Japaner/in sein.

  • Bin ich der einzige der sich vorgestellt hat wie es wäre als Japaner geboren geworden zu sein?


    Klar man steht viel unter Druck und das alles, aber je mehr ich in diese vorstellung hinein tappe, umso mehr hab ich das gefühl, dass ich im falschen Land und Körper geboren wurde.👀

  • CE-APTX4869

    Hat den Titel des Themas von „Japan.“ zu „Japaner/in sein.“ geändert.
  • Ich denke, dass Japan insgesamt zu stark romantisiert wird. Es gibt beispielsweise etliche Erfahrungsberichte von Leuten, die in Japan derzeit leben und arbeiten und wenn du dir mal so anschaust, was hinter der Touristenfassade so abgeht, wirst du schnell froh sein, dass du nicht dort lebst oder geboren wurdest. Daher bin ich mir sicher, dass wenn du jetzt beispielsweise wirklich als Japaner geboren wärst, würdest du genauso von anderen Ländern denken.

    Einfache Beispiele sind:


    - Müllentsorgung ist der absolute Horror (viel Spaß dabei alte Möbel zu entsorgen, die du erstmal wiegen und ausmessen und dann noch Wochen warten darfst, bis der Müll abgeholt wird)

    - Du musst immer deinen Stempel für Behördengänge mit dir rumschleppen. Hast du den mal vergessen und bist hunderte Kilometer weg? Dumm gelaufen, darfst jetzt zurück. Null Ausnahmen. Digitale Behördengänge? Lol, träum weiter. Da wird noch alles oldschool mit Papier gemacht.

    - Die meisten Städte sehen defakto schiete aus. Wenn du dir mal den nicht von Tourismus besuchten Anteil von Japan anschaust, wird dir erst klar, wie schäbig und billig Japan eigentlich ist. Das hat schon fast Indiencharakter.

    - Gesunde Ernährung kannst du auch knicken, da Japans Obst- und Gemüseartikel unfassbar teuer sind, weil dort alles großteils selbst angebaut wird. Also freu dich darauf, jeden Tag öliges oder fettiges Zeug zu futtern. Für die Dauer eines Urlaubs noch ganz okay, aber wenn du jeden Tag dort verbringst, hängt dir das Zeug auch irgendwann zum Hals raus.

    - Das Justizsystem in Japan ist ein absoluter Witz (es gab letztens erst einen Beitrag von mir, der das genauer erläutert), das dir das Leben so dermaßen zur Hölle macht, dass du freiwillig Taten gestehst, die du gar nicht begangen hast, damit du eher frei bist. Findet man bestimmt auch nur so lange gut und witzig, bis man selbst plötzlich ungerecht eingebuchtet wird.


    Und jetzt versetz dich nochmal in die Lage eines Japaners. Der darf solche Dinge jeden Tag ertragen und lebt pausenlos in so einer Welt. Der von dir erwähnte Leistungsdruck ist nur ein winziges Puzzlestück. Die Menschen dort leben in einer komplett anderen Welt, die man sich als Außenstehender gar nicht vorstellen kann. Ich wäre also mit diesen Wünschen eher vorsichtig. Was man als Westeuropäer von Japan so mitbekommt, ist halt wirklich nur das Sahnehäubchen, was das Land zu bieten hat. Und selbst dahinter verbirgt sich meistens eine erschreckend grausame Welt. (Schau dir z.B. an, wie brutal die Arbeitswelt von Anime ist. Das hat schon seine Gründe gehabt, warum z.B. Mappa zwischenzeitig einen Mitarbeiteraufstand hatte. Oder die sexistischen Vorfälle während der Entwicklung von Elden Ring bei FromSoftware).

    Geschichte, Kultur und Gesellschaftlicher zusammenhalt sei mal hingestellt, aber wenn du dir den Alltag eines durchschnittlichen arbeitenden Japaners anschaust, versteht man schon, warum da immer wieder mal Leichen an Bäumen hängen.


    Also ich bin ganz froh darüber, nicht in Japan geboren und leben zu müssen. Ich bin dem Land zwar unfassbar dankbar für das, was es der Welt geschenkt hat, aber ich würde nie im Leben dort aufwachsen und leben wollen.

    "Pure and radiant , he wields love to shrive clean the hearts of men.

    There is nothing more terrifying."

    "My brother will keep his promise. He possesses the wisdom, the allure, of a god - he is the most fearsome Empyrean of all."

  • Mir sind diese sachen durchaus bekannt, so ist es nicht. Dennoch zieht es mich mehr nach Japan als nach Deutschland. Es ist schwierig zu erklären, ich fühl mich hier immer weniger wohl und hätte ich hier keine Freunde und Familie, ich würde direkt auswandern. Das mit Mappa hab ich ja erst kürzlich gesehen sogar.

  • Ich hab da auch schon drüber nachgedacht, ich glaube aber, zumindest in meinem Fall gehts mehr um bestimmte psychologische Schematas, die halt zB durch Anime getriggert werden und wo man dann denkt "woah das bin ja ich lol da gehör ich hin" :P - weniger als tatsächlich Japaner sein oder da leben zu wollen, als ein bestimmtes Schema wiederzufinden und vielelicht zu glauben, dass man da besser reinpassen würde.

    Vielleicht findet Giovanni diesen Thread ja, der ist ja ausgewandert :) Ich kann Northstrider Reserviertheit aber gut verstehen, Japan hat leider auch eine Vielzahl von schlechten Seiten, ich würde da allerdings eher an die immer noch massive Unterdrückung von LGBT denken (weils mich halt betreffen würde), an das fragwürdige Justizsystem oder halt die extrem maschinistische Arbeitsvorsellung.

  • Ich muss Northstrider zustimmen. Ich glaube auch, dass das Leben in Japan stark romantisiert wird. Ich finde die japanische Kultur unglaublich faszinierend, und das Land ist landschaftlich einfach toll für Urlauber. Langfristig leben und vor allem arbeiten möchte ich dort aber nicht. Ich möchte dort auch nicht Kind sein: Deine Eltern arbeiten den ganzen Tag, d.h. du bist von morgens bis abends im Kindergarten oder in der Schule. Nachmittags darfst du dann 3 mal die Woche zum Nachhilfeunterricht. Denn es gibt nichts wichtigeres für die Japaner, als dass ihre Kinder auf eine gute Uni gehen. Prestige ist hier unglaublich wichtig - was könnten die Nachbarn nur von dir denken?!


    Aktuell schreiben mir alle meine japanischen Brieffreundinnen, wie toll der niedrige Yen für die Urlauber ist - aber für sie selbst? Alles ist teurer geworden. Kinder sind hier unglaublich teuer. Meine eine Freundin schreibt mir, dass 3 mal die Woche Nachhilfe im Monat je Kind 200-300€ kosten. Dazu kommen noch die regulären Kosten für die Schule. Wenn du also mit Familie in Japan leben möchtest, kannst du dich schon mal alleine für deine Kinder kaputtstrampeln. Außerdem scheint es mit Jobs im Moment auch nicht so rosig auszusehen - einige meiner Brieffreundinnen sind auf Jobsuche oder sehr unzufrieden mit ihren aktuellen Jobs. Es meckern immer alle über die Arbeit in Deutschland, dabei gibt es kaum ein anderes Land mit soviel bezahlten Urlaubstagen und festen Arbeitszeiten für die Mitarbeiter. Darauf möchte ich nicht verzichten. :ugly:


    Was das Essen angeht, kann ich das so nicht unterschreiben, was Northstrider sagt. Als arbeitende Person gehst du in der Regel mittags essen oder holst dir im Konbini fertiges Essen für die Mikrowelle. Eine Reisschale mit frischem Fisch und etwas Gemüse haben uns in der Mittagsszeit etwa 10€ gekostet. Dazu gabs noch eine Gemüsebrühe und Algensalat. Wir waren pappsatt danach und ich bin mir sicher, ich habe in meinem 10 tägigen Urlaub (Ostern) gesünder gegessen als sonst irgendwie zu Hause. Süßkram und ungesunde Knabbereien gibt es genauso in Deutschland - das ist ja dann jedem selbst überlassen wie viel er naschen möchte. Die Preise im Supermarkt sahen für mich auch ok aus. Frischer Fisch oder alles was mit Fisch zu tun hat, wird dir quasi hinterhergeworfen.


    Es gibt immer wieder Reportagen über das Leben in Japan, die zeigen wie man als Durchschnittsbürger in Japan über die Runden kommt. Es lohnt sicher, da einmal reinzuschauen, wenn man tatsächlich über Auswandern nachdenkt. Ansonsten lohnt sich imo auf jeden Fall Urlaub dort, denn die Menschen sind sehr freundlich und hilfsbereit, die Kultur spannend anders und die Landschaften wie schon erwähnt einfach toll. :lovex: