Wie wichtig ist euch Individualismus bei Anime-Charakteren?

  • Eine eventuell ungewöhnliche Frage, die mich aber öfters beschäftigt: wie wichtig ist euch Individualismus, Non-Konformismus und "Einzigartigkeit" bei Anime-Charakteren?

    Kann es diese Eigenschaften überhaupt (noch) geben, wenn jedes Jahr Unmengen von neuen Serien und Filmen produziert werden und Charaktere notwendigerweise auch aus Schablonen vom Fließband bestehen?

    Und philosophisch gesprochen: wie definiert man Individualismus, Non-Konformismus und "seelischen Tiefgang" in einem fiktiven Charakter, der außerhalb seiner/ihrer Handlunglinie überhaupt keine Existenz besitzt?

    Um mal meine eigenen Gedanken etwas aufzufächern: Japan ist nicht unbedingt für eine Wertschätzung von ungefiltertem Individualismus bekannt ("Der Nagel, der aus dem Brett heraussteht, wird eingeschlagen"). Daher sind Manga und Anime auf der einen Seite natürlich Eskapismus aus einer strengen Gesellschaftsordnung. Auf der anderen Seite spiegeln viele Serien aber auch gerade diese normierte Gesellschaft wider. Da geht es neben den "magischen" Abenteuern auch um Leistungsdenken, schulische Pflichten, Hierarchien, Akzeptanz von Gruppen und eben auch soziale Rollenbilder und Genderklischees.

    Ein wirklich individualistischer Anime-Charakter wäre für mich jemand, der/die diese Art von Themen aktiv und kritisch hinterfragt. Und solche Charaktere sind meiner Ansicht nach eher Mangelware. Besonders schwierig ist Individualismus IMO gerade für weibliche Charaktere, die zu oft in Schablonen, Muster und Schubladen passen sollen (tsundere, best waifu, sexy, tollpatschig-kawaii, emotional labil, auf der Suche nach einem boyfriend, besorgt über die zu kleine Oberweite, mit rosa Zimmer mit Rüschenkissen und Plüschtieren etc.)

    Wie viele weibliche Charaktere in Animes haben Genderklischees und soziale Normen schon aktiv kritisiert und laut "Moment mal..." dazu gesagt? Wie viele haben sich quasi gegen das Regelwerk ihrer eigenen Geschichte gestellt und ihr eigenes Leben gelebt? Wobei ich damit nicht meine, dass weibliche Charaktere einfach nur irgendwelche "Quirks" und Schrägheiten aus Gründen der Niedlichkeit vorführen. Das ist auch nur wieder eine Schablone und kein Non-Konformismus.

    Früher war es sicherlich auch einfacher für Charaktere, individueller zu sein. Wenn wir uns zum Beispiel Lupin 3rd und Jigen Daisuke aus den 70er Jahren ansehen, dann waren diese damals frisch und einzigartig, weil es nichts vergleichbares in Animation gab. Und sie haben sich diese Einzigartigkeit in der Franchise zumindest ein wenig bewahrt. Ein generisches Schulmädchen X aus der modernen Romcom hat es da weitaus schwieriger, einzigartig zu sein, weil die siebzehn anderen niedlichen Schulmädchen aus den zwölf anderen Romcoms der Season doch sehr ähnlich gestrickt sind. Sie müsste schon das Regelwerk ihrer eigenen Geschichte aktiv hinterfragen und sich dagegen stellen.

    Ich schweife ab. Um nochmals zur kuriosen Anfangsfrage zurückzukehren: wie wichtig ist euch Individualismus, Non-Konformismus und "Einzigartigkeit" bei Anime-Charakteren? Können diese Eigenschaften bei fiktiven Figuren existieren? Gibt es aktuelle Filme, Serien und Charaktere, die diese besonderen Eigenschaften haben? Und ich gebe zu, dass ich nur wenige aktuelle Serien kenne. Belehrt mich also gerne eines Besseren - es würde mich freuen.

  • Mir ist Individualismus in Animes egal. Am Ende hat man eh immer die drei Stereotypen:

    - der Protagonist ist eine Memme und wird zum Helden

    - der Protagonist ist hochnäsig, zu stark und wird von der Story zurechtgerückt

    - der Protagonist ist overpowered und hat alles immer unter Kontrolle


    Der Rest ist einfach nur stilistischer Schnickschnack. Und wenn es nicht zur Story passt, kann es noch so originell sein. Es muss in erster Linie zur DNA des Settings passen. Und dass viele Animefiguren gewisse Klischees erfüllen (müssen) ist auch verständlich, schließlich hat man eine gewisse Zielgruppe und man muss die auch erreichen. Wenns z.B. ein No-Brainer Anime ist, sollte auch klar sein, dass die Figuren ins No-Brainer-Setting passen müssen. Da kannst du z.B. keine super tiefgründige Diskussion über irgendwelchen in deren Welt etablierten Regeln führen. Solche Animes sollen unterhalten und nicht bilden/erziehen/zum Denken anregen.

    Das ist bei Games ja auch nicht anders. Alle Studios, die versuchen, sich künstlerisch/politisch auszudrücken oder irgendwelche Agendas verfolgen, sind kurz darauf pleite, weils halt keinen juckt.

    Und ich meine... offenbar juckt es bei Anime auch keinen, weil obwohl Japan so hart erzkonservativ ist und auch so Animes produziert, verkauft er sich weltweit ungeschlagen gut.

    "Thou'rt Tarnished, it semeth. Mother, wouldst thou truly Lordship sanction, in one so bereft of light?

    Yet... my purpose standeth unchanged.

    Those stripped of the Grace of Gold shall all meet death. In the embrace of Messmer's flame."

  • Schon sehr wichtig! Es ist natürlich schwierig, weil die Charaktere eben fiktiv sind und man nur bis zu einem gewissen Grad in ihr "emotionales Innenleben" blicken kann. Aber es gibt zum Glück so viele AutorInnen, denen das ganz wunderbar gelingt.

    Für mich ist ein individualistischer (Anime-)Charakter jemand, der sich traut, Sachen auf seine eigene Art zu machen und auch etwas neues wagt. Jemand der zu seinen eigenen Entscheidungen steht, egal was die Gesellschaft davon hält und vielleicht auch jemand, der neue Werte etablieren möchte. Ich finde auch, dass das eine das andere nicht ausschließt. Ein (weiblicher) Charakter kann ein rosa Zimmer mit Plüschtieren haben und trotzdem sehr individualistisch sein ~

    Einige weibliche Charaktere aus neueren Reihen, die mir dazu einfallen sind z. B. die drei Hauptcharaktere aus "Keep Your Hands Off Eizouken!", Emma aus "The Promised Neverland", Homura und Madoka aus "Puella Magi Madoka Magica", Makima aus "Chainsaw Man", Asirpa aus "Golden Kamuy", die Hauptcharaktere aus "A Place Further Than the Universe", Koguma aus "Super Cub" usw.