Schaut man auf das Anime-Jahr 1974, so sieht man viele populäre
Anime-Helden über die Bildschirme laufen. Allen voran wurde das
bekannteste Kriegsschiff Japans (die Yamato) zu einem Raumschiff
umfunktioniert und flog mit seiner Crew auf den Planeten Iscandar. Das
Genre der Weltraumoper wurde im Sektor Anime ins Leben gerufen und
trotzdem waren die Einschaltquoten eher ernüchternd; trotz tollen
Konzepts und genialem Charakterdesign von Leiji Matsumoto. Was machte
die Yamato-Crew nur falsch? Nichts. Aber zur selben Sendezeit lief auf
Fuji TV eine Anime-Serie an, die alles animationstechnisch dagewesene im
TV in den Schatten stellen sollte. Ein kleines Mädchen, das von ihrer
Tante bei ihrem Großvater in einem schweizer Bergdorf abgeladen wurde,
stahl der Yamato und ihren Weltraumabenteuern tatsächlich die Show!
Aufgrund des Threads zur "fröhlichen Familie" bekam ich jetzt Lust einen allgemeinen Thread in eigener Sache zu eröffnen. Zwischen 1974 bis 1997 erschien regelmäßig jedes Jahr auf Fuji TV in Japan eine neue Serie vom World Masterpiece Theater, wodurch es somit 24 gewesen sind. Von 2007 bis 2009 wurde das Projekt wieder neu aufgenommen und es sind drei neue Serien produziert worden.
Das World Masterpiece Theater oder auch einfach WMT abgekürzt, umfasst eine Reihe von Anime-Serien von Nippon Animation, die sich zum Ziel gesetzt hat, Literaturklassiker und insbesondere Entwicklungsromane detailgetreu zu verfilmen. Bis auf wenig Ausnahmen haben alle Serien von WMT gemeinsam, dass die Hauptdarsteller Voll- oder Halbwaisenkinder sind oder im Verlauf zu solchen werden.
WMT steht in Japan zweifelsohne für Exotik, denn keine der Serien spielt
im asiatischen Raum, sondern ausschliesslich auf Kontinenten ausserhalb
Asiens. Bei uns in Deutschland steht WMT für viele Zuschauer für ein
nostalgisches Gefühl und Kindheit. Es gibt kaum einen zwischen 20 und 30
Jahren, der nicht eine jener bezaubernden Serien gesehen haben wird. Ob
nun ganz klassisch Heidi, werden viele auch die Abenteuer von Marco auf
der Suche nach seiner Mutter in Argentinien verfolgt haben. Oder mit
der Familie Robinson mitgefiebert haben, als sie sich auf einer einsamen
Insel eine neue Heimat schaffen mussten. Wer wird nicht mitgeweint
haben, als Niklaas den Hund Patrash aus den Klauen des grausamen
Eisenhändlers entriss, geschweige denn bei dem unrühmlich traurigen
Ableben der beiden? Und wem hat die kleine Polyanna nicht auch
Nervtötung und Entzücken gleichermaßen beschert? Wer ist nicht mit Peter
Pan ins Nimmerland geflogen und hat sich darüber gewundert, warum sein
Mund aussieht, als trüge er Lippenstift? Wer hat nicht für Prinzessin Sarah die Daumen gedrückt, ihr Leben möge wieder besser werden? Wer hat nicht mit Anne auf eine fantasiereiche Zukunft gehofft? Oder mit Tom Sawyer und Huck Finn Freud und Leid des Südstaatenlebens kennengelernt?
Ihr seht, ich gerate ins Schwärmen!
Ebenfalls gemeinsam haben die Serien eine ruhige und langsame Erzählweise, viele traurige bis sogar todtraurige Momente und einen unglaublichen Wiedererkennungswert im Charakterdesign. Bis auf die drei neuesten Serien und "Peter Pan" hat man sich stark am Charakterdesign von Hayao Miyazaki und Isao Takahata orientiert. Wie kommt das?
Nun, bevor die beiden zu Beginn der 80er ein gewisses "Studio Ghibli" gründeten, waren sie für Studio Nippon tätig und haben an vielen der frühen WMT-Serien mitgewirkt. Und selbst als sie es nicht mehr taten, hatte sich für die WMT-Produktionen der wiedererkennbare Stil Miyazakis und Takahatas etabliert, obwohl sie nicht mehr daran beteiligt waren.
Und sie setzten wahrlich neue Standarts für die Entwicklung der Anime. Denn jedes Jahr lieferten die WMT-Serien Animation und Handlung auf höchstem Niveau. Jede zeitgleich laufende Serie musste ihre Animation an WMT messen lassen und schnitt in den meisten Fällen schlechter ab. Nachdem WMT nun 11 Jahre nicht mehr relevant gewesen ist, trifft das heute natürlich nicht mehr zu, aber bezogen auf die Jahre 74 bis 97 waren jene Produktionen ganz groß!
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich die drei neuen WMT-Serien "Shojo Cosette", "Porphy" und "Before Green Gables" alle nicht gesehen habe. Aber vielleicht kann jemand von Euch sagen, inwiefern die neuen Serien an den Erfolg anknöpfen konnten? Ich weiss allenfalls welche Bücher sie zur Vorlage haben und dass sie zwar erzähltechnisch viel, aber visuell überhaupt nichts mehr mit den WMT-Produktionen gemeinsam haben. Also kein an Miyazaki und Takahata angelehntes Design mehr.
Welche WMT-Serien habt ihr geschaut und welche fandet ihr gut und welche weniger gut?
Findet Ihr es gut, dass sich das WMT visuell weiterentwickelt hat oder seid Ihr eher der Meinung, dass man zum Charakterdesign von Miyazaki und Takahata zurückkehren sollte?
Lasst und über diese tollen Produktionen jedenfalls ins Gespräch kommen!