dabei ist, dass es kein Game Over gibt. Auch wenn man ein Match verliert, geht die Story weiter und man muss mit den Konsequenzen dieser Niederlage leben. Und manche Niederlagen können wirklich verheerend sein, weil die Freiheit der eigenen Teammitglieder, alles Charaktere, die man liebgewonnen hat, auf dem Spiel steht. Jeder der Charaktere hat eigene Motivationen dafür, die Downside verlassen zu wollen, aber auch Aspekte, die es ihm oder ihr schwer machen Abschied von diesem Ort zu nehmen. Daher fühlt man sich direkt für ihr Glück verantwortlich.
Aber auch die Gegner, gegen die man antritt, haben viel Persönlichkeit und kämpfen um ihre eigene Freiheit. Das macht das Resultat der einzelnen Riten noch komplizierter, je nachdem wie sehr man mit dem Gegner sympathisiert. Einmal musste ich in einem extrem wichtigen Match gegen ein Team spielen, gegen das ich bisher nur verloren hatte, und ich war noch nie so nervös. Am Ende habe ich aber gewonnen und diese Erleichterung hat den Sieg umso lohnender gemacht. Solche Rivalitäten machen das Turnier sehr lebendig.
Tatsächlich ist das System noch ein bisschen heimtückischer, aber dafür muss ich einen zentralen Aspekt, wie die Riten genau funktionieren, spoilen:
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Anfangs denkt man, dass das ganze Team gemeinsam befreit wird, aber tatsächlich gibt es regelmäßig besondere Befreiungsriten, bei denen immer nur genau ein Mitglied des Gewinnerteams befreit wird. Man muss also jedes Mal wählen, welches Teammitglied man versuchen will, zu befreien. Und wenn es einem gelingt, ist dieses Teammitglied tatsächlich für den Rest des Spiels weg. Man kann nicht mehr mit ihm interagieren und ihn auch nicht mehr im eigenen Team verwenden. Der zweite Punkt ist besonders bitter, weil man einen der drei Charaktere mit dem höchsten Level zur Befreiung wählen muss. Es ist also immer ein Charakter, mit dem man schon viel gespielt hat, und der sich in der eigenen Strategie bewährt hat. Aber schon die einfache Abwesenheit eines liebgewonnenen Charakters hat emotionales Gewicht. Es ist ein ähnliches Gefühl wie bei den Danganronpa-Spielen, wo der Cast immer kleiner wird, nur dass man hier selbst entscheiden muss, von wem man potentiell für immer Abschied nimmt. Dabei stehen zwei emotionale Aspekte gegeneinander: Fast alle Charaktere wünschen es sich, befreit zu werden. Also will man die eigenen Lieblingscharaktere zuerst befreien, weil sie es am meisten verdienen und man sich wünscht, dass sie glücklich werden. Aber gleichzeitig sind das auch die Charaktere, die man am meisten vermisst, wenn sie weg sind.
Das Spiel zwingt einem eine schwierige Entscheidung auf: Entweder man nimmt bitteren Abschied von einem liebgewonnenen Charakter und kämpft mit Überzeugung (denn, wenn man nicht überzeugt ist, kann man leichter besiegt werden), um ihn zu befreien; oder man verliert und behält seine Lieblingscharaktere, muss aber mit der Enttäuschung der Niederlage zurechtkommen und damit, dass man ihnen den Zugang zum Glück verwehrt hat. Diese hohen Einsätze, sowohl spiel- als auch storytechnisch, machen jeden Befreiungsritus extrem spannend und wichtig.
Es ist auch faszinierend, wie diese Meta-Aspekte zum zentralen Thema der Geschichte passen: Freiheit. Alle Charaktere streben nach Freiheit und haben eigene Vorstellungen, was Freiheit bedeutet, und auch als Spieler wird man angehalten, sich dazu Gedanken zu machen. Der Spieler selbst ist aber sehr frei in seinen Entscheidungen. Mit dieser Freiheit kommt jedoch auch große Verantwortung. Man muss mit den Konsequenzen seiner Entscheidungen leben. Das ist kein besonders komplexer Gedanke, aber das Spiel verdeutlicht ihn sehr gut, ohne ihn jemals direkt auszusprechen. Die Fähigkeit Ideen durch Mechaniken und interaktive Elemente zu kommunizieren ist das großartige Potential, das Videospiele so einzigartig macht. Nur wenige Spiele (Undertale, NieR:Automata und Brothers: A Tale of Two Sons sind die einzigen, die ich bisher gespielt hatte) nutzen dieses Potential tatsächlich, und Pyre ist nun Teil dieses exklusiven Clubs.